„Jugendliche, haut lieber ab! Eine Gesellschaft, die ihre jungen Menschen so behandelt, geht unter.“ Mit diesen Worten wandte sich der Franzose Felix Marquardt in der Zeitung „Libération“ Frankreich verlassen und ihr Glück anderswo in der Welt suchen – sich selbst zuliebe und als Weckruf für ihr Heimatland und ihre Regierung.
Die Reaktionen waren überwältigend, geändert habe sich aber nichts, sagt Marquardt heute. Der Gedanke aber, dass junge Menschen zwischen 15 und 29 Jahren heute weniger Chancen auf ein gutes Leben haben als früher, ließen ihn nicht los. Die Alten ließen ihnen immer weniger Möglichkeiten: „Wir steuern auf einen Kampf der Generationen zu.“
Tatsächlich hat beispielsweise die Eurokrise vor allem junge Menschen getroffen: In Europa ist derzeit jeder fünfte unter 25 Jahren ohne Job, in Spanien oder Griechenland sind es rund 50 Prozent. Auch aus den Kriegsgebieten im Nahen Osten oder Afrika machen sich vor allem junge Leute auf die Flucht nach Europa in ein vermeintlich besseres Leben.
Marquardt war lange Kommunikationsberater, im vergangen Jahr ließ er seinen Job ruhen und knüpfte an die Aktion von 2012 an – dieses Mal aber wollte er einen größeren Effekt erzielen. Der Franzose gab seine Beratungsfirma auf und steckte sein Geld in einen Thinktank namens Youthonomics, eine Zusammensetzung aus den englischen Wörtern für Jugend und Wirtschaft.
Die Idee
Das Ziel der Organisation: Regierungen unter Druck setzen, die sich nicht genug um die nächste Generation kümmern.
Das Mittel: Ein Index, der die Lebensbedingungen für junge Menschen weltweit vergleichbar macht – und Länder gegeneinander ausspielt.
Der sogenannte Youthonomics-Index basiert auf 59 Indikatoren, die zeigen sollen, welche Bedingungen Staaten ihrem Nachwuchs bieten. Wie gut sind die Bildungseinrichtungen? Wie hoch ist die Jugendarbeitslosigkeit, wie hoch die Zahl der Suizide? Wie ist die Gesundheitsversorgung, wie gut werden junge Menschen politisch vertreten? „Wir benutzen ganz überwiegend diese objektiven Kriterien, um Werturteile zu vermeiden“, sagt Marquardt.
Wissenschaftler vom Internationalen Währungsfonds (Uno und dem Weltwirtschaftsforum halfen dabei, Formeln zu finden, die diese Daten vergleichbar machen.
Der Weg
Der Youthonomics-Index 2015 vergleicht 64 sehr unterschiedliche Länder: Von Deutschland über die Sri Lanka.
Insgesamt schneiden die Industriestaaten besser ab als die Entwicklungsländer. Norwegen und die Schweiz stehen an der Spitze – Deutschland folgt auf Rang sieben. Der Index besteht aber aus unterschiedlichen Kategorien, die erstaunliche Ergebnisse zeigen (siehe Grafik).
Zu den Unterabteilungen gehören: Bildungsmöglichkeiten bis zum Alter von 15 Jahren, Qualität von Arbeitsmarkt, allgemeine Arbeits- und Lebensbedingungen, Wohlbefinden (sozialer Zusammenhalt, Sicherheit, Bürgerrechte), Gesundheit (Lebenserwartung, Suizide).
Drei weitere Kategorien sollen zeigen, wie sich die Situation der jungen Generation in Zukunft verändern wird: Dazu gehören die staatlichen Finanzen (Wie hoch sind die Schulden, die die junge Generation tilgen muss, wie hoch die Verpflichtungen für Renten und Pensionen?), die wirtschaftlichen Aussichten (Investitionen und Nachhaltigkeit) und der politische Einfluss (Wie stark sind die Interessen der Jugend vertreten?).
Die Ergebnisse
Vor allem bei der Frage, wie die nahe Zukunft für die 15-Jährigen bis 29-Jährigen aussieht, steht Deutschland – und mit ihm viele andere Industriestaaten – gar nicht mehr so gut da. Norwegen bleibt zwar an der Spitze, direkt dahinter aber folgt Uganda, auf Platz vier steht Ruanda, vor Kasachstan, Ghana und den Philippinen. Deutschland erreicht gerade einmal Rang 37. Die Gründe: Die wegen des demografischen Wandels künftig hohen Renten- und Pensionszahlungen, die geringen Investitionen und schlechten Wachstumsaussichten für die kommenden Jahre und die anteilig geringen Ausgaben für Bildung.
Hat Deutschland mit seiner extrem niedrigen Jugendarbeitslosigkeit und seinem weltweit kopierten dualen Ausbildungssystem also keine Zukunft? „Natürlich wird ein Index immer nur eine statistische Annäherung an die Wirklichkeit bleiben“, sagt Marquardt. „Aber er gibt jungen Menschen endlich eine Möglichkeit, zu vergleichen, wo ihr Land im weltweiten Vergleich steht.“ Sie könnten dann entscheiden, wo sie leben wollen – in ihrer Heimat oder in einem Land, das ihnen Chancen auf ein besseres Leben bietet.
Der Traum
Natürlich sei es für niemanden einfach, sein Heimatland zu verlassen um anderswo unter vielleicht besseren Bedingungen zu lernen, zu arbeiten und zu leben, räumt Marquardt ein. Dem Umzug stünden zudem neben der Sprachbarriere noch ganz reale Grenzen im Wege. Deshalb wünscht sich der PR-Profi ein globales Jugend-Visum. Es soll für zwei Jahre gültig sein und jungen Menschen genau das ermöglichen, was der Index ihnen zeigt: Das beste Land auswählen und hinziehen.
Er hofft, dass sein Index eine Debatte entfacht über die besten Rezepte für eine konsequente Förderung der nachwachsenden Generationen. Er will Regierungen dazu bringen, sich die besten Lösungen weltweit anzusehen und zu kopieren.
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