Alkoholkonsum in StuttgartWeniger jugendliche Komatrinker
Stuttgart – Die meisten Jugendlichen fangen statistisch mit 14,7 Jahren an. Von da an wird es gefährlich. Der Druck einer Gruppe verführt zum Alkohol. Oft ist es aber auch eine Protesthaltung oder ein Ablösungsprozess von der Familie. „Der Familie kommt in dieser Situation eine wichtige Rolle zu“, sagt Annette Faust-Mackensen von der städtischen Suchtberatung, „sie kann stabilisieren oder den Jugendlichen dazu bringen, dass er Akzente setzen will oder zeigt, dass er anders ist“. Sehr wahrscheinlich sind die Verhältnisse, in denen Jugendliche aufwachsen, ein Schlüsselfaktor für den Alkoholkonsum. Annette Faust-Mackensen weiß: „Ein Drittel aller Jugendlichen lebt in Patchwork-Familien oder bei alleinerziehenden Elternteilen. Das ist ein Problem.“
Wie auch immer. Das Sozialreferat der Stadt stellt dennoch zufrieden fest: „Immer mehr 12- bis 15-Jährige in Stuttgart verzichten auf Alkohol.“ Konkret: Etwa ein Drittel der Jugendlichen trinkt laut einer Erhebung der Stadt nie Alkohol. Etwa 50 Prozent trinken gelegentlich. Und 15 Prozent greifen regelmäßig mindesten einmal in der Woche zu Alkohol.
Interessant sind aber auch die Zahlen zum extremen Alkoholkonsum. Gemeint ist damit das umgangssprachliche Komasaufen, das im Fachjargon Binge-Drinking genannt wird. „Bundesweit sind die Zahlen der jugendlichen Komatrinker gestiegen“, erklärt Sozialbürgermeisterin Isabel Fezer (FDP), „aber in Stuttgart sind die Zahlen rückläufig.“ Fezer hat zwar keine konkreten Zahlen, aber einen „aufschlussreichen Anhaltspunkt“: „Die Krankenhauseinweisungen für die extremen Fälle sind zurückgegangen. Da stehen wir in Stuttgart gut da.“
Der Trend, den Fezer anspricht, zeigt sich seit vier Jahren. Seitdem ist die Anzahl der alkoholbedingten Einweisungen bei Stuttgarter Jugendlichen rückläufig. Laut der letzten Erhebung der Stadt aus dem Jahr 2013 waren es 82 Jungen und 50 Mädchen im Alter zwischen 13 und 19 Jahren.
Ein Grund für Entwarnung ist laut Fezer jedoch nicht gegeben. Immer noch sei in der Stadt zu beobachten, dass Alkoholkonsum zur Alltagskultur und zu einem festen Bestandteil der Partyszene gehört. Immer wieder beobachten Polizei oder der Aktionskreis Suchtprävention bekannte Phänomene wie „Warm-Trinken“ oder Verabredungen via Internet zu extremen Gelagen. Begünstigt wird der jugendliche Alkoholkonsum weiterhin durch die Verfügbarkeit und den relativ niedrigen Preis. Alle Stellen, die mit Prävention zu tun haben, beklagen das Gleiche: nämlich dass im Vergleich zu den gestiegenen Lebenshaltungskosten die Preise für alkoholische Getränke gesunken sind.
Ulrike Ohnmeiß führt daher einen unermüdlichen Kampf in der Präventionsarbeit. Die Diplompädagogin des Vereins zur Hilfe suchtabhängiger Frauen weiß aus der Praxis, dass Alkohol ein Problem bei Jugendlichen bleibt. In Bezug zu den aktuellen Fallzahlen sagt sie: „Alkoholkonsum ist für Jugendliche nicht mehr das Tollste, aber es bleibt das Zweittollste.“ Weiter sagt sie: „Es wird immer wichtiger, Jugendliche dort anzusprechen, wo sie unter sich sind und sich vergleichen. Diese Vergleiche sind der Schlüssel zum Problem.“
Für die Suchtprävention der Stadt ergeben sich daraus drei Ziele: erstens das Einstiegsalter so lange wie möglich hinauszuschieben. Zweitens die jungen Menschen unter anderem in schulischen Programmen für einen risikobewussten Umgang mit Alkohol zu sensibilisieren. Und drittens die Verfügbarkeit weiter zu begrenzen.
In diesem Zusammenhang prangern fast alle Mitglieder des Sozialausschusses im Gemeinderat den sogenannten Realschultag auf dem Volksfest an. Stellvertretend für viele Stadträte bringt es Marita Gröger (SPD) auf den Punkt: „Dieser Realschultag leistet der Verharmlosung von Alkohol Vorschub. Was ich persönlich dort erlebt habe, hat mir die Schuhe ausgezogen.“ Gröger habe auf dem Wasen eine „Glorifizierung“ des Alkohols erlebt, bei der das Motto gilt: „Ein richtiger Kerl oder ein richtiges Mädchen bist du erst, wenn du statt Spezi Alkohol im Glas hast.“
Damit legt Marita Gröger den Finger in die Wunde: Alkohol ist ein allgemeines Problem in der Gesellschaft, kein spezifisches der Jugend. Alkohol ist nach wie vor das Hauptsuchtmittel. Ulrike Ohnmeiß appelliert daher an die Erwachsenen: „Wir sind alle Vorbilder.“
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