Es wird irgendwann mal eine Situation geben, in der Sie so eine Angst haben, dass Sie sich wortwörtlich in die Hose machen. Und diese Angst, so müssen Sie sich das vorstellen, hatte man dort jeden einzelnen Tag“, erinnert sich Hans Schulze. 1986 saß er zu Unrecht achteinhalb Monate im Stasi-Gefängnis in Berlin-Hohenschönhausen. Die Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit war in der Zeit von 1945 bis 1989 in Betrieb. Dort waren mehr als 11 000 Menschen inhaftiert, die dem kommunistischen Regime im Wege standen. Nachdem alle Häftlinge nach dem Mauerfall befreit worden waren, drohten die Gebäude zu verfallen. Das änderte sich jedoch 1994, als in diesen Räumlichkeiten die Gedenkstätte gegründet wurde. Sie hat die Aufgabe, die Geschichte der Haftanstalt zu erforschen, mit Ausstellungen, Veranstaltungen und Publikationen darüber zu informieren und zur Auseinandersetzung mit den Formen und Folgen politischer Verfolgung und Unterdrückung in der kommunistischen Diktatur anzuregen.
200 Zellen und Vernehmerzimmer
Die inmitten der Plattenbauten stehende Gedenkstätte fällt nur aufgrund der hohen, sie umgebenden Mauern auf. Ist die Mauer jedoch durchquert, sieht man das große gelbliche Gebäude mit vergitterten Fenstern, in dem sich mehr als 200 Zellen und Vernehmerzimmer befinden. Die Zellen sind mit großen Türen mit schweren Türriegeln versehen. In einigen befindet sich noch heute die alte Möblierung, die lediglich aus einem kleinen Bett, einem Tisch mit einem Stuhl sowie einem Waschbecken besteht. An einem Haken hängt ein blauer Häftlingsanzug, den alle Insassen zu tragen hatten. Wegen ihrer geographischen Lage in der Bundeshauptstadt gilt die Gedenkstätte als einer der wichtigsten Erinnerungsorte für die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft in Deutschland. Die Führungen durch die Gedenkstätte werden größtenteils von Zeitzeugen, die das Geschehen hautnah miterlebt haben, begleitet. Dabei werden die Informationen über die Haftbedingungen und Verhörmethoden im ehemaligen Stasi-Gefängnis um persönliche Erfahrungen und Schicksale ergänzt.
Inoffizielle Top-Agentin
Der 1952 geborene West-Berliner Hans Schulze arbeitete für einen westdeutschen Chemiekonzern, bei dem er für das gesamte DDR-Geschäft zuständig war. Im März 1986 lernte er auf dem Weg zur Leipziger Messe eine junge Ost-Berlinerin an einer DDR-Raststätte kennen. Aus dieser Begegnung entwickelte sich später eine Beziehung, in deren Verlauf er erfuhr, dass seine Freundin den Plan hatte, aus der DDR zu fliehen. „Was ich zu dieser Zeit nicht wusste, war, dass sie in Wahrheit eine inoffizielle Top-Agentin der Staatssicherheit war“, erklärt Schulze. Deshalb versuchte sie zunächst auf legalem Weg aus der DDR auszureisen, indem sie ihrem Führungsoffizier anbot, im „Operationsgebiet“ als Agentin tätig zu werden. Als dies abgelehnt wurde, suchte sie sich eine andere Möglichkeit, die DDR zu verlassen. So habe sie laut Schulze der Staatssicherheit mit dem Verrat von Staatsgeheimnissen gedroht, wenn sie nicht ausreisen dürfe. Da der Staatssicherheit die Beziehung der beiden bekannt war, vermutete man, er würde sie bei ihrem Plan unterstützen.
In eine abgelegene Villa außerhalb Berlins
„Als ich nach der Leipziger Herbstmesse 1986 die DDR verlassen wollte und an der Grenze zu einer intensiven Kontrolle angehalten wurde, wurde mir klar, was die Uhr geschlagen hatte“, erinnert sich Schulze. Er hatte Wertgegenstände, einen großen Geldbetrag sowie einen von seiner Freundin verfassten Brief bei sich. In diesem Brief waren Stasi-Geheimnisse vermerkt, die sie von ihrem Ex-Mann erfahren hatte, der ebenfalls ein hochangesehenes Mitglied der Staatssicherheit war. Hans Schulze hatte den Brief nicht gelesen, da er ihn nur nach West-Berlin bringen und in einem Bankschließfach deponieren sollte. So wurde er unter dem vorläufigen Verhaftungsgrund § 97 „Spionage“ festgenommen und am selben Abend von zwei Herren in schwarzen Lederjacken in eine abgelegene Villa außerhalb Berlins gebracht. In einen vergleichsweise freundlich gestalteten, wohnzimmerähnlichen Verhörraum musste er sich erneut für die Funde in seinem Auto rechtfertigen. Am nächsten Morgen wurde er in einem komplett abgedunkelten Wagen nach Hohenschönhausen gebracht.
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