Tontaubenschießen ist ein Reaktionssport. Ums Zielen geht es nicht“, sagt Sergio Spangaro und öffnet einen grauen Kasten. Der 55-Jährige nimmt seine schwarze Flinte mit einem hölzernen Schaft hervor und setzt seine Sonnenbrille auf. Seit einem Jahr ist er Mitglied des Tontaubenschützenvereins WTC Ratia bei Landquart im Kanton Graubünden. Damals suchte er einen neuen Ausgleich, als er aus Zeitgründen mit seinem langjährigen Hobby Modellflugzeugfliegen aufhören musste. Schon als kleiner Junge ging Sergio regelmäßig mit den Kleinkalibern seines Vaters schießen. Auch im Militär machte ihm der Umgang mit den Gewehren viel Spaß. So kam er auf die Idee, den Sport auszuprobieren. Nach einem Schnuppertag im Verein in Landquart war ihm klar, dass dies genau das Richtige für ihn ist. Seither besucht der gebürtige Italiener jeden Samstag das Tontaubenschützentraining.
Englisch und elitär
Die Sportart entstand im 19. Jahrhundert in England. „Damals war es ein sehr elitärer Sport“, erklärt der Hobbyschütze. Ursprünglich wurde auf echte, lebendige Tauben gezielt. Auch heute gibt es in vereinzelten Ländern Wettkämpfe mit lebendigen Tauben. Doch wird von einem internationalen Wettkämpfer bekannt, dass er an einem solchen Turnier teilnahm, wird er lebenslänglich gesperrt: Er darf weder Wettkämpfe bestreiten noch im Verein schießen. In der Schweiz sind die Tontauben nicht mehr aus Ton. Die flachen, meist orangenen Teller mit einem Durchmesser von elf Zentimetern bestehen aus Materialien, die in der Natur schadstofffrei verwittern. „Was den ökologischen Aspekt angeht, kann man mit gutem Gewissen Tontauben schießen“, sagt er stolz und krempelt die Ärmel seines blauen Poloshirts hoch. Auch die Munition besteht nur aus Stahl und darf kein Blei beinhalten.
Nach dem ersten Versuch wird rotiert
Vor Beginn des Durchganges nimmt Spangaro als einer von sechs Schützen seine fest zugeteilte Position ein. Insgesamt hat es fünf Standorte. Er wird dem ersten zugeteilt. Sein linker Fuß steht vor dem Rechten, der leicht auf die Seite gedreht ist. Sein konzentrierter Blick ist nach vorne gerichtet. Er füllt die erste Patrone ein. Die Waffe bleibt vorerst gebrochen: Sie steht offen und ist noch nicht geladen. Auf 15 Meter Distanz steht der sogenannte Bunker. In diesem befinden sich 15 Wurfmaschinen. Sobald der Kampfrichter das Kommando „Ready“ erteilt, wird der Durchgang gestartet. Sergio Spangaro schließt die Waffe und nimmt sie an den Anschlag. Auf sein Kommando, meist „Ha!“ oder „Ho!“, das über ein Mikrofon an die Wurfmaschine weitergegeben wird, erfolgt die Auslösung der Tontaube. Ein Knall ist zu hören. Der Schuss war erfolgreich. Er senkt die Waffe, entfernt die Patronenhülse und wartet. Nun schießt die zweite Person, die rechts neben ihm steht. Haben alle fünf Schützen ihren ersten Versuch gemacht, wird rotiert. Spangaro befindet sich jetzt beim zweiten Standort. Ein vollständiger Durchgang dauert 20 bis 25 Minuten. Er ist beendet, sobald jeder Schütze auf 25 Tontauben geschossen hat.
Keine Zeit zum spekulieren
Dabei besteht die Schwierigkeit, dass der Schütze weder weiß, wie hoch das Ziel fliegt, noch, von welcher Seite es kommt. „Man hat keine Zeit, um zu spekulieren. Denn die Taube hat eine Geschwindigkeit zwischen 100 und 120 Stundenkilometern.“ Idealerweise sollte die Reaktionszeit zwischen 0,5 und 0,8 Sekunden betragen, damit das Ziel nicht zu weit weg ist. Hinzu kommt die Streuung der Schrotpatrone. Bei einer Taube, die schon eine große Distanz zum Schützen hat, ist diese teilweise zu groß. Auch wenn die Richtung stimmt, kann die Taube durch die großen Abstände der einzelnen Kugeln verfehlt werden. „Wenn man andererseits zu schnell schießt, ist die Streuung dadurch zu klein, und es wird schwieriger zu treffen. Das mache ich zum Teil falsch“, erklärt er und schmunzelt. Ausschlaggebend für eine erfolgreiche Schussabgabe ist die korrekte Haltung des Schützen. Er muss die Tontaube mit beiden Augen verfolgen und die Flinte im richtigen Anschlag halten. Die Wange muss immer auf dem Schaft, dem Ende der Flinte, bleiben, sonst stimmt die Achse von Schaft, Auge und Tontaube nicht mehr überein. Ein Treffen der Tontaube ist somit praktisch unmöglich. „Sogar Profischützen machen diesen Fehler immer wieder“, sagt er überzeugt. „Auch mir passiert es manchmal, dass ich den Kopf anhebe.“
Italien ist ein Paradies für die Sportart
Die Schützen tragen eine Brille, einen Gehörschutz und eine spezielle Weste. Auf diese sind zwei Taschen aufgenäht, um die Munition zu verstauen. Die meisten besitzen italienische Waffen. Die führenden Marken sind Beretta und Berazio. Italien ist nämlich Nummer eins im Tontaubenschießen. „Italien ist ein Paradies für diese Sportart“, sagt er stolz. Dort gibt es riesige Tontaubenschießanlagen und unzählige Munitionsfabriken. In der Schweiz hingegen sind Vereine rarer. Die meisten Stände sind im Kanton Graubünden. Das hat mit den vielen Jägern in dieser Region zu tun. In der Nähe von Gossau im Kanton Zürich, Spangaros Wohnort, gibt es keine Vereine. Deshalb ist er eines von etwa 100 Mitgliedern des Vereins im eine Stunde entfernten Landquart. Der jüngste Teilnehmer ist 15 und der älteste 85 Jahre alt. „Es ist ein Sport, den man von sehr jung bis sehr alt betreiben kann.“ Aber einer, der nicht ganz billig ist. Die Flinte kostet je nach Modell zwischen 5000 und 10 000 Franken. 250 Patronen, die er pro Training benötigt, kosten 60 Franken. „Ich rechne für jeden Samstag mit 120 Franken.“ Eine Tontaube kostet 1,50 Franken. Dem Verkaufsleiter eines IT-Unternehmens ist es das wert. „Ich will an dem Hobby Spaß haben und eine strenge Woche damit ausklingen lassen. Es ist ein Ausgleich.“
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