Suchtexperte im Interview: Wie gefährlich ist Cannabis für die Jugend?

Geht es um die von der Ampel geplante Cannabislegalisierung, wird vor allem über eines gesprochen: Jugendschutz. Gesundheitsverbände und Oppositionspolitiker warnen, dass deutlich mehr junge Menschen zu der Droge greifen, sobald sie erstmal freigegeben ist. Und das könne wiederum schwere Folgen haben. Die Hirnentwicklung wird geschädigt, die Intelligenz nimmt ab, die Aufmerksamkeit lässt nach. Was an den Warnungen dran ist, darüber spricht Suchtexperte Heino Stöver mit ntv.de.

ntv.de: Herr Stöver, von Befürwortern einer Legalisierung wird behauptet, dass Cannabis vom Schwarzmarkt häufig zu stark und deshalb zu gefährlich sei. Können Sie uns das kurz erläutern?

Heino Stöver: THC ist der primäre Wirkstoff in Cannabis, er löst den Rausch aus. CBD ist wiederum der Gegenspieler, es schwächt die Wirkung von THC ab. Auf dem Schwarzmarkt können wir davon ausgehen, dass der THC-Gehalt deutlich höher als der von CBD ausfällt. Das ist ein Problem. Die psychische Verträglichkeit wird über die Balance der beiden Wirkstoffe geregelt. Fällt der Anteil der psychoaktiven Substanz deutlich höher aus, kann es schnell ungemütlich werden.

Was unterscheidet CBD von THC?

CBD steht für Cannabidiol. Das ist einer von mehr als 100 Wirkstoffen, die sich in der Cannabispflanze wiederfinden. Anders als THC, das bekannteste Cannabinoid, hat CBD keine berauschende Wirkung und fällt damit nicht unter das Betäubungsmittelgesetz. Es wirkt trotzdem, nur anders. Die Forschung sagt, dass es zum Beispiel beim Konzentrieren hilft und man damit besser schlafen kann. Auch Entzündungen können vermieden werden, Muskeln scheinen sich nach dem Sport besser zu entspannen.

Jedoch wissen häufig weder Dealer noch Konsument, was in der Ware steckt. Es wird gekauft, was knallt. Das hat etwas von einem Schnapsregal, in dem alle Flaschen gleich aussehen und weder Etikett noch Angaben zum Alkoholgehalt haben. In einem regulierten Markt wäre das nicht der Fall. Mittels eines rechtlichen Rahmens könnten Erzeuger verpflichtet werden, die beiden wesentlichen Wirkstoffe in Balance zu halten.

Was genau passiert im Gehirn, wenn man Cannabis konsumiert?

Hier muss ich etwas ausholen: Wir besitzen alle in unserem Körper und Gehirn Bindungsstellen für Cannabinoide, die wiederum unser Nervensystem im Gleichgewicht halten. Da unser Nervensystem sehr viele Informationen verarbeitet und weiterleitet, kann natürlich schnell was aus dem Ruder geraten. Ist das der Fall, werden körpereigene Cannabinoide freigesetzt. Das Nervensystem wird dadurch wieder in die Bahn gebracht – über biochemische Prozesse. Etwa, indem bestimmte Botenstoffe geblockt und andere freigesetzt werden.

Nun gibt es auch ruhige Phasen, in denen Cannabinoide überhaupt nicht nötig sind, das System ist inaktiv. Fügen wir unserem Körper THC zu, etwa indem wir einen Joint rauchen, jagen wir selbst Cannabinoide durch unseren Körper, die an die entsprechenden Rezeptoren andocken. Wieder werden bestimmte Stoffe geblockt und andere freigesetzt, nur ist es diesmal nicht wirklich nötig. So verändert sich unsere Wahrnehmung, unser Schmerzempfinden, es kommt zum Rausch.

Wenn unser Körper Cannabinoide kennt, warum ist der Cannabiskonsum dann nicht unbedenklich?

THC aktiviert völlig unbegründet unsere körpereigenen Cannabinoid-Rezeptoren. Das kann physiologische Prozesse in Körper und Gehirn ins Ungleichgewicht bringen, was sich auf das Gedächtnis, aber auch den Blutdruck auswirken kann. Außerdem gewöhnt sich der Körper an das ständige Vorhandensein von Cannabinoiden. Die körpereigene Produktion fährt entsprechend runter. Vor allem für junge Menschen kann das problematisch sein.

Gehirn und Nervensystem befinden sich bei Heranwachsenden noch in der Entwicklung. Im jugendlichen Gehirn wird viel umgebaut, Neurochemie, Kommunikation der Areale, sogar die Nervenfasern, alles ist eine große Baustelle. In vielen Botenstoffsystemen gibt es in der Pubertät zudem eine erhöhte Anzahl an Bindungsstellen. Studien zeigen, dass das Endocannabinoid-System in jungen Jahren zudem deutlich aktiver ist. Entsprechend kann es deutlich stärkere Effekte haben, wenn es mittels Cannabis aktiviert wird.

Welche Risiken bringt das mit sich?

Der Rausch kann intensiver sein, Nebenwirkungen wie eine Konzentrationsschwäche, Müdigkeit, Apathie wiederum stärker. Auch kann sich der Konsum auf die Hirnentwicklung auswirken, das gilt aber für alle Rauschmittel. Es gibt Studien, die zeigen, dass sich die Hirnsubstanz von Heranwachsenden bei regelmäßigem Cannabiskonsum verändert. Demnach soll die graue Hirnsubstanz zunehmen. Ungeklärt ist aber, was genau das bedeutet. Das gilt jedoch nur bei dauerhaftem Konsum. Natürlich gibt es auch Fälle, bei denen bereits der gelegentliche Griff zum Joint, überspitzt ausgedrückt, gefährlich werden kann. Dazu zählen Menschen mit einer Neigung zu psychischen Erkrankungen.

Kann sich das Gehirn von jungen Menschen nach dem jahrelangen Konsum regenerieren?

Wenn ich viele Jahre konsumiere, können bestimmte neuronale Prozesse gebremst werden, was sich auf die kognitiven Leistungen auswirkt. Solche Folgen können auch dauerhaft sein. Doch wie gesagt, es kommt auf die Menge an, aber auch die Verfassung der Konsumenten. Natürlich muss ich bei Cannabis hervorheben, dass die Folgen im Vergleich zu anderen Rauschmitteln deutlich milder ausfallen. Bei Alkohol sind die Folgeschäden drastischer. Generell können wir festhalten: Je später die Menschen anfangen, desto besser. Einerseits mit Blick auf die Hirnentwicklung, andererseits mit dem Erlernen von Kontrollfähigkeiten.

Wie hoch ist eigentlich die Suchtgefahr bei Cannabis?

Bei Cannabis ist die Abhängigkeit psychologisch geprägt, ähnlich wie bei Zigaretten. Das Rauschverhalten ist dabei an verschiedene Wohlfühlmomente gekoppelt, etwa die Zigarette nach dem Sex, nach dem Essen, beim Spaziergang zur Arbeit. Auch bei Cannabis sind der Konsum und der damit verbundene Rausch häufig situationsbezogen. Ebenso stellt sich bei der Sucht immer die Frage, wie weit die Menschen gehen würden, um ihr Bedürfnis zu befriedigen. Das kann von horrenden Ausgaben bis hin zum Gang in die Illegalität gehen.

Wie können sich Betroffene von dieser Sucht lösen?

Zum einen wären da selbstauferlegte Regeln, etwa keinen Konsum vor der Arbeit, nicht vor 18 Uhr, nicht nach dem Sex. Situationsbedingter Konsum müsste reflektiert angegangen werden. Natürlich ist das kein Patentrezept, aber ein Schritt. Zum anderen wäre die Legalisierung hilfreich. Außerdem könnte man das Thema Cannabiskonsum deutlich anders thematisieren, es offener diskutieren. Kanäle, die gerade unter jungen Menschen beliebt sind, etwa Instagram oder Tiktok, könnte man auch dafür nutzen, offen aufzuklären. Hier müssten aber Politik und Suchtberater passende Strategien entwickeln. Wie sie das Thema aktuell angehen, eher pädagogisch und belehrend, funktioniert das natürlich nicht.

Ein Argument gegen Cannabis ist der Jugendschutz. Vor allem geht es darum, dass mehr junge Menschen zu der Droge greifen, sobald sie freigegeben ist. Doch besteht dafür wirklich die Gefahr?

Das kommt darauf an. Je nach Zeitraum kommen Erhebungen dazu zu unterschiedlichen Ergebnissen. Der Wissenschaftliche Dienst hat sich etwa angeschaut, wie sich das Cannabis-Konsumverhalten kurz nach einer Legalisierung unter anderem in den USA, Portugal und Kanada verändert hat. Demnach ist die Zahl der Konsumenten wohl rückläufig, wenn auch nur leicht. Eine andere Erhebung zeigt jedoch, dass mit zunehmender Dauer der Legalisierung die Zahlen zunehmen. Man muss das differenziert betrachten. Interessant ist, dass die Old-School-Drogen, also Alkohol und Tabak, unter jungen Menschen deutlich weniger beliebt sind als noch vor 20, 30 Jahren. Bei Cannabis stagnieren wiederum die Zahlen. Dennoch könnte es sich auch hier ähnlich entwickeln.

Mit Heino Stöver sprach Tim Kröplin

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