Steinmeiers Pflichtdienst: Die jungen Menschen schulden euch gar nichts

Bundespräsident Steinmeier schlägt vor, dass junge Menschen einen „sozialen Pflichtdienst“ leisten müssen. Der Vorschlag kommt nicht nur zur Unzeit, er zeigt auch fehlendes Verständnis für junge Menschen.

Selten werden Ideen, die immer wieder vorgebracht werden, dadurch auch besser. So wie der Debattenanstoß von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vom vergangenen Wochenende. Der 66-Jährige hatte sich in einem Interview gewünscht, dass das Land über einen „sozialen Pflichtdienst“ für junge Menschen debattiere. Es gehe um die Frage, „ob es unserem Land nicht guttun würde, wenn sich Frauen und Männer für einen gewissen Zeitraum in den Dienst der Gesellschaft stellen“.

Die Vorstellung ist, dass jede und jeder für eine bestimmte Zeit, die Steinmeier offen lässt, wahlweise zur Bundeswehr geht, bei der Betreuung von Senioren hilft, in Heimen für Menschen mit Behinderungen oder bei Obdachlosenunterkünften unterstützt. Dass der Bundespräsident das nicht als seine Idee reklamiert, könnte daran liegen, dass sie nicht besonders gut ist. Das zeigen schon die Reaktionen innerhalb der Ampelkoalition: FDP und Grüne lehnen den Vorstoß ab. Selbst Diakonie-Präsident Ulrich Lilie hält wenig davon, er befürwortet lieber freiwilliges Engagement. Den einzigen Zuspruch gab es aus der Union. Überraschend ist das nicht, schließlich kommt die Idee aus der CDU. Die Ex-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer entwickelte sie 2018, bis heute kommt der Vorschlag immer wieder von CDU-Politikern.

Dabei klingt Steinmeiers Argumentation oberflächlich betrachtet erst einmal gut. „Gerade jetzt, in einer Zeit, in der das Verständnis für andere Lebensentwürfe und Meinungen abnimmt, kann eine soziale Pflichtzeit besonders wertvoll sein“, sagte er. „Man kommt raus aus der eigenen Blase, trifft ganz andere Menschen, hilft Bürgern in Notlagen.“ Das baue Vorurteile ab und stärke den Gemeinsinn. So weit, so gut. Aber dass der Gemeinsinn nicht allein Aufgabe der jüngeren Teile der Gesellschaft ist, sagt er nicht. Mit Steinmeier spricht jemand, der Teil der älteren Generation ist und die jüngere nicht als gleichberechtigt, sondern als Verfügungsmasse sieht.

Klimakrise, Wohnraum, Ukraine-Krieg

Auch der Zeitpunkt offenbart, dass jegliches Verständnis für die Jugendlichen fehlt. In den vergangenen zwei Jahren haben sie in der Corona-Pandemie ihr Leben eingeschränkt, um solidarisch mit den Älteren zu sein. Sie haben sich beim Impfen hinten angestellt und auf ihre Freiheiten verzichtet. Es gibt Studierende, die ihre Universität zwei Jahre lang nur virtuell gesehen haben. Nun, mit dem Krieg in der Ukraine, stehen sie wie alle anderen erneut vor einer ungewissen Zukunft.

Steinmeier sagt in dem Interview selbst, dass die Gewissheit, dass Frieden, Freiheit und Wohlstand garantiert seien, erschüttert sei. Die jungen Menschen von heute wachsen unter anderen Rahmenbedingungen auf als die Generationen vor dreißig, vierzig Jahren – und die von den Älteren verursacht wurden. Sie werden teilweise innerhalb von zwölf Jahren durch die Schule gejagt, um dann nach kurzem Studium möglichst schnell auf dem Arbeitsmarkt zu landen. Danach ist es für Berufseinsteiger fast unmöglich, in einer Großstadt bezahlbaren Wohnraum zu finden. Über allem schwebt der schleppende Kampf gegen die Klimakrise.

423 Euro Taschengeld

Und nun? Gerade als die pandemische Lage vor dem nächsten Corona-Herbst wieder sowas wie einen normalen Sommer zulässt, regt der Bundespräsident eine neue Pflicht an. Das eigentliche Ziel ist klar: Die jungen Leute sollen als billige Arbeitskräfte in den Bereichen aushelfen, in denen nicht nur die nötige Anerkennung, sondern auch Fachkräfte und eine faire Bezahlung fehlen. Ob das wirklich dabei hilft, den Gemeinsinn zu stärken, ist doch sehr fraglich.

Die „Älteren“ werden sich in der Debatte vermutlich an die eigene Zeit als Zivildienstleistende oder Wehrpflichtige erinnert haben. Die meisten erzählen davon, was das doch für eine wertvolle Erfahrung gewesen sei. Und weil das so ist, verbringen auch heute noch viele Jugendliche ihre Freizeit im Ehrenamt, bei Sportvereinen und Jugendorganisationen. Nach Angaben der Bundesregierung engagieren sich derzeit zudem rund 100.000 junge Menschen bei einem Jugend- und Freiwilligendienst. Dabei lernen sie vor allem das, was soziale Berufe in Deutschland kennzeichnet – schlechte Bezahlung und fehlende Anerkennung. Während eines FSJ gibt es beispielsweise monatlich maximal rund 423 Euro Taschengeld. Die Freiwilligendienste attraktiver zu machen, das wäre zumindest ein Beginn – und deutlich besser als eine Pflicht.

(Dieser Artikel wurde am Montag, 13. Juni 2022 erstmals veröffentlicht.)

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