Im Dezember 2013 beklagt sich Michael Schumacher bei seiner Frau Corinna über den mäßig guten Schnee in den französischen Alpen. Er erwägt, lieber nach Dubai zu reisen, um Fallschirm zu springen – noch so eine Leidenschaft des siebenmaligen Formel-1-Weltmeisters. Er bleibt aber in Méribel – und so verändert sich sein Leben und das seiner Familie auf tragische Weise.
Es ist der 29. Dezember.
Um kurz nach 11 Uhr stößt Michael Schumacher bei einem Schwung am Rand einer markierten Piste gegen einen Stein und wird ausgehebelt. Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Von einem Schädel-Hirn-Trauma ist die Rede. Im Universitätsklinikum Grenoble wird er in ein künstliches Koma versetzt. Vor dem Krankenhaus platzieren Fernsehanstalten hektisch Kameras und Korrespondenten, um die Welt auf dem Laufenden zu halten. Der Mann prägte die Formel 1, ist einer der berühmtesten Sportler des Planeten. Das Interesse an neuen Nachrichten ist gewaltig. Es wird viel spekuliert, auch über den Hergang. Fremdverschulden wird später ausgeschlossen. War er, der Tempo-Fetischist, gerast? Auch das wird ausgeschlossen. „Ich wusste von gemeinsamen Skiausflügen, dass Michael alles andere als ein Risiko-Skifahrer war, wie man es vielleicht bei einem Rennfahrer vermuten würde“, erinnert sich Norbert Haug. Pech, es war wohl einfach verdammtes Pech.
Die Frage aller Fragen, sie lautet: Wie geht es Schumi?
Dieser folgenschwere Skiunfall jährt sich an diesem Freitag zum zehnten Mal. So lange her – und noch immer hören und sehen Millionen von Schumacher-Fans nichts von ihrem Idol. Gut drei Monate nach dem Unfall heißt es, Schumacher zeige „Momente des Bewusstseins und Erwachens“, und am 16. Juni 2014 teilt seine langjährige Managerin Sabine Kehm mit, dass er nicht mehr im Koma liege. Seither schützen die Schumachers die Privatsphäre ihres Ehemannes, Vaters, Sohnes und Bruders – mit Hilfe der erfahrenen Medienexpertin Kehm.
Sabine Kehm im Fokus. Foto: DPA/David Ebener
Die Frage aller Fragen, sie lautet: Wie geht es Schumi? Hin und wieder sickert etwas durch, das Vermutungen zulässt, aber keine Hinweise auf Konkretes gibt. Im November 2018 macht Erzbischof Georg Gänswein Details von einem Besuch im Jahr 2016 öffentlich, und er sagt: „Man spürt, dass er Begegnungen wahrnimmt, dass er mit sich einen inneren Monolog führt.“
Ob es richtig oder falsch ist, diese schicksalhafte Geschichte hinter Verschluss zu halten, darüber werden oft Debatten geführt. Schumacher sei eine öffentliche Person, also müsse es möglich sein, etwas über ihn zu erfahren – sagen die einen. Andere sind zu Recht der Meinung, dass es einzig und allein die Angelegenheit der Familie sei, wie da verfahren werde, und sie respektieren das Bewahren der Privatsphäre. „Es ging immer darum, Privates zu schützen“, erklärt Felix Damm, der Medienanwalt der Familie Schumacher, gegenüber „Legal Tribune online“. Darüber, wie das möglich sein könnte, habe man viel diskutiert. „So haben wir auch mal überlegt, ob eine finale Meldung über den Gesundheitszustand von Michael hierfür der richtige Weg sein könnte. Doch danach wäre ja nicht Schluss gewesen, und es hätten dann permanent aktualisierte ,Wasserstandsmeldungen‘ erfolgen müssen. Denn als Betroffener hat man es nicht in der Hand, den Medien damit einen Schlussstrich zu verordnen.“
Schon von Anfang an ist der Schutz dieser Privatheit eine Mammutaufgabe. Als Schumacher in der Klinik gegen den Tod kämpft, kommt es in Grenoble bei dem riesigen Medienauflauf zu absurden Versuchen, Informationen zu erhaschen. Ein Journalist will – als Priester verkleidet – zu Schumacher vordringen; wahrlich der Gipfel der Unverfrorenheit. In den Jahren nach dem Unfall befindet sich der heute 54 Jahre alte Ex-Rennfahrer überdies oft auf den Titelseiten der Klatschpresse – mit Überschriften, die glauben machen sollen, in den Heften seien Details über seinen wahren Gesundheitszustand zu finden. Tiefpunkt dieser zweifelhaften Verkaufsstrategie liefert „Die Aktuelle“. Nach der Veröffentlichung eines erfundenen Interviews mit dem Ex-Piloten trennt sich die Mediengruppe Funke von der Chefredakteurin der Illustrierten, Anne Hoffmann.
Corinna und Michael Schumacher 2011 Foto: dpa/Fredrik von Erichsen
In einer Dokumentation aus dem Jahr 2021 öffnet sich die Familie Schumacher dann ein wenig und präsentiert sich dabei sympathisch, aber vor allem mutig. Corinna Schumacher vermisst ihren Mann. „Ganz klar, dass mir Michael jeden Tag fehlt, nicht nur mir. Die Kinder, die Familie, sein Vater, alle, die um ihn herum sind, vermissen ihn – aber Michael ist ja da“, sagt Corinna Schumacher. Sohn Mick hätte gerne seinen „alten“ Vater zurück. „Ich glaube, dass Papa und ich uns verstehen würden. Wir hätten viel zu bequatschen, und das ist auch die meiste Zeit in meinem Kopf, wo ich mir denke: Das wäre cool, das wäre es jetzt. Ich würde alles aufgeben – nur für das“, gibt der 24 Jahre alte Rennfahrer einen Einblick in die offenbar kaum vorhandenen Kommunikationsmöglichkeiten. Sein Bruder Ralf sagt: „Das Leben ist leider nicht immer fair, und hier war leider auch noch viel Pech dabei.“
Dank Michael Schumacher wurden die Rennsonntage zum Ritual
In der ARD-Mediathek ist zum Jahrestag des Unfalls eine weitere Dokumentation mit dem Titel „Being Michael Schumacher“ erschienen. „Jemand hört Michaels Namen, und ihm fällt sofort ‚Formel 1‘ ein“, sagt Managerin Kehm über den Mann, der die Rennserie in Deutschland zum Kultstatus erhob. Seine Rekorde, seine großen, teils aber auch gefährlichen Manöver – Schumacher wurde geliebt, doch man konnte sich auch immer an ihm reiben. Fußball-Weltmeister Bastian Schweinsteiger erinnert sich an ritualähnliche Rennsonntage vor dem Fernseher – Schumi gucken war stets ein Muss. Und der Ex-Basketballstar Dirk Nowitzki bezeichnet Michael Schumacher als „Ikone“.
Eine, die irgendwie weg ist – und doch da.
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