Finger weg! Das signalisiert ein Klebe-Tattoo, mit dem Mädchen Grapschern im Schwimmbad eine klare Absage erteilen sollen. Sexuelle Belästigung wird seit den Übergriffen in der Silversternacht in Köln stärker wahrgenommen. Wie sich Jugendliche dagegen stark machen und Eltern sie dabei unterstützen können.
Das Klebe-Tattoo mit dem Schriftzug „No“ unter einer stilisierten flammenden Hand gehört zu einer Kampagne aus dem Bodenseekreis, die derzeit Schlagzeilen macht. Unter dem Motto „Nein! Nicht mit mir!“ bestärkt sie junge Badegäste darin, sich gegen sexuelle Belästigungen zu wehren. Das Tattoo gibt es zusammen mit einem Faltblatt, das Kindern und Jugendlichen erklärt, wie sie bei einer Belästigung in Freibädern richtig reagieren. Die Kampagne wurde von der Frauen- und Familienbeauftragten der Stadt Tettnang initiiert und wird vom Landratsamt Bodenseekreis unterstützt.
Prompt kontert die Deutsche Gesellschaft für das Badewesen: Sie sieht keine Häufung von sexuellen Belästigungen in Schwimmbädern. „Es gibt keine Auffälligkeiten“, sagte Sprecher Joachim Heuser – weder insgesamt noch im Zusammenhang mit Flüchtlingen. Auch der Einsatz privater Sicherheitsdienste in Freibädern sei kein neues Phänomen, betonte er. In manchen Städten gebe es sie seit Jahren.
Viele junge Opfer schweigen zunächst
„Keine Häufung“ bedeutet aber nicht, dass nichts geschieht, zumal Hilfsorganisationen wie der Weiße Ring durchaus eine Zunahme sexueller Belästigungen verzeichnen.
„Hey, zeig‘ uns doch mal deine Möpse!“ Nach diesem Spruch von einer Männerclique im Schwimmbad hat die 15-jährige Laura genug und geht heim. Von dem Vorfall erzählt sie nur ihrer Freundin Milena – und die hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Ihre Eltern wissen davon ebenfalls nichts.
Die Namen der Mädchen sind zwar fiktiv – aber der Spruch ist in diesem Wortlaut gefallen. Viele sexuell bedrängte Teenager schweigen zunächst. Deshalb tauchen viele Fälle nicht in Statistiken auf. Oft ist den Betroffenen gar nicht bewusst, dass sie Opfer einer sexuellen Belästigung geworden sind. Als solche gelte ein unangemessenes, auf das Geschlecht einer Person abzielendes Verhalten, erklärt Frank Kempe vom Bundesfamilienministerium im Gespräch mit t-online.de.
Das Spektrum reicht demnach vom Anstarren oder anzüglichen Bemerkungen über unerwünschte sexualisierte Berührungen bis hin zu solchen körperlichen Übergriffen. Eine Definition gibt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG).
Bald wird auch „Grapschen“ geahndet
Das Problem dabei: Der geltende Straftatbestand der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung (§ 177 Strafgesetzbuch, StGB) erfasse nicht alle Formen sexueller Übergriffe, sagt Kempe. Diese Lücke soll geschlossen werden – mittels eines neuen Straftatbestands der sexuellen Belästigung, der auch das „Grapschen“ einschließt.
Ebenso wird auch die Bedrängung durch Gruppen künftig strafrechtlich geahndet. Tätergruppen seien eine besondere Gefahr für das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, betont Kempe. Die Übermacht der Täter verschlechtere die Lage des Opfers erheblich, wie die Vorfälle in Köln in der vergangenen Silvesternacht gezeigt hätten.
Opfer in der Statistik noch nicht erfasst
Die neuen Vorschriften sind jedoch noch kein geltendes Recht. Deshalb liefern Strafverfahrensstatistik und Polizeiliche Kriminalstatistik noch keine aussagekräftigen Zahlen zu sexueller Belästigung Minderjähriger. Hinweise auf eine alarmierende Entwicklung gibt hingegen eine entsprechende Erhebung des Weißen Rings, der Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer und ihre Familien.
Die Zahl sexuell belästigter Jugendlicher zwischen 14 und 18 Jahren, die beim Weißen Ring Hilfe suchen, ist in diesem Jahr im Vergleich zu 2015 deutlich angestiegen. Während die Organisation im ersten Halbjahr 2015 bundesweit 27 Übergriffe auf Jugendlichen zählte, waren es im gleichen Zeitraum 2016 bereits 44.
Dabei handelt es sich ausschließlich um Fälle, bei denen der Weiße Ring materielle Unterstützung leistete. Weitere Hilfeleistungen wie Begleitung zur Polizei oder zu Gerichten werden nach Angaben des Opferhilfevereins dort statistisch nicht exakt erfasst, ihre Zahl liege jedoch bedeutend höher.
In der Gruppe sicherer unterwegs
Keine Frage: Die gesetzlichen Anpassungen sind dringend erforderlich, um Täter bestrafen zu können. Doch sicheren Schutz vor sexueller Belästigung bietet auch eine rechtliche Neuregelung nicht. Erstrecht nicht ein Tattoo fürs Schwimmbad – aber hier geht es darum, Zeichen zu setzen und die Gesellschaft für das Thema zu sensibilisieren.
Bianca Biwer, Bundesgeschäftsführerin des Weißen Rings, hat generelle Tipps, um brenzlige Lagen zu vermeiden oder zu entschärfen: Jugendliche sollten auf ihr Bauchgefühl hören: Wenn sie die Situation auf einem Festival oder im Freibad als angespannt empfinden, sollten sie den Ort besser meiden. Jugendliche seien in einer Gruppe immer sicherer unterwegs, sagt Biwer. Wichtig sei, offen zu kommunizieren, ob sich ein Gruppenmitglied unwohl fühlt, bedrängt wird oder Hilfe braucht.
Im Notfall sofort Hilfe anfordern
Die Täter versuchen meist, ihre Opfer zu isolieren. Deshalb sei es entscheidend, umgehend Hilfe zu holen, etwa beim Busfahrer, beim Personal im Schwimmbad oder beim Sicherheitsdienst vor Ort.
Zudem rät Biwer Betroffenen, über die Notrufnummer 110 sofort die Polizei zu alarmieren. Ist das alles nicht möglich, sollten Opfer Mitfeiernde oder Umstehende ansprechen. Ein Satz wie „Sie da, helfen Sie mir, ich werde angegriffen!“ reiße Unbeteiligte aus ihrer Passivität und wirke dem Ziel des Angreifers entgegen, sein Opfer abzusondern.
Innerhalb der Familie geht es Biwer zufolge darum, Scham und Schuldgefühle des Kindes abzubauen und Unterstützung zu signalisieren – auch beim Gang zur Polizei. Dazu rät die Juristin unbedingt: Entsprechend geschulte Beamte reagierten mit Sensibilität auf die Not der Jugendlichen.
Kinder stark machen gegen Bedränger
Zu Hause gelte es, das Kind nicht zu bedrängen, betont Biwer. Wichtig sei, Heranwachsende in Gesprächen für das Thema zu sensibilisieren und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass niemand sie sexuell belästigen dürfe. In einer kritischen Situation vergessen Bedrängte selbst scheinbar Einfaches wie die Notfallnummer 110. Bei regelmäßiger Vermittlung wichtiger Inhalte sei die Chance dagegen größer, dass sie präsent blieben.
Beistand und Begleitung etwa zur Polizei oder Gerichten bieten Fachberatungsstellen wie der Weiße Ring an. Darüber hinaus vermitteln dessen Experten weiterführende und finanzielle Hilfen, zum Beispiel Hilfeschecks für eine psychotraumatologische oder anwaltliche Erstberatung. Das kostenfreie Opfer-Telefon des Weißen Rings ist bundesweit unter der Nummer 116 006 täglich von 7 bis 22 Uhr erreichbar.
Tipps zum Schutz vor Übergriffen:
– Rasches Einschreiten und Eingreifen der Eltern: Nicht über irritierendes Verhalten auch vertrauter Personen hinwegsehen, sondern der eigenen Wahrnehmung vertrauen und klare Grenzen ziehen.
– Sichere Orte schaffen: Eltern sollten die Personen, denen sie Kinder anvertrauen, sorgfältig auswählen und klar machen, dass weder körperliche noch verbale Gewalt akzeptabel sowie Grenzen und Intimsphäre des Kindes zu respektieren sind.
– Die Wahrnehmung des Kindes fördern: Kinder sollten ihre Gefühle und Grenzen kennenlernen. Beispielsweise sollten sie in der Abwehr des eingeforderten Kusses zur Begrüßung der Oma oder des Onkels bestärkt werden. Eine frühzeitige Sexualerziehung mit positiv besetzter Sprache für den gesamten Körper erleichtert zudem das Sprechen über Übergriffe.
– Selbst Vorbild sein: Eigene Grenzen achten und vertreten.
– Altersgerechte Gespräche über sexualisierte Übergriffe: Kindern fällt es leichter, über sexuelle Übergriffe zu reden, wenn das Thema bereits zur Sprache gekommen ist und sie die Haltung der Eltern dazu einschätzen können.
(Quelle: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend)
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