Privatsphäre von Kindern: Hinterherschnüffeln gehört sich nicht

Kinder und Teenager haben ein Recht auf Privatsphäre – auch gegenüber den Eltern. Für sie ist es tabu, ihren Kindern hinterherzuschnüffeln, an sie gerichtete Briefe und SMS zu lesen, in ihren Sachen kramen oder das Tagebuch aufschlagen. Erstens ist das eine Frage des Respekts, zweitens gibt es Dinge, die Eltern nicht wissen müssen.

Neugierig sind alle Eltern. Und sie möchten ihr Kind schützen, möchten seine Gedanken und Gefühle kennen, um möglichst früh einzugreifen, wenn Gefahr droht, sei es durch vermeintlich falsche Freunden, eine in Elternaugen verrückte Weltanschauung oder durch Aktivitäten im Internet. Das bedeutet aber nicht, dass man die Privatsphäre des Kindes verletzen darf – und wenn es noch so verlockend ist, sich mal schnell ins Handy des Kindes einzuloggen, um zu sehen, worüber es sich mit Freunden austauscht, oder gar das beim Staubsaugen unter dem Bett gefundene Tagebuch nur mal kurz aufzuschlagen.

„Das gehört sich einfach nicht“, unterstreicht Ulrich Gerth, Vorsitzender der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung, auf Nachfrage der Elternredaktion von t-online.de. „Ein Tagebuch zum Beispiel ist eine wichtige Ausdrucksmöglichkeit für das Kind, die der Stabilisierung dienen kann. Der Gefühlswirrwarr nimmt darin Form an und wird so greifbarer. Wenn man dies stört, nimmt man dem Kind etwas sehr Wichtiges und riskiert, dass sich Probleme noch vergrößern.“

Jeder Mensch hat das Recht auf Geheimnisse

In der UN-Kinderrechtskonvention heißt es: „Kein Kind darf willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung oder seinen Schriftverkehr ausgesetzt werden.“ Auch nicht von den eigenen Eltern.

Es ist ein schmaler Grat zwischen dem Recht auf Selbstbestimmung und dem Schutz des Kindes. Das zeigt sich insbesondere bei Medien- und Internetnutzung. Trotzdem bedeutet Privatsphäre, ungestört sein zu dürfen. Das gilt für das Badezimmer, in das sich das zehnjährige Mädchen einschließen möchte, genauso wie das Zusammensein mit Freunden, die Kinder sich selbst aussuchen dürfen, das Telefonieren und Chatten und für die Auswahl der Kleider. Es sollte für Eltern selbstverständlich sein, anzuklopfen, bevor sie das Zimmer betreten, und es sollte genauso selbstverständlich sein, kleine Geheimnisse zu respektieren. Befürchtet man, dass das Kind etwas Gefährliches verheimlicht, sollte man das aber ansprechen und dem Kind die emotionale Sicherheit geben, dass es sich anvertrauen kann.

Eltern, deren Kinder sehr offen sind, haben es leichter. Sie erfahren ihre Gedanken, Gefühle, Freundschaften, Wünsche und Probleme. Schwieriger wird es bei verschlossenen Charakteren, die die Dinge lieber mit sich selbst ausmachten. Vor allem Jugendliche ziehen sich gern zurück und es fällt Eltern nicht leicht, zu warten, bis das Kind Gespräch sucht.

Schnüffelnden Eltern fehlt das Vertrauen in die eigene Erziehung

Privatsphäre hat nicht nur etwas mit Respekt und Vertrauen zu tun, sondern auch mit Loslassen. „Eltern, die ihren Kindern hinterherschnüffeln, haben wenig Vertrauen in ihre erzieherische Kompetenz“, bringt es Diplom-Psychologe Gerth auf den Punkt. „Die zeigt sich nicht dadurch, dass man jeden Schritt begleitet. Man kann das eher sehen wie einen Samen, der sich entwickelt. Man hat etwas angebahnt und jetzt muss das Kind seinen Weg finden dürfen. Abgesehen davon liegt der Bereich, den Eltern beeinflussen können, bei einem Jugendlichen nur noch bei fünf bis zehn Prozent.“

Schon die Privatsphäre kleiner Kinder muss geschützt werden

Auch bei kleinen Kindern müssen Eltern die Privatsphäre respektieren. Dabei geht es weniger um Rückzugsraum, sondern zum Beispiel um ungefragtes Weggeben von Spielsachen oder um die nette Nachbarin, die es nicht lassen kann, das Kleine in die „ach-so-süße“ Backe zu zwicken. „Der Wunsch nach Privatsphäre kann sich bei einem kleinen Kind auch dahingehend äußern, dass es einfach nur dasitzen und träumen möchte, ohne gestört zu werden.“

Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß

„Ich will manchmal gar nicht wissen, was mein Sohn so alles treibt“, sagt Julia über ihren 14-Jährigen. Sie weiß, sie kann Konrad vertrauen. „Aber den einen oder anderen Blödsinn heckt er sicher aus, wenn er mit seiner Clique unterwegs ist. Wir waren doch da auch nicht anders, oder?“ Sie sucht das Gespräch mit ihrem Sohn, beobachtet seine schulischen Aktivitäten, lebt aber sonst frei nach dem Motto „was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“. Einzige Ausnahme: das Internet. „Wir schnüffeln Konrad auch hier nicht hinterher, aber wir reden viel mit ihm über die Gefahren im Netz und über die Grundregeln zum Beispiel beim Chatten. Und wir beschränken die Zeit, die er dort verbringen darf.“

Das direkte Gespräch suchen

Besonders schwierig wird für Eltern das Respektieren der Privatsphäre, wenn sie glauben, es gibt einen Grund, sich Sorgen zu machen. „Die allerdings werden sicher nicht geringer, wenn man dem Kind hinterherschnüffelt. Und selbst, wenn man etwas findet, kann man mit dem Kind nicht einmal darüber reden“, gibt Ulrich Gerth zu bedenken. „Besser ist es doch, das Gespräch zu suchen Sorgen direkt anzusprechen.“

Gelingt es allerdings nicht mehr, ein vernünftiges Gespräch mit seinem Kind zu führen, dann sollte man sich lieber Hilfe von außen holen, statt hinterherzuspionieren, rät Gerth, der das Caritas-Beratungszentrum St. Nikolaus in Mainz leitet. Es gibt in jeder Stadt Erziehungsberatungsstellen, die auch in ausweglos erscheinenden Situationen helfen können, wieder Zugang zueinander zu finden. Denn das Sprichwort „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ hat so noch nie gestimmt.

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