Lokalsport – Nowotny kritisiert Bayers Philosophie


Der Name Jens Nowotny ist eng verbunden mit Bayer 04 Leverkusen. Die Partie der „Werkself“ am Samstag (15.30 Uhr) bei Borussia wird sich der Ex-Nationalspieler trotzdem nicht live angucken. „Wenn ich ins Stadion gehe, dann fast nur auf Druck meiner Tochter. Die ist großer Leverkusen-Fan“, sagt der 43-Jährige im Restaurant „Salinas“ im Volksgarten, das er mit Paris Houdeloudis betreibt, der auch sein Partner in der gemeinsamen Spielerberater-Agentur ist.

Am Samstag ist die Fan-Begeisterung von Mia Nowotny allerdings nicht so groß, dass ihr Vater die knapp anderthalbstündige Fahrt aus dem Wohnort Kürten zum Borussia-Park antreten müsste. Dass es zwischen zwei durchaus offensivkräftigen Mannschaften ein gutes Spiel werden könne, schätzt der ehemalige Abwehrspieler indes nicht: „Ich habe schon so oft gedacht, das oder das könnte ein Top-Spiel werden. Und dann war es in neun von zehn Fällen ein Graupenkick“, sagt Nowotny trocken. Er ergänzt: „Mein Sohn spielt auf dem Dorf Fußball. Die haben neulich 0:3 verloren, aber das war ein Spiel, das ich mir gut angucken konnte. Da war alles drin: Spielzüge, Einsatz, die Jungs haben sich bemüht. Im Stadion gucke ich Spiele dann doch anders.“ Hinzu kommt: „Ich habe ja genug Spiele angeguckt, wenn ich verletzt war.“ Das war bei vier Kreuzbandrissen häufiger der Fall.

Fast elf Jahre spielte Nowotny für Bayer 04, das Ende kam dann abrupt und war unschön, der damals verletzte Spieler verklagte seinen Arbeitgeber, der ihn wiederum suspendierte. Am Ende trennten sich die Wege, der Innenverteidiger ging zu Dinamo Zagreb, wo die Karriere nach nur zehn Spielen endete. Groll hege er gegenüber Leverkusen nicht mehr, sagt der frühere Kapitän, es stört ihn sogar, dass seine erfolgreiche Zeit unterm Bayer-Kreuz auf dieses letzte halbe Jahr reduziert würde. Was aber bleibt: „Ich verstehe es halt immer noch nicht. Mit mir hat bis heute keiner gesprochen, warum das so lief – obwohl einige der handelnden Personen ja noch da sind und man sich im Stadion über den Weg läuft. Spätestens da merkt man: Das ist Geschäft. Da ging es nicht um etwas Persönliches, sondern um Zahlen und Fakten“, sagt Nowotny und ergänzt: „Dankbarkeit braucht man in dem Bereich nicht zu erwarten. Das ist ja ganz selten im Geschäftsleben. Und Fußball ist Geschäft, es ist sogar noch mehr geworden. Dass dir jemand am Ende eine Uhr gibt, weil du aufgehört hast, Fußball zu spielen, ist genauso selten geworden wie dass jemand beim Einkaufen danke oder bitte sagt.“

Eine weitere Ausprägung des Geschäftes Fußball ist die steigende Masse an Geld, die im Umlauf ist – 222 Millionen Euro kostete der Brasilianer Neymar, für den Argentinier Lionel Messi werden 400 Millionen aufgerufen. „Das ist noch nicht das Ende“, sagt Nowotny dazu. „Es wird immer Leute geben, die Geld haben und es aus einer Profil-Neurose heraus investieren. Das hat ja nichts mehr mit wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu tun. Bei 400 Millionen für Messi habe ich gedacht – okay, das ist auch für einen Milliardär viel. Dann habe ich aber gedacht – hm, dann hat der ja immer noch 600 Millionen übrig. Und von der Kategorie gibt es einige.“

Von solchen Summen war zu Nowotnys aktiver Zeit noch nicht die Rede, und überhaupt hat sich der Sport seit der Jahrtausendwende verändert. „Am liebsten gucke ich mir eigentlich U 15-Spiele an“, sagt der Ex-Profi daher. „Das ist das beste Alter, weil es gerade die Grenze ist, bei der taktische Form und Qualität zunehmen, aber der Fußball noch nicht so abgezockt ist.“ Ob die Nachwuchskicker dann wissen, wer da zuschaut? „Ich bin jetzt elf Jahre raus“, sagt Nowotny. „Junge Spieler, so Mitte 20, kennen mich noch, aber alles, was drunter ist – da wird dann das Handy gezückt und gegoogelt.“

Da werden die Suchenden auch dies finden: Nowotny hält den Bundesligarekord der meisten Platzverweise. Der steht bei acht: dreimal Gelb-Rot, fünfmal Rot. Ein Gladbacher hätte ihn einholen können, doch beendete Martin Stranzl im vergangenen Jahr mit sieben Platzverweisen (4 Gelb-Rot/3 Rot) seine Karriere bei Borussia. Und auch Luiz Gustavo (6/1) spielt nicht mehr in der Liga – einstweilen behält also der Ex-Leverkusener den Rekord. „Ich sage immer: Das ist der einzige Titel, den ich gewonnen habe, aber das stimmt nicht – ich war in Kroatien Meister“, sagt Nowotny. Sollte der Rekord doch irgendwann fallen – Bayerns Jérôme Boateng hat auch bereits sechs Platzverweise (2/4) – würde das „glaube ich an mir vorbeigehen. Es steht ja auch nicht auf meiner Visitenkarte als Errungenschaft meiner Vergangenheit“, sagt Nowotny lächelnd.

Vielleicht hätte eine aktuelle Innovation dem Abwehrmann seinerzeit ja geholfen: der Videobeweis. „Bestimmt. Es wurden mal alle acht Situationen beleuchtet, und bei vier war nix. Da hätte der Videobeweis geholfen“, sagt Nowotny, schränkt aber sogleich ein: „Ich glaube, du kommst mit dem Videobeweis nur noch mehr in Schwulitäten, weil damit ja auch Fehler passieren.“

Der Abstand zur Bundesligabühne schadet Nowotny nicht, etliche Kontakte sind geblieben. Im „Salinas“ waren unter anderem Fredi Bobic und Rainer Bonhof schon zu Gast. „Max Eberl hat gesagt, er kommt, wenn Borussia Meister geworden ist. Das fand ich ambitioniert“, sagt Nowotny lachend, ergänzt dann aber, Borussias Sportdirektor sei doch schon da gewesen.

Ihn selbst zieht es nicht auf die große Bühne. „Wenn, dann würde es nur Sinn bei Bayer machen“, sagt Nowotny. „Das war aber nie ein Thema, speziell nicht als Trainer.“ Allerdings sagt er über seinen Ex-Klub: „Das ist schon eine komische Philosophie: Du hast da einen super Jungen hinten rechts, Benny Heinrichs, der den Confed-Cup gewonnen hat. Und was macht Bayer? Holt einen fast gleichaltrigen Griechen (Panagiotis Retsos, Anm. d. Red.), und der spielt dann. Das ist ein tolles Zeichen an den deutschen Fußball.“ Jens Nowotny bleibt Bayer also verbunden – auch als Kritiker.

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