Krimilesung auf der Oker


„Oh Gott“, tönt es leise aus einer Ecke des Floßes, das langsam über die Oker gleitet. In den weit aufgerissenen Augen des Publikums flackert das Entsetzen, als Armin Rütters geheimnisvoll aus seinem realhistorischen Krimi „Der Elektriker“ vorliest, in dem die Kinder des Opfers schildern, sie hätten beobachtet, wie der Mörder ihre Mutter an Kabel angeschlossen und unter Strom gestellt habe. Die Kinnlade gibt nach, die Hand wandert vor den Mund, der Schock friert alle ein. Seit 2001 werden auf der Braunschweiger Oker, die den Mooren des Oberharzes entspringt und bei Müden in die Aller mündet, Kriminalgeschichten gelesen. Autoren begeistern mit ihren Romanen eineinhalb Stunden in der Abenddämmerung ein erwachsenes Publikum. Mischa Werner, der Organisator des Events „Mordsgeschichten auf der Oker“, betont, dass neben Armin Rütters auch Birgit Lautenbach, Thomas Ostwald, Hardy Crueger und viele weitere prominente Krimiautoren das Publikum bereits an Bord gezogen hätten. Es gebe viele Stammgäste, zwischen Mai und September kommen Krimifans aus ganz Deutschland.

Ihre Augen weiten sich

Bereits beim Betreten des großen, rustikalen und mit Bänken und Tischen besetzten Floßes, das 45 Passagiere aufnehmen kann, rätseln die Zuhörer, was wohl auf sie zukommt. Rütters empfindet beim Start der Tour „Euphorie“. Er versuche, für das, was er vorträgt, zu begeistern. So dauert es nicht lange, bis eine jüngere Frau schon während der ersten Geschichte aufschreckt und ihre Augen sich weiten. Rütters enthüllt, dass der Fall eine lokale Verbindung besitze. Verbrechen können sich näher als gedacht abspielen. Mit einem durchdringenden Blick ergänzt er, dass jeder dritte Mord nicht entdeckt werde. Mehrere Hörer blicken jetzt verblüfft zu allen Seiten, während die Sonne am Horizont verschwindet. Die Schatten der Bäume vom Ufer der Oker winden sich unheimlich im seichten Wasser und greifen nach dem Floß. „Die Stimmung auf der Oker ist einfach magisch“, betont Werner, während sich der Abend über den Fluss legt, der die Innenstadt von Braunschweig komplett umschließt.

Mehr als nur die bloßen Fakten

Der groß gewachsene gelernte Handwerker Mischa Werner musste sich aufgrund einer Augenerkrankung mit nur 20 Jahren beruflich neu orientieren. Zur selben Zeit erhielt sein Vater die Chance, den heutigen Bootsanleger „Oker Tour“ für Floß-Events und Bootsverleih zu übernehmen. Sein Vater fragte ihn, ob er dem Unternehmen beitreten wolle. Insbesondere der Umgang mit Menschen während der Touren bereite ihm viel Freude. „Oft habe ich nach der Tour mit den Gästen noch ein Glas Wein getrunken und mich sehr nett unterhalten“, erklärt der 42-jährige Braunschweiger, der selbst von Krimis begeistert ist. Im Verlauf der Fahrt treffen sich die Blicke der Zuhörer, und man erkennt das Glitzern darin. Die Faszination für Verbrechen und die menschlichen Abgründe schillert in ihren Augen. Armin Rütters gibt seufzend zu: „Manchmal ist mir das unheimlich, es gibt Menschen, die wollen das dann im Detail wissen.“ Eine junge Frau, ganz in Schwarz gekleidet, widmet Rütters ihre volle Aufmerksamkeit. Gleichzeitig tuschelt ein Teil des Pu­blikums, spekuliert, versucht flüsternd, Rütters’ Sätze zu beenden. Auf die Frage, wie sich das anfühlt, antwortet Rütters erfüllt: „Das ist ganz großartig, wenn ich merke, das Publikum geht richtig mit.“

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