Vor ihr liegen hundert verschiedene Spulen aus Holz, in denen grüne, blaue und rote Baumwollfäden eingespannt sind. Rosmarie Giezendanner hat ein besonderes Hobby: Die 73-Jährige klöppelt. Von einer selbst gemachten hellblauen Halsschleife, die sie trägt, bis zu aufwendigen Weihnachtskarten, alles ist dabei. Geschickt geht die Frau mit der weißen Kurzhaarfrisur mit ihrem modernen Mobilgerät um und führt das Interview über Whatsapp. Ihren Wohnsitz hat die gebürtige Toggenburgerin im schweizerischen Schaffhausen.
Musterbriefe aus dem Erzgebirge
In Annaberg, im Erzgebirge, wurden die ersten Musterbriefe aus dem 16. Jahrhundert gefunden. Diese sind wichtig, um, im wahrsten Sinne des Wortes, den Faden nicht zu verlieren. Denn dieser Brief wird auf dem Klöppelkissen befestigt und mit einer Folie abgedeckt, damit keine Druckerschwärze auf die Arbeit abfärbt. Auf ihm sind der genaue Verlauf der Fäden wie auch die Punkte, an denen die Nadeln zur Befestigung angebracht werden, ersichtlich. Die ältesten Kunstwerke entstanden in Herrenhäusern und dienten als Verzierungen an Hemdärmeln Adeliger sowie in den Kirchen als Altardecken. Eine Geschichte besagt, dass in Annaberg eine junge Adelige namens Barbara Uthmann lebte. Sie brachte den armen Frauen der Bergleute im Erzgebirge die Klöppelei bei und ermöglichte ihnen, einen geringen Nebenverdienst durch die Knüpfkunst zu erwerben.
Um klöppeln zu können, müssen einige Utensilien erworben werden: ein Kissen als Unterlage, die spindelförmigen und namengebenden Klöppel, um die der Faden gewickelt wird, ein Musterbrief und Stecknadeln, eine Schere, gutes Licht und eventuell eine Lupe, um den Faden deutlich zu sehen. Dabei kommt ein ordentlicher Betrag zusammen. „S’Chüssi allei chostet scho schnell bis zu 100 Franke, also du muesch scho chli Geld id Hand neh, sodass du überhaupt chasch aafange zum Klöpple“, sagt Rosmarie Giezendanner. Gearbeitet wird paarweise. Die beiden Schlegel werden übereinander gekreuzt und gedreht, sodass ein Fadenkreuz entsteht. Die Fäden sind dann miteinander verknüpft oder verwoben. Die Unterlage, auf der die Kunst entsteht, ist ein Kissen oder eine Rolle. In Deutschland ist das Klöppeln auf der Rolle beliebter.
Sogar mit Metall wird geklöppelt
In früheren Zeiten wurde vor allem mit Seide und Leinen gearbeitet. Heute kann mit allem Möglichen geklöppelt werden, sogar mit Metall, was die Schweizerin aber nicht angenehm findet. Sie klöppelt am liebsten mit Seide oder Baumwolle, diese Materialien liegen angenehm in den Händen. Immer wieder schlägt im Hintergrund eine Kuckucksuhr, die hörbar macht, wie schnell die Zeit vergeht. Rosmarie Giezendanner scheint fit zu sein. Das ist auch über die Kamera gut erkennbar. Als sie ein junges Mädchen war, hatte sie in der Dorfbibliothek das Jugendbuch „Klöppel-Anneli“ ausgeliehen. Dieses handelte von einem Mädchen in Lauterbrunnen, das unbedingt die Klöppelei erlernen wollte. „Das Buech hett mich sehr beidruckt, und ii han au wölle klöpple.“ Der Wunsch hielt an, aber erst vor 25 Jahren besuchte sie einen Kurs. Doch das Hobby ist zeitaufwendig und hatte im Leben der damals noch Berufstätigen keinen Platz. Die gelernte Kindergärtnerin arbeitete mit psychisch beeinträchtigten Erwachsenen. Nach der Pensionierung aber wurde die Kunst zu ihrer absoluten Leidenschaft. „Klöpple isch für mich e richtigs Ghirntraining. Ich muess nämlich luege, wie ii jetzt wiitervorgo muess.“ Einmal im Monat trifft sie sich mit einer Klöppelgruppe zu einem Abend, an dem geklöppelt wird. Voller Freude berichtet sie von der Feier zu ihrem 70. Geburtstag. Die Gäste schenkten der Jubilarin einen Gutschein für handgemachte Klöppel. So besitzt sie nun rund 100 Klöppel-Unikate, die extra für sie angefertigt und gekennzeichnet wurden.
Feine Tüllspitze in Belgien
Sie sagt, die Klöppelei sei wieder modern. Im Kunstgewerbe wird stark damit experimentiert. Klöppeln sei eher „frauenlastig“, doch die Schaffhausenerin kennt drei klöppelnde Männer. Einer ist mit dem Computer vertraut und entwarf seiner Frau Musterbriefe. Diese waren zwar schön, jedoch ließen sie sich nicht ausführen, da er keine Ahnung von der Klöppeltechnik hatte. Er erlernte die Kunst, sodass er nun selbst seine Musterbriefe nachklöppeln kann. Klöppelzentren sind das Erzgebirge in Deutschland, Lauterbrunnen in der Schweiz und das belgische Brügge. Jedes Land verwendet andere Spitzen: In Belgien wird oft ganz feine Tüllspitze benutzt, während in den östlichen Staaten eher mit Bändern gearbeitet wird.
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