Kein Frohes Fest? Familienstress an Weihnachten vermeiden

Eigentlich sollte Weihnachten eine friedliche und besinnliche Zeit sein, eine Zeit für die Familie. Aber auch wenn Jugendliche ebenfalls Wert darauf legen, haben sie oft ganz andere Vorstellungen von einem guten Weihnachtsfest als die Eltern. Warum Konflikte da so manches Mal unvermeidbar sind, erklärt der Diplom-Psychologe Ulrich Gerth, Vorsitzender der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke), im Gespräch mit t-online.de.

„Weihnachten ist ganz klar ein Fest der Familie, das in der Regel mit riesigen Erwartungen verbunden ist. Das bietet wenig Ausweichmöglichkeiten und garantiert eine erhöhte Grundanspannung. Das kann sich positiv entwickeln und dann wird es ein ganz tolles Fest. Es kann aber auch passieren, dass Konflikte, die man unter dem Deckel halten will, doch hochkommen. Gerade bei Jugendlichen kommen dann oppositionelle Grundhaltungen so richtig zutage.“

Auf die persönliche Einstellung zu Weihnachten kommt es an

Eine Dynamik, die man ganz allgemein von Familienfesten kennt. Die Erwartungen sind zu hoch. „Das hängt auch ganz stark davon ab, was das Weihnachtsfest in der Familie bedeutet. Wird es mehr religiös gesehen oder einfach nur als Familientreffen – was übrigens auch völlig in Ordnung ist. Ist es ein Höhepunkt im Jahr oder gestaltet es sich eher wie jeder andere Feiertag auch? Diese Frage, wie ich es selbst mit dem Fest halte und welche Bedeutung es für mich hat, muss ich mir stellen, bevor ich meine Erwartungen an den Jugendlichen richte“, sagt Gerth.

Wenn das Fest für die Eltern völlig sinnentleert ist, können sie von den Jugendlichen nicht erwarten, dass sie begeistert sind. „Wird es aber traditionell gehalten, dann kann man mit einer gewissen Beteiligung, in Maßen zumindest, durchaus rechnen.“

Das ist auch eine Frage des Respekts, denn gewisse Rituale gehören zu einem Fest einfach dazu – für alle Familienmitglieder. Doch die meisten Jugendlichen muss man darauf gar nicht explizit hinweisen, denn Traditionen stehen bei ihnen interessanterweise relativ hoch im Kurs, auch wenn sie das nicht immer sofort zugeben würden. „Ob man Traditionen mag und wie man damit umgeht, das zeigt sich oft erst Jahre später, meist dann, wenn man eine eigene Familie hat. Zwischendurch muss es aber auch mal eine Phase geben dürfen, in der man sich distanziert und eventuell auch einfach nur nicht zugibt, dass es einem eigentlich gefällt.“

Freunde sind in diesem Alter genauso wichtig wie die Familie

Eine vor wenigen Jahren durchgeführte Umfrage hat bereits den Beginn dieses Trends gezeigt: Rund 80 Prozent aller Deutschen unter 40 Jahren feiern bevorzugt im Kreise der Familie, nur jeder zehnte lässt den Abend im Club ausklingen. Dabei dürfte es sich um Jugendliche beziehungsweise junge Erwachsene handeln. Denn für die meisten gehört zu Weihnachten eben nicht nur der Baum und die Gans, sondern auch der Ausklang mit den Freunden. Das muss nicht der angesagteste Club der Stadt sein, das beginnt bei den etwas Jüngeren oft bereits mit dem Besuch der Christmette am späten Abend, bei der man die anderen treffen kann.

„Das ist für viele Jugendliche ihre Art, Weihnachten zu feiern“, weiß Gerth. „Die meisten gehen relativ spät weg, da kommt erst die Familie und dann kommen die Freunde und das ist, wie ich finde, eine gute Kompromisslösung. Immerhin ist es doch sehr schön, dass die Jugendlichen zumindest einige Stunden da sind.“ Und wenn es einem schwerfalle, sie dann ziehen zu lassen, dann helfe es oft, sich an die eigene Jugend zu erinnern und das Verhalten einfach zu akzeptieren.

Gemeinsames Weihnachtsfest bei Patchworkfamilien selten

Eine besondere Situation ergibt sich für die vielen Patchworkfamilien. „Es gibt Familien, da funktioniert es ganz wunderbar, wenn alle Teile zusammen Weihnachten feiern“, sagt Gerth. Seine Erfahrungen zeigen aber, dass es sich hier eher um Ausnahmen handelt. Er rät von einem gemeinsamen Fest ab, weil an einem solchen Tag zu viele Erwartungen und Erinnerungen hochkommen, die sich störend auswirken könnten. Besser ist es, den Level für sich selbst eher niedrig zu hängen und die Kinder an ihren unterschiedlichen Lebensorten feiern zu lassen.

„Bei getrennt lebenden Eltern haben es die Jugendlichen hier leichter als die Kleinen, da sie emotional lange nicht so gefangen sind. Sie haben viel mehr Entscheidungsfreiheit, wobei für die Kleinen die Eltern die Entscheidung über das Wie und Wo des Festes treffen. Jugendliche kann man dagegen durchaus selbst entscheiden lassen, wo und bei welchem Teil der Familie sie ihr Weihnachtsfest verbringen wollen. Allerdings funktioniert das nur dann wirklich gut, wenn sie wissen, dass sie, egal, wie sie sich entscheiden, nicht ins Kreuzfeuer geraten.“ Man darf also auch nicht beleidigt sein, wenn das Los auf den anderen fällt.

Kompromisse finden

Am besten ist es, bereits im Vorfeld die eigenen Erwartungen und Perfektionsansprüche nicht allzu hoch zu hängen und etwas mehr Gelassenheit zu zeigen. Denn sonst wird es umso schwieriger, Abweichungen zu ertragen. Statt verbiestert an der Familientradition festzuhalten, ist es besser, über seine Wünsche und Erwartungen zu sprechen, um Frust und schlechte Stimmung zu vermeiden.

Warum nicht einfach offen sein für kleine Änderungen des Ablaufs, wenn es möglich ist, damit alle Familienmitglieder glücklich zu machen? Hier lassen sich in der Regel immer Kompromisse finden, die für beide Seiten zufriedenstellend sind. Es ist wichtig für Jugendliche, zu merken, dass auch die eigenen Vorstellungen ernst genommen werden. Und zu wissen, wo die persönlichen Grenzen der Eltern sind. Schließlich bricht man sich auch mit 15 keinen Zacken aus der Krone, wenn man sich an ein paar Regeln hält.

Freiraum bedeutet nicht, auf Grundregeln zu verzichten

Am besten ist es, bereits im Vorfeld zu verhandeln. Allerdings früh genug und nicht erst in letzter Minute: „Denn auch, wenn Jugendliche gerne von einem Tag auf den anderen leben, der Familie hilft es, rechtzeitig vorher zu planen. Wobei man allerdings nie vergessen darf, ein wenig Verhandlungsspielraum einzukalkulieren“, rät Gerth. „Denn so kann man sich ein wenig hin und zurück bewegen, ohne dass die eigene ‚Erwachsenenvorstellung‘ von Weihnachten gleich dahin geht.“

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