Kategorie -Jugendliche

Délattre Dance Company, Mainz


Mal in grünes, mal in violettes Licht getaucht bringen die Tänzer der Delattre Dance Company die intimsten und abstraktesten Aspekte des Menschlichen zum Ausdruck. Vertrauen, Konflikte, Zerrissenheit oder Geborgenheit werden mit stummen Schreien, aufgerissenen Augen und zuckenden Armen und Beinen, dann wieder mit weichen, fließenden Bewegungen ausgedrückt. Die Spannung geht bis in die gekrümmten Fingerspitzen und überträgt sich auf das gebannte Publikum. Die Kompanie trainiert im „TanzRAUM“ in der Mainzer Neustadt und ist regelmäßig Bestandteil des Programms der Mainzer Kammerspiele. Voraussetzung für die Arbeit in der Company ist eine klassische Ballettausbildung, sie stellt jedoch nur die Grundlage dar, von der die Tänzer sich wieder entfernen sollen. Sie muss nur vorhanden sein, um auf das Modernste heruntergebrochen zu werden. „Der Delattre-Stil ist die moderne Art, klassisches Ballett zu tanzen“, fasst Paul Cartier, einer der Tänzer, zusammen. Zudem sei die physische Leistung bei der Auswahl neuer Talente zunächst zweitrangig. „Es wird gesucht, wer zur Kompanie und zu Delattres Arbeitsweise passt. Und wenn der Geist bereit ist, wird auch der Körper bereit sein.“

Ganz aus ihren Emotionen heraus

Für den Choreographen Stéphen Delattre geht es nicht darum, wie das Spiegelbild eines Tänzers aussieht und ob die Linie hübsch anzusehen ist, sondern dass die Bewegung eine überzeugende Wirkung auf den Zuschauer hat. Deshalb ist die Interpretation seiner Choreographien generell frei: Die Tänzer sollen ganz aus ihren Emotionen heraus arbeiten, die sie in diesem Moment des Tanzens fühlen. So kann die gleiche Choreographie an verschiedenen Tagen unterschiedlich aussehen. Improvisiert sei sie deshalb aber nicht, „weil sie ganz menschlich aus einer Emotion heraus entsteht. Die Natur ist ja auch nicht improvisiert“, erklärt Paul Cartier. Trotzdem sei es ihnen für wenige Momente in einem Stück auch freigestellt, sie selbst mit Bewegungen zu füllen, ganz so, wie es gerade zu ihnen komme. Da die Tänzer ganz ihren Intentionen folgen, fühlen sich ihre Bewegungen für sie selbst am organischsten an und wirken am überzeugendsten. „Der Zuschauer muss es zum Beispiel sofort verstehen, wenn der Tänzer auf der Bühne von einem Tier zu einer Blume wird.“

Charaktere müssen in Bewegungen übersetzt werden, Eigenschaften einer Figur nur durch ihren Tanz zum Ausdruck kommen. „Der Tanz ist sehr nah am Schauspiel, aber wir haben es eigentlich schwerer, weil wir meistens unsere Stimme nicht benutzen. Wir müssen alles mit Körper und Gesicht ausdrücken, und natürlich muss alles zu der Figur passen, die wir verkörpern“, erklärt Mélanie Andre. Die blonde Französin wird erneut in der Hauptrolle in „Alice im Wunderland“ zu sehen sein. „Zu einem kleinen Mädchen wie ihr passen zum Beispiel keine eckigen Bewegungen. Wir arbeiten dann vor allem an der generellen Art, wie sich ein bestimmter Charakter bewegen würde.“

Bei den Wettbewerben immer gestresst

Bei der Entwicklung einer neuen Choreographie arbeiten die Tänzer eng mit dem Choreographen zusammen. Am Anfang eines neuen Stückes stehen meist Workshops, bei denen sie viel improvisieren, um Ideen zu sammeln. „Wir sollen dann zum Beispiel ein Solo tanzen, zu einem bestimmten Thema und in einem bestimmten Zeitraum“, erklärt Mélanie Andre. „Die Bewegungen, die wir anbieten, kann der Choreograph dann nach seinen Vorstellungen weiter formen und daraus nach und nach die Choreographie entwerfen.“ Antoine ­Salle formuliert es etwas poetischer: „Das Werkzeug des Choreographen sind Körper und Geist des Tänzers.“ Anders als die meisten Tänzer hat Antoine nicht von klein auf Ballett getanzt, sondern zunächst acht Jahre lang geturnt. „Ich war bei den Wettkämpfen aber immer so gestresst, dass ich einfach nicht mehr ich selber war. Eigentlich wollte ich immer etwas Künstlerisches machen. An meiner Schule in Frankreich hat ein Tänzer der Pariser Oper dann mal eine Master­class gegeben, und da wusste ich endgültig, dass ich Tänzer werden will. Man muss da sehr früh in Akademien anfangen, wenn man Profi werden will, aber ich hatte genug Talent und eine sehr gute Tanzschule. Die war nicht so groß, und alles war viel persönlicher.“

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Kult-Comicmagazin wird 50: „Zack“ – die knallbunte Welt von Lucky Luke & Co

Das Magazin bringt viele klingende Namen wie Lucky Luke oder Valerian hervor: In den 1970ern ist „Zack“ die Bibel der Babyboomer. Die deutsche Popkultur verdankt dem Heft viel. In den 1980ern untergegangen, taucht es 1999 unter Jubel wieder auf – „Zack“ erscheint bis heute.

Unter vielen Menschen hält sich hartnäckig der Irrglaube, die 1970er-Jahre in Westdeutschland seien eine tolle Zeit zum Jungsein gewesen. Ein Land im Aufbruch unter einer Haschwolke, die Menschen in Schlaghosen und Miniröcken – und jede Woche kommen David Bowie oder die Sex Pistols zum Konzert vorbei.

In Wirklichkeit war das Jahrzehnt für Kinder und Jugendliche entsetzlich langweilig. Vor allem in Kleinstädten. Nur drei Fernsehprogramme, von denen eines in den Ferien abgeschaltet wurde. Das Telefon hatte eine Wählscheibe und man musste es sich oft mit Geschwistern teilen. Doch einmal pro Woche kam im DIN-A4-Format eine kunterbunte Welt ins Haus, in der echte Kerle durch die Zeit reisten, Kavallerie gegen wütende Sioux kämpfte und Piloten kostbare Atombomben vor pickeligen Superschurken retteten: Sie hieß „Zack“ – ein quirliges Comic-Magazin, wie es das hier vorher so nicht gegeben hat.

Selbsterklärte „Zeitschrift für Jungs“

Vor 50 Jahren, am 13. April 1972, erschien die selbsterklärte „Zeitschrift für Jungs“ zum ersten Mal. Schon das Titelbild war jede Woche ein Glücksversprechen. Unter dem dynamischen „Zack“-Logo rasten Rennautos, donnerten Düsenjets oder fuhren Astronauten in einem Mondauto. Ob der tollkühne Rennfahrer Michel Vaillant, der wettergegerbte Seefahrer Andy Morgan oder der schwermütige Cowboy Blueberry: „Zack“ bot herausragenden europäischen Comics die erste große Bühne – gezeichnet mit Bildern wie aus einem Spielfilm und meist mit fesselnder Dramaturgie.

Viele dieser Serien würde man heute Graphic Novel nennen. Der Clou: Auf dem Höhepunkt wurde die Geschichte auf die Folgewoche vertagt. Fortsetzung folgt. So fanden gut ein halbes Dutzend Comicformate auf 50 Seiten Platz.

Übernahme hochkarätiger Serien aus Frankreich und Belgien

„‚Zack‘ hat mit der Übernahme vieler hochkarätiger Serien vor allem aus Frankreich und Belgien das Fenster zu einer in Deutschland seinerzeit weitgehend unbekannten Comic-Welt geöffnet“, sagt der Comicexperte Andreas C. Knigge ein halbes Jahrhundert später. Damals hätten Hefte „nach Rezepten von vorgestern“ den Markt dominiert. „‚Zack‘ präsentierte sich als großformatiges Magazin mit einem Strauß unterschiedlicher Themen vom Western bis zur Science-Fiction.“ Das Neue und Frische habe den Geschmack der jungen Generation getroffen.

Die „junge Generation“, das waren die Babyboomer-Jahrgänge bis 1970. Neben knochenharten Heldengeschichten bot „Zack“ auch den lustigen Lucky Luke oder die Zeitreisenden Valerian und Laureline. Es gab eine Story der legendären „Tim und Struppi“-Serie. Und man brachte die TV-Serie „Enterprise“ gezeichnet ins Blatt. Auf Sonderseiten wurde Olympia 1972 erklärt. „Zack“ markiere den Beginn einer Comic-Moderne in Deutschland, sagt Knigge. „Die meisten Serien sind noch immer präsent, jetzt in Albumform oder als Liebhaberausgaben.“

Kleiner und seltener, aber immer noch da

50 Jahre nach der ersten Ausgabe erscheine „Zack“ immer noch, zwar monatlich und in kleinerer Auflage – aber immerhin, so Knigge. Was könne die enorme Wirkung des einst legendären Magazins besser illustrieren? „Das Heft war 1972 eine qualitativ hochwertige Alternative zu den Marktführern ‚Micky Maus‘ und ‚Fix & Foxi‘, die eher jüngere Leser ansprachen“, sagt der heutige Herausgeber Georg F.W. Tempel (Blattgold) rückblickend. „Zack“ sei für männliche Leser über zehn Jahre gedacht gewesen. „Diese geballte Ladung von franko-belgischen Abenteuer-Comics gab es so im deutschsprachigen Raum noch nicht.“

Das alte „Zack“ legte aber auch viel Wert auf Leserbindung und einen gewissen bildungsbürgerlichen Anstrich. Auf der letzten Seite wurden nerdige Leserbriefe beantwortet. Markus aus Lienz wollte wissen: „Welcher Indianerstamm führte zuerst das Skalpieren ein?“ (Epische Antwort zusammengefasst: Es waren nicht die Ureinwohner, sondern die Weißen.) Hermann aus Leutkirch interessierte der Erfinder der Kanone (Die Kurzfassung: Es war der französische Oberst Charles Valérand Ragon de Bange). Auch ein großes Thema der letzten Seite: Rekorde. Wie „Das teuerste Auto fährt der amerikanische Präsident Nixon.“

1980 Einstellung – 1999 Wiederbelebung

Tja, nicht nur für Nixon entwickelte es sich ungemütlicher. Lange hatte „Zack“ frankophone Helden der 1960er-Jahre publiziert. Neue Geschichten mit Klasse zu finden, wurde zum Ende der 1970er schwerer. 1980 stellte der Koralle Verlag das Magazin nach 291 Ausgaben ein. Die Mode habe sich verändert, zudem habe sich die Redaktion zu spät um eigene Zeichner bemüht, sagen Beobachter heute. „Das Konzept hatte ausgedient, auch in anderen europäischen Ländern“, sagt Knigge.

1999 bejubelte die Szene die Wiederbelebung und bis Herbst 2020 erschien „Zack“ bei Mosaik in Berlin, bevor das Redaktionsbüro Blattgold in Bad Dürkheim das Heft übernahm. Die Pfälzer feiern das Jubiläum unter anderem mit einer 100-seitigen Ausgabe und einer limitierten Box.

Zuversicht für den 60. Geburtstag

Heute sei man weit weg von den 450.000 Exemplaren des ersten Heftes, so Tempel. „Die Auflage liegt bei rund 8000 Exemplaren. Gelesen wird es primär von den heute älteren Jungs, die schon zwischen 1972 und 1980 ihre Liebe zum Heft entdeckt hatten. Jüngere gibt es aber auch.“

Damit Zack eine Zukunft habe, müsse das Heft seine Mischung aus einer Prise Nostalgie in Form bekannter Comic-Serien und neuen tollen Inhalten beibehalten, meint Herausgeber Tempel. Dabei dürfe das Neue nicht zu modern oder avantgardistisch sein, sondern müsse bestimmten optischen und inhaltlichen Regeln folgen. „Ich bin guten Mutes, dass wir in zehn Jahren den nächsten runden Geburtstag feiern werden.“

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Ballettschule der Oper Paris


Es ist hart, als Junge Ballett zu tanzen.“ Selbst eine so weltoffene Stadt wie Paris ist in Teilen der Gesellschaft nicht gänzlich frei von homophoben Tendenzen, die sich bis heute, bewusst oder unbewusst, in der öffentlichen Wahrnehmung professioneller männlicher Balletttänzer manifestieren. 130 Nachwuchstalente aus aller Herren Länder werden an der Tanzschule der Pariser Oper in sechs Jungen- und sechs Mädchenklassen ausgebildet. Bastien Galipaud aus Longpont-sur-Orge im Département Essonne ist einer der wenigen, die die harte Aufnahmeprüfung mit Bravour gemeistert haben.

Seine außergewöhnliche Gabe

Seit Januar vergangenen Jahres ist er an der École de l’Opéra national de Paris und widmet alle seine Nachmittage dem klassischen Ballett. Seine ehemalige Tanzlehrerin Catherine Maintier, die selbst Profitänzerin war, erinnert sich: „Schon als ich ihn das erste Mal den Saal betreten sah, wusste ich, dass dieser Junge eine außergewöhnliche Gabe hat.“ Sie war es auch, die Bastiens Eltern dazu ermutigte, ihren Sprössling zum großen Vortanzen nach Paris zu schicken. Für Papa Xavier bedeutete die bestandene Aufnahmeprüfung seines ältesten Sohnes aus dem beschaulichen Städtchen südlich von Paris erst mal ein Wechselbad der Gefühle: „Es bringt unsere Familiendynamik aus dem Gleichgewicht. Zu sehen, wie unser neunjähriger Sohn sein Zuhause für ein Leben im Internat verlässt, geht nicht spurlos an einem vorbei. Aber er ist dort in seinem Element und kann seinen Traum leben.“

Seine Eltern und die beiden jüngeren Brüder, die Bastien nur noch an den Wochenenden sieht, vermisst der mittlerweile Zehnjährige. Aber auch seine ehemaligen Klassenkameraden und Schulfreunde fehlen ihm. Während der Ausbildung muss Bastien akribisch auf seine Gesundheit achten. Einige Sportarten, die von der Tanzschule als potentiell gefährlich eingestuft werden – darunter auch das heiß geliebte Skifahren –, darf er nicht mehr praktizieren. Die Schule selbst achtet darüber hinaus auf eine gesunde und ausgewogene Ernährung, legt aber auch großen Wert darauf, die Kinder und Jugendlichen nicht radikal auf Diät zu setzen: „Es gibt manchmal sogar Pommes und Nuggets zum Mittagessen“, sagt Bastien. Sofern die Schülerinnen und Schüler aus dem Ausland die französische Sprache zu Beginn ihrer Ausbildung noch nicht zu 100 Prozent beherrschen, müssen sie diese schnellstmöglich erlernen, „auch wenn es hart für sie ist“, meint Bastien. Denn die schulische Kommunikation erfolgt nicht auf Englisch, sondern selbstredend auf Französisch.

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In Vino Verena: Sexismus und Pornos sind Alltag an Schulen

Immer mehr Kinder und Jugendliche kommen sehr früh mit Pornos in Berührung. Unsere Kolumnistin über ein 15 Jahre altes Mädchen, das Versenden von Nacktbildern und die Sexualisierung an unseren Schulen.

Mathilda ist stinksauer auf ihre Mutter. Denn die hat ihr Handy-Verbot erteilt und ihre Instagram-App deinstalliert. Mathilda ist die Tochter meiner Freundin, sie ist 15 Jahre alt und alle ihre Klassenkameraden haben einen Instagram-Account. In der Schule schreibt sie gute Noten, sie interessiert sich für Mode und Musik. In letzter Zeit aber gab es öfter Ärger, weil Mathilda sich gern ihre Lippen vergrößern würde. „Nur ein bisschen“, sagt sie, die seien „einfach zu schmal“. Sie sei leider „nicht so hübsch“ wie die Mädchen aus ihrer Klasse, von denen fast alle einen größeren Busen, einen Freund und auch schon Sex haben.

Als ihre Mutter auf dem Handy freizügige Fotos ihrer Tochter fand, kam es zum Streit. Denn erst vor Kurzem hatte sie sie eindringlich über die Gefahr solcher Bilder gewarnt, auch wenn Mathilda beteuert, ihr Schwarm habe ihr versprochen, sie niemandem zu zeigen.

Mathilda ist nur eines von Millionen Mädchen, das bereits in sehr jungen Jahren sexuell aufgeklärt wurde. Und zwar durch das Internet. Allem voran durch Social Media, aber auch durch Pornos, die die Jungs aus ihrer Klasse auf dem Schulhof herumzeigen. Das sei nichts Besonderes, jeder habe so ein Video schon mal gesehen, sagt Mathilda ein bisschen genervt.

Nacktbilder, diverse Filmchen von Sexpraktiken, das ist vor allem unter Jungs längst die neue Währung auf dem Schulhof. Wer kein Nacktfoto seiner Freundin vorweisen kann, gilt als Loser. Es ist ein irrer Wettstreit, der Heranwachsende, besonders Mädchen, enorm unter Druck setzt. Ist mein Busen groß genug? Sind meine Lippen wohlgeformt? Bin ich überhaupt schön?

Pornos auf dem Schulhof sind kein Lausbubenstreich

Viele Eltern verzweifeln mittlerweile an den Wünschen ihrer Töchter, das Gesicht und den Körper verändern zu wollen, um einem Schönheitsideal zu entsprechen, das durch realitätsferne Pornos und Instagram-Filter geprägt wird.

Sexualisierung an Schulen: Lehrer schlagen schon lange Alarm. Es scheint, auf jegliche Form der Aufklärung – sei es im Unterricht oder durch die Erziehungsberechtigten – folgen zehn weitere „Schulhof-Pornos“, die das Bild vom Sex im Kopf der Jugendlichen weiter verzerren.

Ich glaube, wir sind uns als Gesellschaft darin einig, dass man gegen den frühen Sexismus unter Jugendlichen nur mit intensiven Präventionsmaßnahmen und sensibler Medienbildung ankommt. Längst aber hat sich eine gewisse Resignation eingeschlichen, denn die auf dem Schulhof gezeigten Sexfilme, in denen Frauen meist in herabwürdigender Art und Weise dargestellt werden, sind längst überall. Es ist wie eine Seuche. Das sagt nicht nur meine Freundin, sondern, wie ich nach kurzer Recherche zu diesem Thema erfahre, auch viele Lehrer und Lehrerinnen.

Pornos auf dem Smartphone zu haben, sie auf dem Schulhof herumzuzeigen und zu verbreiten: Das ist kein Lausbubenstreich, sondern erfüllt den Sachverhalt einer Straftat, für die sich auch Minderjährige zu verantworten haben. Man kann es nicht kleinreden: Viele Schulen sind mittlerweile Orte, an denen jeden Tag Sexismus stattfindet, an denen Mädchen sexualisiert und auf ihre sekundären Geschlechtsteile reduziert werden.

So viel Informationsmöglichkeiten, so wenig Wissen

Zurück zu Mathilda: Vor ein paar Wochen war sie mit ihrer Mutter das erste Mal bei einer Gynäkologin, die sie beriet und mit der sie über ihre ersten sexuellen Erfahrungen sprach. Denn Mathilda ist verwirrt und zutiefst verunsichert, auch wenn sie selbst sagt, ihre Mutter würde „übertreiben“. Diese wiederum meint, ihre Tochter habe überhaupt kein natürliches Körpergefühl durch „diesen ganzen Social-Media-Mist“. Wie Sex sein und ihr Körper aussehen sollte, das habe sie vor allem durch ihre Freundinnen und das Internet erfahren.

Im Wartezimmer der Frauenarzt-Praxis hängt ein Poster einer Künstlerin. Es zeigt Vulven in unterschiedlichsten Formen und Größen. Die Gynäkologin, die viele junge Mädchen wie Mathilda berät, sagt, sie habe sich früher nicht vorstellen können, dass im Jahre 2022, wo die Möglichkeiten Wissen zu erlangen so mannigfaltig seien, so viel Unwissen herrsche. Anders als noch vor wenigen Jahren würden viele junge Mädchen heute glauben, sie seien sexuell vollständig aufgeklärt und bräuchten keinerlei Beratung mehr.

Dazu zählt leider immer wieder der Irrglaube, mit ihrem Aussehen oder ihrem Geschlecht sei etwas nicht in Ordnung. Meist, weil der Freund gesagt habe, ihre Vulva sähe ja überhaupt nicht aus wie die Vulven, die er aus den Pornos kenne.

Die verunsicherten jungen Frauen, so die Gynäkologin, seien manchmal regelrecht benebelt durch zu viele Informationen. Viele würden sich teils mit einer Flut an Fragen an sie wenden, die mitunter haarsträubend seien. Manche berichten voller Scham von ihren ersten sexuellen Erlebnissen. Andere glauben, Sex sei etwas, was die Frau für den Mann mache. Die Ärztin sei schockiert darüber, wie viele junge Frauen wenig bis gar kein Selbstwertgefühl haben.

Vom Druck dazuzugehören

Aber auch die jungen Männer würden unter enormem Druck stehen. Die Pornos, die sie in so jungem Alter konsumieren, ließen sie glauben, dies sei die sexuelle Realität, der sie gerecht werden müssen. Der natürliche Zugang zur eigenen Sexualität, so die Gynäkologin, sei vielen Jungen und Mädchen durch den frühen Zugang zur Pornografie verwehrt geblieben.

Ich erzähle Mathilda davon, wie ich in ihrem Alter war. Ihre Mutter verdreht die Augen und lacht. Ich berichte, wie ich mich von meinen Eltern in dickem Parka und Jeans verabschiedete und im Keller längst die Klamotten für die Disco versteckt hatte. Von den Liebesbriefen, die ich an Jungs schrieb. Von Küssen im Treppenhaus und Fummeleien auf der Parkbank.

Ich erzähle ihr auch davon, wie ich mir einst ein VHS-Video anschaute, auf dem – der Film war schon zu Ende – plötzlich die Reste eines Pornos liefen. Und wie sehr ich staunte, mich das Gesehene aber auch abschreckte. Denn die Jungs, in die ich verliebt war, behandelten mich nie so, wie die Frauen in den Pornos behandelt wurden und werden.

Mathilda sagt, sie habe keine Lust, die nächsten Wochen ständig über Sex, Pornos und Instagram zu quatschen. Aber sie sagt auch, sie würde nun lieber eher „old School“ Liebesbriefe schreiben, statt nochmal ein freizügiges Foto zu versenden, wir könnten jetzt also wirklich endlich aufhören zu nerven.

(Dieser Artikel wurde am Samstag, 09. April 2022 erstmals veröffentlicht.)

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Krisen-Clearinggruppe Kinder

Krisen-Clearinggruppe Kinder

Das Kind ist da, und plötzlich sehen sich Eltern mit der Aufgabe überfordert, es großzuziehen und Verantwortung zu übernehmen. „Dies ist heutzutage kein Einzelfall, denn die Fälle steigen immer rasanter an. Doch dafür sind wir da und bieten unsere Unterstützung an“, sagt Caroline Gusowksi. Die Frau mit braunem Haar und Brille, auch Caro genannt, macht eine berufsbegleitende Ausbildung zur Erzieherin in Berlin und ist im zweiten Lehrjahr. Die 30-Jährige erzählt: „Ich habe zuvor als Hauswirtschaftlerin gearbeitet und schon in vielen privaten Haushalten Berufserfahrung gesammelt. Doch in mir wuchs der Wunsch, eine weitere Ausbildung zu machen.“ Nun ist sie in einer Krisen-Clearinggruppe, in der es neun Plätze für Kinder und Jugendliche von drei bis sechzehn Jahren gibt, die vom Jugendamt aus ihren Familien genommen wurden. Der Aufenthalt in der Einrichtung ist eine Art Zwischenstation, bis über das Schicksal der Kinder entschieden ist. Die Ursachen für eine Inobhutnahme sind vielfältig. Oft sind die Eltern nicht mehr in der Lage, ihre Kinder richtig zu versorgen und sich ausreichend zu kümmern. Dies steht oft mit der Ausübung von körperlicher oder seelischer Gewalt in Verbindung und stellt einen großen Einschnitt in ein Kinderleben dar. Jedoch gebe es auch ungewöhnliche Situationen. „Einmal hat sich eine hochschwangere Mutter beim Jugendamt gemeldet, weil sie kurz vor der Entbindung stand und ihre Söhne während der Geburt nicht unterbringen konnte. Es bestand kein Kontakt zum Kindesvater oder zu anderen Verwandten, weshalb die Kinder für einen kurzen Zeitraum bei uns in der Gruppe aufgenommen wurden.“

Um eine gute Rückkehr zu ermöglichen

In erster Linie geht es um die professionelle Betreuung und Versorgung der Kinder. Durch die pädagogische Arbeit der Erzieher sollen sie sowohl psychisch als auch sozial gestärkt werden, um eine gute Rückkehr in ihre Familien zu ermöglichen. „Zu unseren Aufgaben gehört es vorrangig, die elterlichen Aufgaben zu übernehmen. Dazu zählt die Zubereitung von Mahlzeiten, einkaufen gehen, die Begleitung zu Arztterminen, Spielangebote in der Gruppe oder auch den Kleinkindern Hilfestellung beim Anziehen zu geben.“ Die Schüler werden von einem Fahrdienst zur Schule gebracht und abgeholt. „In einigen Fällen kommt es vor, dass ein Elternteil nicht mit der aktuellen Situation umgehen kann und versucht, das Kind in der Schule aufzusuchen oder mitzunehmen.“ Allerdings ist der Kontakt außerhalb der angeordneten Besucherzeiten verboten und beeinträchtigt den Clearingprozess. Caroline Gusowksi berichtet über weitere organisatorische Tätigkeiten,. „Durch die Erzieher werden wöchentlich Berichte an das Jugendamt geschrieben und Gespräche mit den Schulen und Kitas geführt.“ Dies sei wichtig, um die bestmöglichen Entscheidungen für das Kindeswohl zu treffen. Auch durch persönliche Gespräche mit den Kindern wird ein guter Einblick in ihre Gedanken- und Gefühlswelt vermittelt, um sich besser in ihre Situation zu versetzen.

Die Krisengruppe ist für Kinder und Jugendliche eine sichere Anlaufstelle, um schwierige und traumatische Hintergründe zu verarbeiten. Es wird ihnen gezeigt, dass das Erlebte nicht der Normalität entspricht und sie die Chance auf ein besseres Leben haben. Für die junge Frau ist es das Schönste, die Entwicklung und die Fortschritte mit anzusehen; auch wenn die Kinder nur für einige Wochen in Obhut sind, baut sich eine vertraute Beziehung auf. „Für mich ist es eine große Hilfe, ihre Probleme besser zu verstehen, und es zeigt mir, dass sie schon sehr viel Vertrauen gefasst haben.“

Es gibt Entscheidungen, die schwer nachzuvollziehen sind

Während des Clearingprozesses arbeiten die Erzieher eng mit den Jugendämtern zusammen und teilen ihnen ihre Empfehlungen mit. Im Fokus steht hier immer, die bestmögliche Entscheidung für das Wohl der Kinder zu treffen, doch schlussendlich liegt die endgültige Entscheidung beim Jugendamt. Aus diesem Grund treten bei Caroline Gusowksi Unmut und Unverständnis auf, wenn das Amt nicht nach den Empfehlungen der Krisen-Clearinggruppe geht. Es kommt nicht oft vor, dennoch gibt es Entscheidungen, die schwer nachzuvollziehen sind. „Es gibt einen Fall von einem Mädchen, das in einer Pflegefamilie aufgenommen werden sollte. Unser Team gab die Empfehlung, dass das Kind nach zwei Wochen Anbahnungszeit mit den Pflegeeltern bereit war, umzuziehen. Sie hatte sich schon sehr gut von der Gruppe gelöst und Vertrauen zu ihren neuen Eltern gefasst, jedoch erfolgte der Umzug erst nach mehreren Wochen.” Andererseits gebe es auch den Fall, bei dem das Kind zu schnell wieder zurück zu den Eltern geführt werde.

Viele Geschichten berühren das Herz

„Die Arbeit ist sehr anspruchsvoll und kostet viele Nerven, was oft schnell unterschätzt wird.“ Viele Lebensgeschichten regen zum Nachdenken an und berühren einen emotional, weshalb es nahezu unmöglich ist, Berufliches und Privates voneinander zu trennen. „Auch mir selbst fällt auf, dass ich viele Situationen auf der Arbeit reflektiere, wenn ich zur Ruhe komme. Viele Geschichten berühren das Herz, sodass sie einen auch zu Hause noch beschäftigen.“ Alle vier Wochen wird eine Supervision angeboten, um Sorgen miteinander zu besprechen. „Es hilft wirklich sehr, das Erlebte miteinander zu teilen und darüber zu reden. Zudem ist für uns auch die Teamleitung in schwierigen Situationen immer ein Ansprechpartner.“ Es sind die kleinen Ereignisse, die in ihr ein schönes Gefühl auslösen. Umso schwieriger ist es, wenn die Kinder zurück in ihre Familien gehen oder in neuen Pflegefamilien aufgenommen werden. „Es ist nicht leicht, loszulassen, doch der Gedanke an eine bessere und harmonische Zukunft der Kinder erwärmt mein Herz.“

 

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Der Tag: 18 Männer und Jugendliche wegen „gemeinschaftlichen Totschlags“ in U-Haft

Hunderte Polizisten haben im Zusammenhang mit einem Tötungsdelikt mehrere Flüchtlingsunterkünfte in Nordrhein-Westfalen durchsucht. Die Polizei erklärt, dass seit den frühen Morgenstunden sechs Wohnungen und vier Flüchtlingsunterkünfte in Köln sowie eine Unterkunft in Wuppertal durchsucht wurden. Die Polizei will 18 Männer und Jugendliche im Alter von 17 bis 60 Jahren wegen „gemeinschaftlichen Totschlags“ in Untersuchungshaft nehmen.

Den Ermittlern zufolge waren die Männer an einem Angriff auf einen 37-Jährigen am 10. März in Köln beteiligt. Demnach hätten sie mit mindestens neun weiteren, noch nicht identifizierten Tatbeteiligten auf das Opfer eingeschlagen, getreten und gestochen. Die bisherigen Verdächtigen seien durch Videoaufnahmen identifiziert worden. Der 37-Jährige sei nach mehreren Notoperationen am 28. März gestorben. Hintergrund der Tat sollen familiäre Streitigkeiten zwischen zwei aus dem ehemaligen Jugoslawien stammenden Großfamilien sein.

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Obdachlose Frau: Den meisten ist sie egal

Obdachlose Frau: Den meisten ist sie egal

Wie kämpfen sie sich durch den Tag? Während Obdachlose im Winter zumindest noch ein Mindestmaß an Aufmerksamkeit bekommen, werden sie in den Frühlingsmonaten kaum zur Kenntnis genommen. Dabei ist der Frühling, gerade an warmen Tagen, ein echtes Problem. Auch für Mara (Name geändert), die seit vier Jahren in Freiburg im Breisgau auf der Straße lebt. Mara sitzt auf ihrer Tasche am Platz der alten Synagoge. Bello hat seine Schnauze in Maras Hosenfalte vergraben. Besonders ihm mache die Wärme zu schaffen, sagt Mara und streicht mit ihrem Daumen über den kleinen weißen Kopf des Jack Russell Terriers. „Wir halten uns meistens im Schatten auf und gehen dann abends an die Dreisam“, erzählt die 42-Jährige. „In der Stadt gibt es keine Wasserbecken“, sagt Mara. Das will sie Bello nicht antun. Mara und Bello gehen dann immer entlang der Dreisam spazieren.

Keine 70 Meter weiter sammeln junge Menschen in gelben Westen Unterschriften für Amnesty International, beschäftigte Leute, Studentengruppen schieben sich an Mara und Bello vorbei, die Straßenbahn quietscht über die Schienen. Mara sitzt fast jeden Tag dort. An der immer gleichen Stelle. Seit nun fast vier Jahren. „Den meisten Menschen bin ich egal“, sagt Mara. „Nette Menschen sterben aus.“ Dabei sei die Respektlosigkeit das Schlimmste, findet sie. Es gebe viele wie sie, sagt sie. „Viele, die nicht freiwillig hier auf der Straße sind, die Gründe haben. Es kann ganz schnell gehen.“ Bei Mara ging es ganz schnell.

Schulden, Gerichtsverhandlungen und eine kaputte Ehe

Mara kam in Staufen zur Welt, heiratete und baute sich eine kleine Firma auf. Sie war Leiterin des Managementteams, sagt sie. Dann will sie einen Auftrag angenommen haben, der sie schließlich in den Ruin getrieben habe. „Ich bin auf einen Betrüger reingefallen“, schimpft sie. Was folgt, ist Abstieg: Schulden, Gerichtsverhandlungen und auch die Ehe ging kaputt. Der Mann ging und nahm den Sohn mit.

Mara verlor auch ihre Wohnung. Die ersten zwei Jahre schlief sie in einem Zelt auf Plätzen mit anderen Obdachlosen. Die Angst schlief in dieser Zeit immer mit. Die Zustände dort seien immer schlimmer geworden, sagt sie. Gerade die organisierten Bettlergruppen machten ihr das Leben schwer. „Die ziehen die Leute ab“ und hätten keine Skrupel. „Die klauen und vertreiben uns.“ In dieser Zeit, sagt Mara, habe sie mit einem Messer unterm Kopfkissen geschlafen. Als ihr wieder einmal alles geklaut wird, reicht es ihr. „Ich hatte die Schnauze voll, immer wieder alles zu verlieren.“ Sie spart zweieinhalb Jahre und kauft sich einen alten Wohnwagen. Beim Betteln lernt sie jemanden kennen, der ihr gestattet, ihren Wohnwagen außerhalb Freiburgs auf einem Privatgelände zu parken. Dort fühlt sich Mara heute sicher. Der Wohnwagen ist für sie so etwas wie ein Versprechen, ein Neustart. „Ich baue mir mein Leben gerade wieder auf.“ Was Corona betrifft, hat es die Lage auch verschlimmert, sagt Mara. Sie hat die Nase voll, genauso wie alle anderen. Jedoch will sie nicht so viel Zeit damit verbringen und versucht das Thema zu wechseln.

 

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„Einsatz von Explosivwaffen“: UN bestätigen 1400 Todesfälle von Zivilisten

Seit dem Einmarsch in die Ukraine kommen immer mehr Zivilisten durch die russischen Angriffe ums Leben. Die UN berichten zurzeit von über 1400 zivilen Opfern, darunter auch über 100 Kinder und Jugendliche. Die Dunkelziffer dürfte jedoch noch weit höher sein.

Die UN haben den Tod von 1417 Zivilisten in der Ukraine dokumentiert. Unter ihnen waren 121 Kinder und Jugendliche, wie das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte in Genf mitteilte. Demnach gab es außerdem verifizierte Informationen über 2038 Verletzte, darunter 171 Kinder und Jugendliche. In die Zahlen gingen alle bis einschließlich Samstag dokumentierten Fälle seit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine ein. Russland hatte am 24. Februar seinen Angriff auf die Ukraine begonnen.

1504 der Opfer stammten den Angaben aus den Regionen Donezk und Luhansk im Osten der Ukraine. Das Büro geht allerdings davon aus, dass die tatsächlichen Zahlen erheblich höher sind: In einigen Orten, die schwer umkämpft sind, konnten demnach viele Berichte über zivile Opfer noch nicht bestätigt werden, darunter Mariupol und Irpin.

„Die meisten Opfer unter der Zivilbevölkerung wurden durch den Einsatz von Explosivwaffen mit großer Reichweite verursacht, darunter durch den Beschuss mit schwerer Artillerie und mit Raketenwerfern sowie durch Raketen- und Luftangriffe“, hieß es in der Mitteilung.

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Telefonpatenschaft Hamburg: Anruf bei unbekannt


Mit roten Wangen und zittrigen Händen drücke ich auf das Kamerasymbol. Obwohl es nur ein Videotelefonat ist, bin ich unglaublich aufgeregt. Dabei bin ich gut vorbereitet. Ich habe ein Kommunikationscoaching hinter mir, und vor mir liegt ein Zettel, auf dem ich neben Fragen sogar eine Begrüßung formuliert habe. Gleich werde ich mit einer mir völlig unbekannten Frau telefonieren. Im Rahmen einer generationenübergreifenden Telefonpatenschaft treten wir in Kontakt. Ich kenne ihren Namen, Margrit Fuchs, und weiß, dass sie eine ältere Dame ist, dass zwei Generationen zwischen uns liegen. Ich weiß aber nicht, wie viele Jahre uns genau trennen und wer sie ist. Ich weiß nicht, was für eine Einstellung sie mir gegenüber hat und ob wir uns verstehen werden. Ich weiß nicht, was mich erwartet. Noch bevor das dritte Signal ertönt, wird mein Videoanruf angenommen. Eine freundlich lächelnde Dame begrüßt mich. Ihre lila Bluse ist perfekt abgestimmt auf ihre lila Brille. Sie bilden einen Kontrast zu ihren grauen, kurz geschnittenen Haaren.

Telefonangst und eine herzliche Rentnerin

Als ich eine knappe halbe Stunde später wieder auflege, schmerzen meine Backen vom durchgängigen Lächeln. Das Glas Wasser steht immer noch randvoll neben mir. Ich bin erleichtert, dass ich ein angenehmes, offenes Gespräch hatte. Aber auch erleichtert, dass es wieder vorbei ist. Wie viele in meinem Alter tippe ich normalerweise lieber rasch eine Nachricht in mein Smartphone, als zum Hörer zu greifen. Ich drücke mich vor jedem Anruf beim Arzt, der Fahrschule oder dem Friseur. Und auch wenn es eine solch zwanglose Unterhaltung wie mit Frau Fuchs ist, fangen meine Hände jedes Mal an zu zittern. Doch genau diese „Telefonangst“, so könnte man es nennen, war für mich ein Grund, die herzliche Rentnerin anzurufen und an dem Projekt „Schmidt trifft Schmidtchen“ teilzunehmen. Bei diesem in Hamburg entstandenen Projekt geht es allerdings weniger um jugendliche Telefonangst als um einen Dialog zwischen den Generationen. Im Kern geht es um eine achtwöchige Telefonpatenschaft zwischen einem Jugendlichen und einem Senior oder einer Seniorin. „Wir wollen einen sicheren Rahmen schaffen, in dem sich Jung und Alt treffen können, mit einer sehr niedrigen Hemmschwelle“, erklärt der 32-jährige Projektmanager Dominique Breuer.

Um diesen Rahmen zu gestalten, werden die jugendlichen Teilnehmer mit einem Coaching vorbereitet wie auch während der knapp zwei Monate begleitet. Das Coaching behandelt die Themen Kommunikation, Empathie und Verantwortung. Es soll den Jugendlichen eine gewisse Sicherheit im Austausch mit einer zunächst fremden Person geben. „Diese Situation ist für viele Senioren aufgrund ihrer Lebenserfahrung nichts Neues“, erläutert der Koordinator. Deshalb wird für sie kein Coaching angeboten. Trotzdem gibt es eine Ansprechpartnerin, die den älteren Menschen während der gesamten Zeit bei Rückfragen und Redebedarf zur Verfügung steht.

Gespräche können frei gestaltet werden

Einmal wöchentlich telefonieren die Teilnehmer dann zwischen fünfzehn und sechzig Minuten miteinander. Üblicherweise über das klassische Telefon, die Kommunikation via Videotelefonie ist gerade im Entstehen. Hier sind Frau Fuchs und ich also Pionierinnen. In Zukunft kann jeder der älteren Menschen ein Senioren-Tablet mit vereinfachter Bedingung erhalten, um damit zu kommunizieren. „Starre Regeln für die Telefonate gibt es nicht“, versichert der Projektkoordinator. Die Gespräche können frei und individuell gestaltet werden. Es darf um banale Themen wie den Wocheneinkauf oder den neuen Rasenmäher gehen, aber auch tiefgreifende Inhalte sind erwünscht. „Dabei kann Jung von Alt lernen, aber auch Alt von Jung“, ist sich Breuer sicher. Auch der Austausch zwischen meiner Gesprächspartnerin und mir ist recht aufschlussreich. Schon nach der ersten halben Stunde weiß ich eine Menge über die mir eben noch fremde Margrit Fuchs, wie ich sie hier nenne. Da die 81-Jährige vorsichtig ist, wie sie sagt, möchte sie nicht mit ihrem richtigen Namen in der Zeitung stehen. In unserem Gespräch zeigt sie sich jedoch sehr aufgeschlossen. Sie erzählt mir von ihrer Kindheit und Jugend, ihrer beruflichen Laufbahn als Steuerbevollmächtigte mit eigenem Büro und über das Heiraten und Kinderkriegen. Sie ist stolze dreifache Mutter und Großmutter von sieben Enkeln.

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Sechseinhalb Jahre Haft: Deutsche ließ Sohn für IS sterben

2016 reist eine Deutsche in das Gebiet des IS in Syrien, mit dabei ist ihr 14-jähriger Sohn. Die Frau lässt den Jugendlichen für die Terrormiliz kämpfen – und sterben. Selbst nach dem Tod ihres Kindes distanziert sich die Frau nicht vom Islamismus. In Hamburg wird sie nun zu einer langen Haftstrafe verurteilt.

Die Verbrechen des Islamischen Staates (IS) sind längst bekannt, als eine Bad Oldesloerin im Sommer 2016 mit ihrem 14-jährigen Sohn in das Gebiet der Terrormiliz in Syrien reist. Die Deutsche teilt die islamistischen Ansichten ihres zehn Jahre älteren Mannes, der sich bereits dem IS angeschlossen hat. Die Mutter lässt es zu, dass auch ihr Sohn zum Kämpfer ausgebildet wird. Im Februar 2018 stirbt er bei einem Bombenangriff. Nun hat der Staatsschutzsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg die Frau zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt – wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, Kriegsverbrechen, Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht und fahrlässiger Tötung.

Im Alter von 15 Jahren hatte die Angeklagte ihren aus den Palästinensergebieten stammenden Mann kennengelernt und ihn nach der Geburt eines gemeinsamen Sohnes geheiratet, wie der Vorsitzende Richter, Norbert Sakuth, erklärte. Der Imbiss-Laden der Familie in Bad Oldesloe in Schleswig-Holstein sei 2013 pleitegegangen. Danach habe sich der Mann radikalisiert. Im Ramadan 2015 sei er wie immer im Fastenmonat in eine Lübecker Moschee gezogen. Kurze Zeit später reiste er dann zum IS nach Syrien aus. Seine Frau war verzweifelt und wollte ihm folgen.

14-Jähriger zieht in den Krieg

Obwohl der Verfassungsschutz versuchte, sie aufzuhalten, habe sie Möbel und Auto verkauft und mit einer gefälschten Unterschrift ihres Mannes einen Pass für ihren jüngeren, 2002 geborenen, Sohn beantragt. Einen Tag vor dessen 14. Geburtstag flog sie mit ihm in die Türkei. Der Junge habe sich auf das Wiedersehen mit seinem Vater gefreut und die Tragweite der Entscheidung gar nicht verstanden, sagte Richter Sakuth.

Der Mutter sei dagegen durchaus klar gewesen, dass Jugendliche vom IS in Kampfgruppen eingegliedert werden. Sie habe jedoch die radikal-islamische Ideologie der Terrororganisation geteilt. Ihrer Schwester gegenüber habe sie die Attentate vom November 2015 in Paris, bei denen Islamisten 130 Menschen erschossen, gerechtfertigt. Für die Tötung von Ungläubigen kämen die Attentäter in den Himmel.

Mithilfe von Schleusern gelangten Mutter und Sohn in die nordwestsyrische Provinz Idlib. Die islamistische Miliz Jund al-Aqsa nahm den Jungen als Rekruten auf und brachte die Angeklagte in ein „Frauenhaus“, wie Sakuth weiter erklärte. Der 14-Jährige erhielt eine Waffenausbildung und wurde unter anderem an Checkpoints der Miliz eingesetzt. Er habe einen Beschuss durch einen Hubschrauber und eine Gefangennahme überlebt. Einmal entging er nur ganz knapp einem Anschlag.

Auch älterer Sohn sollte nach Syrien kommen

Erst im Dezember 2016 habe die Angeklagte in die IS-Hochburg Rakka weiterreisen können und ihren Mann getroffen. 2017 sei der Sohn gefolgt und habe gleich eine neue ideologische und militärische Schulung beim IS begonnen. Mit der Überlassung des Jungen an die Terrormiliz habe die Angeklagte ein Kriegsverbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch begangen, erklärte Sakuth.

In der Zeit sei auch ihr älterer Sohn in Deutschland aus der Haft freigekommen. Die Mutter habe ihn aufgefordert, ebenfalls nach Syrien auszureisen und möglichst viel Geld mitzubringen. Doch dazu sei es nicht gekommen. Der junge Mann wollte zwar ohne Pass ein Flugzeug in Richtung Griechenland nehmen, habe aber noch vor dem Start der Maschine gesundheitliche Probleme bekommen.

Mutter: Sohn träumte vom Märtyrertod

In Rakka habe die Angeklagte ihrem Mann, der als Funktionär für den IS tätig war, den Haushalt geführt. Als der IS militärisch unter Druck geriet, sei die Familie mit der Terrormiliz in Richtung irakischer Grenze geflohen. In einem Dorf am Euphrat sei der Junge am 23. Februar 2018 bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen. Die Mutter habe daraufhin von einem Märtyrertod gesprochen und gesagt, dass das der Traum ihres Sohnes gewesen sei.

Die Verteidigung hatte erklärt, damit habe die Angeklagte sich selbst trösten wollen. Sie habe glauben wollen, dass ihr Kind nun an einem besseren Ort sei – das sah der Staatsschutzsenat aber anders. Nach zwei Jahren in einem kurdischen Gefangenenlager und einem Jahr Untersuchungshaft in Deutschland habe sich die Angeklagte noch immer nicht vom Islamismus distanziert. „Sie leugnet, je radikal gewesen zu sein“, sagte der Richter. Mildernd rechnete das Gericht der 44-Jährigen an, dass sie unter dem Tod ihres Sohnes leide und die fahrlässige Tötung eingeräumt habe. Die Angeklagte nahm das Urteil ohne erkennbare Regung entgegen.

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