Eine wachsende Szene, gefährlich, sehr aktiv. Radikale Salafisten sprechen Jugendliche als „potenzielle Rekruten“ für den Dschihad an. In vielen deutschen Städten werden junge Leute „tagtäglich mit salafistischem Gedankengut infiltriert. Erfolgreich. Nachhaltig“. Das schreibt die Islamwissenschaftlerin und Religionslehrerin Lamya Kaddor in ihrem neuen Buch „Zum Töten bereit – Warum deutsche Jugendliche in den Dschihad ziehen“.
Auch fünf ihrer eigenen Schüler reisten nach Syrien, um für islamistische Terrorgruppen zu kämpfen. Als eine persönliche Niederlage habe sie das empfunden, räumt die Autorin ein – auch wenn vier zurückkehrten.
„Wut über die eigene unklare Identität“
Kaddor kennt die Problematik, die Hintergründe von Radikalisierung, das Vorgehen der „Menschenfänger“ – zum Teil aus nächster Nähe. Die Tochter syrischer Eltern unterrichtet in Dinslaken am Rande des Ruhrgebiets seit 2003 muslimische Schüler in Islamkunde, später in islamischer Religion. Ausgerechnet Dinslaken-Lohberg ist als Hochburg gewaltbereiter Salafisten inzwischen zu unerfreulicher Bekanntheit gelangt. Bei zwei jungen Männern aus Dinslaken geht man davon aus, dass sie im Dschihad starben.
Nicht nur junge männliche Muslime werden gezielt und altersgerecht gelockt – etwa über Sport oder Vereine – und danach in Gemeinde oder Moschee gelotst. „Gefährdet sind alle jungen Leute, auch junge Frauen, auch Andersglaubende“, sagt Kaddor. Was macht sie offen für die Verführer und deren Gehirnwäsche? Frust über die Verhältnisse zu Hause, über die „sie ausgrenzende Mehrheitsgesellschaft“, auch „Wut über die eigene unklare Identität“ und Lust auf Rebellion. „Salafismus ist für die meisten Anhänger auch eine Jugendprotestbewegung“, liest man.
Wer sich auf religiöse Indoktrinierung eingelassen habe, werde eingeschüchtert und gegenüber der nicht-salafistischen Welt isoliert, schreibt die 36-Jährige. Besorgniserregend auch: Nicht nur die Salafistenszene insgesamt wächst, laut Bundesverfassungsschutz Ende 2014 auf 7000 Mitglieder. Die Zahl derer, die bis zum Äußersten gehen, scheint ebenfalls zuzunehmen. „Immer mehr junge Menschen sind bereit, in den Dschihad zu ziehen“, sagt die Autorin.
Neuzugänge oft Kanonenfutter
Ihre Analyse: Wer sich ungerecht behandelt fühle, dürfe nun unter der Flagge des Dschihad erstmals mit „legitimierter“ Gewalt für vermeintliche Gerechtigkeit sorgen. Aus den Aussagen junger Rekrutierter wisse man, dass es sie gereizt habe, „den eigenen Gewaltfantasien, der eigenen Wut und den eigenen Rachegelüsten freien Lauf lassen zu können“. Aus dem Buch geht hervor, dass rekrutierte Neuzugänge oft als Kanonenfutter missbraucht oder als Selbstmordattentäter in den schnellen Tod geschickt werden. Zugleich werde ein geschöntes Bild vom Krieg vermittelt – in Verbindung mit Märtyrerromantik.
Nach Angaben des Verfassungsschutzes schließen sich sogar Kinder dem Dschihad in Syrien und im Irak an. Der jüngste aus Deutschland ausgereiste Minderjährige sei erst 13 Jahre alt gewesen. Bei der vergangenen Innenministerkonferenz im Dezember in Köln hatten die Ressortchefs verstärkte Prävention in den Fokus gerückt. Auch Kaddor betont, wer einmal in den Fängen der militanten Salafisten sei, dem sei ein Ausstieg fast unmöglich. Prävention sei damit umso bedeutender.
Oft mangelhaftes Islamwissen
„Ein typisches Merkmal für radikalisierte junge Leute, die in die Salafistenszene geraten, ist ein sehr mangelhaftes Islamwissen“, sagt Kaddor. „Deshalb ist islamischer Religionsunterricht als ein Baustein zum Aufbau einer gesunden muslimischen Identität sehr wichtig.“ Und man brauche viel intensivere Aufklärung in Schulen, Jugendzentren, Vereinen und Moscheegemeinden.
Die muslimische Community sei gefragt, vor dem menschenverachtenden Salafismus zu warnen und Prediger zu stoppen, meint Kaddor. „Es muss auch als Aufgabe der Muslime selbst gesehen werden, ihren Beitrag zu leisten, damit sie ihre eigenen Kinder nicht verlieren.“
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