Interview zu Jugend, Medien und Gewalt mit einem Mediencoach der Polizei

Was macht ein Mediencoach? Noch dazu einer, der bei der Polizei arbeitet? Hauptkommissar Uwe Walzel aus Darmstadt ist Mediencoach. Er arbeitet eng mit Schulen zusammen, spricht mit Eltern, Lehrern und Schülern, seine Aufgabe heißt Jugendschutz. Das ist auch der gesetzliche Auftrag der Polizei. Er findet die heutige Jugend gar nicht so schlecht, sie tut nämlich nur das, was Jugend immer tut: Grenzen austesten und oft auch übertreten. Für ihn ist Medienkompetenz eine Erziehungsaufgabe. Die Polizei sieht er dabei als Kooperationspartner für Eltern und Schulen. Die Eltern-Redaktion von t-online.de hat ihn zu Gewalt, Jugend und Medien befragt.

In der öffentlichen Wahrnehmung ist die Jugend heute viel krimineller als früher. Ist sie das? Oder ist die heutige Jugend nur anders?

Walzel: Für die meisten Menschen ist die Wahrnehmung diese: Die Jugendlichen werden immer schlimmer, immer brutaler und gewalttätiger. Das sind aber unzulässige Verallgemeinerungen und Verkürzungen. Jugend ist grundsätzlich anders und mit Verlaub, Jugend muss auch anders sein. Es ist natürlich so, dass junge Menschen Straftaten begehen, die Anlass zu Sorgen geben. Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass die Gesellschaft immer die Kriminalität und die Jugend hat, die sie verdient. Wenn wir uns über Jugendkriminalität beschweren, tun wir im Grunde nichts anderes, als uns über uns selber zu beschweren, weil wir es nicht hinbekommen, den jungen Menschen einen  Rahmen zu geben, in dem sie sich ausprobieren können, erwachsen werden können, Erfahrungen sammeln können, ohne dass dramatische Ereignisse passieren. Und noch ein Widerspruch: Eltern sind doch zu Recht davon überzeugt, dass ihre Kinder einzigartig sind, also können Die Jugendlichen nicht so schlimm sein, oder?

Stichwort Medienkompetenz: Haben junge Nutzer  einen ganz anderen Umgang mit Medien?

Walzel: Viele Medienanwendungen sind ja relativ anwenderfreundlich ausgelegt. Man setzt sich dran, probiert aus und dann funktioniert es. Dieses Spielerische kommt natürlich dem Verhalten von Kindern und Jugendlichen entgegen. Und diese intuitive Nutzung sorgt dafür, dass wir Alten beeindruckt sind, aber ist das wirklich Kompetenz?

Hilft das Jugendlichen nicht für den späteren Beruf?

Walzel: Die Industrie- und Handelskammern beschweren sich regelmäßig, dass Schülerinnen und Schüler immer schlechtere Kenntnisse im Zusammenhang mit Officeanwendungen haben, also in sehr konkreter Mediennutzung. Eigentlich haben wir ein System, das vorgibt, wir machen die jungen Leute fit, wir haben die Wahrnehmung, die sind technisch kompetent, aber objektiv melden uns die Ausbilder und Betriebe etwas anderes zurück.

Cybermobbing: Sind sich die jungen Leute eigentlich bewusst, dass das Unrecht ist, was sie da anonym tun?

Walzel: Nein, sie sind sich nicht bewusst. Das hat zwei Gründe: Jugendliche suchen im Laufe des Heranwachsens nun mal nach Grenzen, wollen sich an Grenzen reiben. Sie wollen wissen: Was passiert, wenn ich die Grenze überschreite? Das ist jugendtypisches Verhalten bis hin zu einer Straftat.  Auch Erfahrungswissen fehlt: wie geht man mit Verantwortung um, mit Risikobereitschaft, wo werde ich oder ein anderer geschädigt.Viele junge Menschen merken gar nicht, wo Grenzen, auch zum Nachteil anderer, überschritten werden, weil wir es ihnen schlicht nicht erklärt haben.  

Gab es so etwas bisher nie, in anderer Form, in anderen Medien? Ist es so, dass einer das vormacht und ein anderer macht es nach?

Walzel: Ja und nein. In TV-Formaten wie “Verstehen Sie Spaß?”, “My funniest homevideo” oder  “Jackass”, wird inszenierte oder tatsächliche Gewalt ausgelebt, die dokumentarisch festgehalten wird.

Es wird eine seltsame Normalität vermittelt. Denken sie an “My funniest home video” oder “Upps! die Pannenshow”. Seit Jahren gibt es diese Formate schon: Menschen senden die persönlichsten Videos mit den schlimmsten Pleiten, Pech und Pannen ein. Da haben Menschen einen Unfall, das hat denen weh getan, und die wussten gar nicht, was ihnen geschah. Wir als Beobachter können uns in unserer Schadenfreude suhlen. Vor allem, weil dann ein Schnitt kommt, ein lustiger Kommentar, ein paar Lacher und dann kommt das nächste Video. Und die nächste Katastrophe und dann Schnitt, nächstes Video. Schnitt, nächstes Video. Lange vor YouTube! Und was haben wir dabei gelernt, als Konsummuster? Hier kann ich meiner Schadenfreude freien Lauf lassen, Mitleid brauche ich nicht. Ich muss nicht sagen, “Oh die arme Frau hat sich vielleicht etwas gebrochen. Muss das Kind nicht in die Notaufnahme?”. Es wird alles dem Spaßfaktor untergeordnet. Die Folgen spielen keine Rolle. Wir glauben, dass wir medienkompetent genug sind, um bei dieser Information entweder aus Schadenfreude zu lachen oder zu sagen, nein, mein Werte- und Normensystem sagt mir, dass ich das doof finde, ich will das nicht sehen, weil dafür ein Mensch leiden muss. Das ist Medienkompetenz.

Also schlechte Vorbilder?

Walzel: Nicht nur Sendeformate, auch wir als Konsumenten sind Vorbilder! Das sind die Faktoren, die junge Leute geradezu ermutigen, ihre Ideen auf diese Weise mal auszuleben, zu dokumentieren und dann hochzuladen. Also eine für uns vordergründig unverständliche Normalität zu sehen. Beispiel Mobbing: Junge Leute betrachten Mobbing als etwas ganz Normales. Es kann doch nicht sein, dass ein Verhalten das auch noch sehr durchdacht und strategisch angelegt ist, bei dem jemand zu Schaden kommt, als normal gilt? Denn normal ist nach unserem Wertesystem, dass wir respektvoll miteinander umgehen.

Kopieren Jugendliche falsche Vorbilder?

Walzel: Gegenfrage: Wo sind die richtigen Vorbilder? Die genannten Zusendungen kommen meistens von Erwachsenen. Die sich in den einschlägigen Shows produzieren, sind hauptsächlich Erwachsene. Auf der anderen Seite fehlen als Gegengewicht die Erwachsenen, die sagen: Pass mal auf, das ist übel , weil es nicht dem entspricht was wir aus Respekt und Wertschätzung in unserem Umgang haben sollten. Hier wird die Sprachlosigkeit von Eltern, von Schule, von den Erziehungsverantwortlichen und auch von uns als Gesellschaft doch deutlich.

Wie kann man vorbeugen?

Walzel: Medienerziehung als Teil der Vorbeugung funktioniert genauso wie das Üben des Schulwegs: Wir erklären es  den Kindern und zwar immer wieder, das ist das pädagogische Prinzip: da geht es lang, da ist der Weg, hinterfragen: kann das Kind die Entscheidung abschätzen, hat das Kind begriffen, nur bei Grün über die Ampel zu gehen, und so weiter …

Ich möchte nicht, dass Eltern sagen, das Internet ist böse, der Computer ist schlecht. Sondern es ist Teil unserer Lebenswelt, unserer modernen Zivilisation, also müssen wir uns von klein auf an den Umgang gewöhnen und zwar an den risikoarmen. Risikofrei wird es nicht geben.  

In welche Abzockfallen können Jugendliche denn tappen?

Walzel: Die Vielzahl der Abofallen und das Hineintappen hat nicht nur etwas mit Jugendlichen zu tun. Da sind Erwachsene genauso gefährdet. Für Jugendliche typische Fallen sind Referathilfen, Mode, Elektronik: Die Frage ist: Wo registriere ich mich, wo muss ich meine Neugierde zügeln? Genauso, welche Daten stelle ich bei facebook, SchülerVZ und so weiter ein, was lasse ich besser bleiben.

Warum wird man so leicht Opfer?

Walzel: Wo sich Menschen tummeln, besteht immer die Möglichkeit, dass sich da Täter tummeln, die durch Gutgläubigkeit oder Gier Andere zu einem Verhalten bringen, das ihnen einen Vermögensvorteil bringt. Das alles gilt auch für das Netz, aber eben nicht nur für Jugendliche.

Wie kommt man da wieder raus?

Walzel: Grundsätzlich gibt es bei den Verbraucherzentralen Informationen und Verhaltenstipps. Aber die Abzocker nutzen natürlich aus, dass junge Leute nicht ihre Erziehungsberechtigten informieren. Wenn Eltern mit dem Nachwuchs zusammen die Sache durchstehen, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass diese Gauner eben nicht zu ihrem Profit kommen. Also das Hauptproblem ist: Wie können wir Erwachsenen es hinbekommen, dass die jungen Leute uns vertrauen. Dass sie kommen und sagen: Mir ist da was Blödes passiert, ich habe da irgendwas aktiviert und jetzt bekomme ich eine Rechnung zugeschickt. Diese Offenheit zwischen Eltern und Kind muss auf jeden Fall gegeben sein.

Wie steht es um die Jugendschutzbestimmungen? Um die Altersfreigaben von Filmen und Computerspielen?

Walzel: Ich halte den deutschen Jugendschutz bei Medien nach wie vor für gut und durchdacht. Im Regelfall ist das Verkaufspersonal geschult und sensibilisiert. Schwierig wird es dann, wenn die Hauptverantwortlichen, nämlich die Erziehungsberechtigten nicht ihre Verantwortung wahrnehmen. Jugendschutzbestimmungen, wie USK- und FSK-Freigaben, soll man nicht nur respektieren, weil sie nett gemeint sind, nein, das ist geltendes Recht.

Was ist Ihr Fazit?

Walzel: Alles steht und fällt mit uns Erwachsenen. Dass die jungen Leute immer versuchen zu schieben, drehen und tricksen, das ist jugendtypisches Verhalten, da sollten wir nicht ungerecht unseren Kindern gegenüber sein. Väter und Mütter machen sich Sorgen – auch normal, aber wie erreichen wir, dass den Kindern klar wird, wie schlimm  es wäre, wenn sich die Eltern keine Sorgen machen würden. Umso mehr gilt: Wie bleiben wir verlässlich, wie und was erklären wir, sind wir sprachlos oder bereit, auch Konflikte auszuhalten?

Herr Walzel, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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