Das ist schon eine Meisterleistung“, sagt Benjamin Brand auf die Frage, wie er und seine Familie seinen stressigen Alltag organisiert bekommen. Der Fußballbundesliga-Schiedsrichter muss sein Training, seine Reisen, Einsätze, Termine und das Familienleben mit drei Kindern unter einen Hut bringen. Dabei wird er sehr durch seine Frau unterstützt, „die brutal strukturiert ist und alles koordiniert.“ Der 34-Jährige ist gelernter Betriebswirt, diesem Beruf aber kaum nachgegangen. Da er sehr früh in allen Spielklassen vorangekommen sei, „kann man sagen, dass da erst die Schiedsrichterei da war, und dann ist erst das Berufsleben dazugekommen“. Er hat schnell gemerkt, „dass das alles mit wahnsinnigem Zeitaufwand verbunden ist. Internationale Reisen heißen konkret, dass ich bei einem Spiel, das am Donnerstagabend um 21 Uhr irgendwo in Europa stattfindet, meistens am Mittwochmorgen um 6 Uhr in Richtung Flughafen Frankfurt losfahre und dann Freitagnachmittag wieder zu Hause ankomme.“
Talentierter Verteidiger
Brand kam früh in Kontakt mit dieser Welt, da „Vater, Bruder, Schwester“ Schiedsrichter waren. „Wenn unsere Schiedsrichtergruppe zu Bundesligaspielen gefahren ist mit dem Bus, war ich schon dabei, da war ich vielleicht acht oder zehn Jahre alt und hatte noch keinen Schiedsrichterschein. Dann war das eigentlich klar, dass ich das auch zeitnah ausprobiere. Auf diesem Weg habe ich nahezu jedes Stadion der Fußball-Bundesliga auch als Zuschauer besucht, bevor ich irgendwann selbst auf dem Rasen stand.“ 2003 hat er seine Schiedsrichter-Prüfung abgelegt und die schwere Entscheidung getroffen, im Alter von 15 Jahren mit dem Fußballspielen aufzuhören. Damals wurde ihm „immer wieder von allen Seiten aufgezeigt, dass er da so große Möglichkeiten hat und so viel Talent mitbringt“, sodass er es dort weiter bringen kann als als Spieler in der Position des Verteidigers. Damals hat er bereits Spiele im Herrenbereich gepfiffen, „was auch eher untypisch war. Man stelle sich einfach die Situation vor – es ist ein Herrenspiel auf Kreisebene, und der Schiedsrichter ist 15 Jahre alt. Da wurde man schon von allen Seiten getestet und musste sich natürlich durchsetzen“. Im Rückblick war die Entscheidung „goldrichtig“. Um erfolgreich zu sein, braucht es laut Brand, der für die Schiedsrichtergruppe Gerolzhofen pfeift, „ein Paket aus mehreren Eigenschaften“. Zum einen brauche es Sachverstand, zum anderen spiele das Auftreten eine wichtige Rolle. „Ich muss es schaffen, den Spielern das Gefühl zu geben, dass sie mir vertrauen können. Dieses Vertrauen darf aber nicht ausgenutzt werden, sondern ich muss trotzdem noch durchsetzungsfähig sein.“ Die dritte wichtige Eigenschaft „ist die sportliche Athletik, um in den Spitzenbereich zu kommen.“ Das Schiedsrichterdasein habe sich sehr verändert. Dabei ist jeder Bundesliga-Schiedsrichter „auf sich gestellt und muss dann überlegen, welche Ansprechpartner bei Ärzten habe ich, welchem Physiotherapeuten vertraue ich, welchen Trainer habe ich, der mir dann meine Trainingspläne schickt?“ Es komme auf die Kleinigkeiten an und auch darauf, Routinen zu entwickeln, auf die man sich in Stresssituationen zurückziehen kann.
„Athlet und Einzelunternehmer zugleich“
Brand muss sich auf die Mannschaften einstellen und körperlich auf die Spiele vorbereiten. „Es ist bei Weitem nicht so, dass man sagt, man rennt 90 Minuten über das Spielfeld und dann war’s das. Der Schiedsrichter ist mehr oder weniger Athlet und Einzelunternehmer zugleich.“ Mentaler Druck und Anfeindungen gehören dazu. Brand hat seine Lehre aus Vorgängen in jungen Jahren gezogen und für sich entschieden auf Social-Media-Präsenz zu verzichten. „Ich möchte mich nicht mit Dingen beschäftigen, die mir unnötigerweise Kraft und Energie rauben. Ich gehe so selbstkritisch in der Zusammenarbeit mit meinem Coach an Spielsituationen heran, dass ich schon weiß, in welchen Entscheidungen habe ich mich wohlgefühlt und bei welchen Entscheidungen müsste ich was anders machen. Mein zugeteilter Coach ist Edgar Steinborn, ein ehemaliger Bundesliga-Schiedsrichter. Er hat einen guten Überblick über meinen Leistungsstand und bespricht mit mir meine Spiele nach. Jedoch bleibt die Entscheidung, wie aktiv man auf gewissen Social-Media-Plattformen ist, natürlich jedem selbst überlassen. Ich kann auch die Sichtweise nachvollziehen, wenn man versucht über diesen Weg Entscheidungsfindungen zu erklären oder Fehlerketten transparenter zu machen.“ Außerdem gibt es ein Netzwerk an Sportpsychologen beim DFB, die die Schiedsrichter unterstützen. Konkrete Vorbilder hatte Brand nicht, jedoch habe er extrem viele Spiele angeschaut und Szenen genau analysiert. Eine Herausforderung ist es, die Motivation hochzuhalten, denn es gibt so gut wie keine Auszeichnungen, Medaillen, Pokale oder Applaus. „Aber in dem Moment, wenn ich auf dem Feld stehe und ich pfeif’ das Spiel ab und ich weiß, wir sind heute sauber durch das Spiel gekommen und es kommt danach keiner mit irgendeiner Beschwerde, dann ist das für mich schon so ein Glücksgefühl, dass ich versuche, das mitzunehmen. Das ist für mich der Antrieb.“
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