Eigentlich soll Weihnachten ein Fest der Liebe und des Friedens sein. Aber ausgerechnet in dieser Zeit brechen oft familiäre Streitigkeiten aus, die alle Generationen betreffen können. Warum das so ist und wie Eltern gegensteuern können, erklärt eine Erziehungsberaterin.
Wenn jeder in Geschenk-Hektik verfällt, die Wohnung für Gäste auf Hochglanz gebracht werden muss und der große Einkauf fürs Festmenü noch aussteht, ist in vielen Familien von der vielen beschworenen Besinnlichkeit nicht viel übrig. In diesem Organisationsmarathon knallt es zwischen Ehepartnern, Eltern und Kindern, Großeltern und ihren erwachsenen Kindern oder sogar den Enkeln.
Stress und Harmoniezwang begünstigen Streit
„Weihnachten birgt ein relativ hohes Konfliktpotential, weil die meisten sehr hohe Erwartungen haben“, erläutert die Psychologin und Erziehungs- und Familienberaterin Karin Jacob vom SOS-Familienzentrum Berlin gegenüber t-online. „Bei dieser Wunschvorstellung spielen auch die gesellschaftlichen Bilder vom Fest der Liebe und Harmonie eine große Rolle. Die Werbung führt uns eine solche Familienidylle vor.“
Es ist also der Gegensatz von Ideal und stressiger Realität, die allzu oft den Haussegen an Weihnachten in Schieflage bringt. Nach der repräsentativen Umfrage eines Marktforschungsinstitutes kommt es wegen enttäuschter Erwartungen am häufigsten zu Familienstreitigkeiten. Zweithäufigster Grund ist die ungerechte Verteilung von Aufgaben vor und während der Feierlichkeiten. Vor allem Ehefrauen, beziehungsweise Mütter, beschwerten sich über mangelnde Unterstützung ihrer Lieben.
Konflikte können sich an den Feiertagen auch an Erziehungsfragen entzünden. Sei es, dass Mutter und Vater sich nicht einig sind oder sich auch noch die Großeltern in pädagogische Grundsatzdiskussionen einmischen.
In vielen Familien potenziert sich der Stress durch besondere Familienverhältnisse, etwa wenn die Eltern getrennt leben oder eine Patchwork-Konstellation besteht. Dann ist es schwer, es jedem Recht zu machen.
Ablauf des Weihnachtsfestes gemeinsam besprechen
Obwohl Streit in vielen Familien Jahre zu Weihnachten gehört wie Geschenke unterm Baum, gibt es Möglichkeiten das Konfliktrisiko schon vor den Feiertagen einzudämmen. Karin Jacob empfiehlt, Absprachen zur „Dramaturgie“ des Festes zu treffen Jeder sollte die Möglichkeit haben, seine Vorstellungen einzubringen, um dann einen Konsens zu finden – samt der nötigen Flexibilität aller Beteiligten und Freiraum für jeden.
„Bei solchen Absprachen kann man sich vornehmen, Reizthemen zu vertagen und das dicht gedrängte Weihnachtsprogramm zu entschlacken. Das wirkt Stress und Überfrachtung entgegen und erdet die Erwartungen.“
Eltern geben die Streitregeln vor
Kommt es trotzdem an Weihnachten zu Reibereien, muss das nicht das Ende eines gelungenen Familienfestes sein. Vorausgesetzt jeder beherzigt Regeln für „gutes“, konstruktives Streiten. „Streitregeln anzuwenden ist der Job der Eltern“, kommentiert Jacob. „Sie schaffen den Rahmen und sind die Vorbilder, die eine solche Diskussionskultur ihrem Nachwuchs vorleben.“ Das sind die wichtigsten Regeln:
- dem Gegenüber keine Vorwürfe machen
- bei der Sache bleiben, statt in Grundsatzdiskussionen zu verfallen
- begründen, warum man sich ärgert oder schlecht fühlt
- Ich-Botschaften verstärken das Verständnis füreinander
- anklagende „Du-Angriffe“ vermeiden
Einfacher Trick entschärft den Streit
„Genauso wichtig wie konstruktives Streiten ist richtiges Zuhören. Wer die Argumente des anderen geduldig zusammenfasst, nimmt durch diese Verlangsamung nicht nur Dynamik und Druck aus dem Konflikt. Er stellt auch sicher, dass er den Partner, die Eltern oder die Kinder richtig verstanden hat. Das schafft Respekt für die Sichtweise des anderen und ermöglicht nicht selten einen befriedenden Blickwechsel“, rät Jacob.
Gerade bei jüngeren Kindern löst Streit in der Familie, insbesondere zwischen den Eltern, häufig Unsicherheit und existentielle Ängste aus. „Diese Furcht kann man entkräften“, weiß die Therapeutin. Eltern sollten ihren Kindern vermitteln, dass Streiten grundsätzlich kein Bedrohung darstellt, sondern etwas Normales ist. Daraus können sogar neue Impulse für eine Problemlösung entstehen. „Diese Zuversicht muss man seinen Kindern unbedingt geben.“
So lässt sich Streit mit Teenagern vermeiden
Dass Jugendliche mit Besinnlichkeit und familiärer Eintracht nur wenig am Hut haben, liegt an der notwendigen Ablösung in dieser Entwicklungsphase. Dennoch muss ein Streit mit bockigen Teenagern nicht zwangsläufig eskalieren. Etwas „Freilauf“ und Rückzugsmöglichkeiten während der Feiertage könnten zur Entspannung aller beitragen, meint die Expertin.
Sie gibt zu bedenken, dass Jugendliche in dieser Lebensphase nicht von hormonellen Wallungen gesteuert würden, sondern auch im Gehirn „alles neu verschaltet“ werde. Eltern müssten einfach damit rechnen, dass die Stimmung ihres Kindes stark schwankt. Mit diesem Bewusstsein sollten Eltern gelassen bleiben und nicht jeden Angriff ihres Sprössling zu persönlich nehmen – ob zu Weihnachten oder im Alltag.
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