Erziehung: Schmollende Kinder bloß nicht „beleidigte Leberwurst“ nennen

Manchmal ziehen sich Kinder nach Auseinandersetzungen oder wenn sie sich über etwas geärgert haben, beleidigt in ihr Schneckenhaus zurück. Wie sollen Eltern in solchen Situationen mit ihrem schmollenden Nachwuchs umgehen? Ein Experte weiß Rat.

„Sei mal nicht so eingeschnappt“, sagt die Mutter ärgerlich. Doch ihre zehnjährige Tochter Lena sitzt unbeirrt mit einer trotzigen Schnute auf dem Sofa, die Hände überm Bauch verschränkt und schaut grimmig Löcher in die Luft. Lena schmollt. Das tut sie öfter – vor allem dann, wenn irgendetwas nicht so läuft, wie sie sich das vorgestellt hat oder sie bei einem Streit nicht mehr weiter weiß. Dieses Mal ist Lena wegen des Fernsehverbots eingeschnappt, das ihre Mutter verhängt hat, weil sie trotz mehrfacher Aufforderung ihr Zimmer nicht aufgeräumt hat.

Schmollen ermöglicht eine Auszeit und Abstand

Für Kinder, die bei Konflikten ähnlich wie Lena reagieren, ist der Rückzug in die Schmollecke häufig die einzige Möglichkeit mit ihrer Wut und ihrem Ärger klar zu kommen. Sie fühlen sich in solchen Augenblicken unverstanden, wehrlos und gekränkt und haben das Gefühl – wie in dieser Auseinandersetzung mit der Mutter – nicht auf Augenhöhe kommunizieren zu können. Doch Schmollen ist nicht nur reiner Protest: Verschiedene Gefühle mixen sich hier zu einem widersprüchlichen Cocktail.

Ein Cocktail widersprüchlicher Gefühle

„Schmollen ist eigentlich Ausdruck von Frustration und Überforderung, was Kinder ihrer Umgebung meist deutlich signalisieren‚ indem sie in Ruhe gelassen werden wollen und weitere verbale Kommunikation unterbrechen,“ erklärt Diplompsychologe und Familientherapeut Andreas Engel gegenüber t-online.de.

„Zugleich strafen sie dabei auch den anderen ab, um so Einfluss auf sein Verhalten nehmen zu können und vielleicht doch noch ihre Interessen und Wünsche durchzusetzen.“

Doch Schmollen sei auch ein Zeichen von Hilflosigkeit und der nach außen gerichtete Apell: „Kümmer dich um mich und hilf mir wieder raus aus dem Loch!“ Dieses Verhalten habe etwas sehr Demonstratives.

Schmollen schauen sich Kinder bei anderen ab

Eine Schnute zu ziehen und eingeschnappt zu sein will allerdings gelernt sein. Kleinkinder unter drei Jahren wissen nämlich noch nicht, „wie Schmollen geht“. Erst ab dem Kindergartenalter beginnt der Nachwuchs – abgeschaut bei Erwachsenen oder bei älteren Kindern – die entsprechenden Verhaltensweisen nachzuahmen.

Auch Jugendliche schmollen

Typisch und häufig ist der demonstrative Rückzug allerdings während der Pubertät: In dieser Phase ist es ein wesentliches Werkzeug für Kinder im sozialen Umgang mit anderen. Es gehört dann zum festen Repertoire der Jugendlichen so mit ihrer Frustration umzugehen und sich deutlich abzugrenzen.

Eltern sollten Schmollen ihrer Kinder nicht belächeln

Doch wie sollen Väter und Mütter auf eingeschnappte Kinder beziehungsweise Teenager reagieren, um ihnen aus dem Gefühlstief herauszuhelfen? Wichtig sei, kommentiert Psychologe Engel, dass Eltern die abweisende Haltung ihrer Kinder nicht persönlich nehmen dürfen. So seien auch Ironie und Zynismus fehl am Platz, genauso wie die Kinder mit abwertenden Kommentaren zu belächeln und sie etwa als „beleidigte Leberwurst“ oder „Schmoll-Zicke“ abzutun.

„Wenn man in solchen Momenten das Kind noch zusätzlich herabwürdigt und nicht ernst nimmt“, so Engel, „macht es alles nur noch schlimmer. Man sollte stets versuchen, die Beziehung positiv mit einer Portion Humor und Gelassenheit anzugehen und nicht noch zusätzlich in Wunden rumstochern.“

Auszeit respektieren und Gesprächsbereitschaft signalisieren

Die beste Strategie für Eltern, um ihren eingeschnappten Kindern zu helfen, ist die Distanz und das „Time-Out“ zu respektieren und zunächst einige Zeit verstreichen zu lassen, bevor sie den ersten Versuch unternehmen, wieder behutsam Kontakt zu ihrem Nachwuchs aufzunehmen und einfühlsam Gesprächsbereitschaft zu signalisieren, rät Andreas Engel.

„Gerade die selbst gewählte Auszeit, in der Kinder häufig in einen inneren Dialog treten, kann bewirken, dass sie über die Konfliktsituation nachdenken und sich so ihre Emotionen nach und nach von alleine verändern. Sie machen dann vieles mit sich selbst aus und das erhitzte Gemüt kühlt dann oft wieder runter.“

Zu schnell zu intervenieren und Machtworte zu sprechen oder ein Ultimatum zu setzen, um der Schmollerei ein schnelles Ende zu bereiten, sei dagegen keine gute Strategie. Dann reagierten die Kinder oftmals nur noch trotziger und abweisender, zögen sich noch mehr zurück.

„Schmollen ist eine kulturell verfeinerte Form der Aggression“

Kindliche Schmollreaktionen sollten von Müttern und Vätern also nicht negativ bewertet oder gar bekämpft werden, denn sie haben eine wichtige Funktion: „Dieses Verhalten, das man als kulturell verfeinerte Form der Aggression bezeichnen kann, ist für Heranwachsende eine frühe Möglichkeit, den Umgang mit Frustration zu lernen und dabei gleichzeitig mit anderen im sozialen Kontakt zu bleiben“, so das Fazit von Engel.

Gerade für jüngere Kinder, die sich in der Auseinandersetzung mit ihren Eltern oft klein und hilflos fühlten und noch nichts gegen die verbale Übermacht der Erwachsenen setzen könnten, sei Schmollen deshalb ein äußerst wirkungsvolles Instrument. So könnten sie sich einfach der Kommunikation entziehen.“

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