Darum sind Jugendliche wieder politisch

SPIEGEL ONLINE: Sie haben in der aktuellen Shell-Jugendstudie herausgefunden, dass sich deutsche Jugendliche wieder mehr für Politik interessieren. Woher kommt das?

Albert: Es herrscht das Gefühl, dass die Welt immer näher heranrückt. Der Krieg in der Ukraine, die Anschläge auf „Charlie Hebdo“ – das passiert alles ganz schön nah. Das beste Beispiel ist die Flüchtlingskrise. Die Jugendlichen merken, dass sie sich da nicht rausziehen können. Die Welt bewegt sich, und die Jugendlichen müssen sich mitbewegen, wenn sie etwas erreichen wollen.

SPIEGEL ONLINE: Sie könnten sich aber auch verängstigt zurückziehen ins Privatleben. Stattdessen wollen sich junge Menschen engagieren.

Albert: Ja, die Jugendlichen haben eine optimistische Grundhaltung: „Irgendwie kriegen wir das schon hin.“ Das liegt daran, dass sie auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt vorwiegend positive Erfahrungen gemacht haben. Deutschlands Wirtschaft ist solide und die jungen Menschen sehen, dass es Gleichaltrigen woanders viel schlechter geht.

SPIEGEL ONLINE: Die etablierten Parteien profitieren von dem wachsenden Politikinteresse überhaupt nicht, die meisten Jugendlichen bringen ihnen weiterhin sehr wenig Vertrauen entgegen. Was muss geschehen, damit sich junge Menschen stärker in der Politik engagieren?

Albert: Sie müssen das Gefühl bekommen, dass sie ernst genommen werden, dass sie gebraucht werden und etwas verändern können. Die Flüchtlingskrise birgt da eine riesige Chance, denn Jugendliche bringen sich ein und bewegen etwas, ohne sich gleich auf eine Parteilinie festzulegen. Für die Parteien würde das wohl bedeuten, jungen Menschen anzubieten, sich auf lokaler Ebene unkompliziert und unverbindlich zu engagieren.

SPIEGEL ONLINE: Zwischen der Jugend im Westen und Osten gibt es immer noch Lücken: In den neuen Bundesländern ist die Begeisterung für die deutsche Demokratie schwächer und die Offenheit gegenüber Zuwanderern kleiner. Warum schneidet der Osten so schlecht ab?

Albert: Er schneidet gar nicht so schlecht ab. In den 25 Jahren seit der Wiedervereinigung sind die Unterschiede schon geschrumpft. Aber es spiegeln sich in den Ergebnissen immer noch traditionelle, vererbte Denkweisen wider. So sprechen sich Jugendliche im Osten meist für eine deutlich gemäßigtere Politik gegenüber Russland aus. Die Vorbehalte gegenüber Zuwanderern sind größer, je weniger junge Menschen im Alltag mit ihnen zu tun haben. Das erklärt, warum die Ressentiments im Osten gedeihen. Dort sollten Jugendliche erst recht die Möglichkeit bekommen, sich für Flüchtlinge zu engagieren, damit solche Vorbehalte schneller abgebaut werden.

SPIEGEL ONLINE: Was hat Sie an der Studie überrascht?

Albert: Familie ist für die Jugendlichen immer noch sehr wichtig. Es sagen jetzt aber auch viele, dass man auch ohne eigene Familie und Kinder glücklich leben kann. Das zeigt, dass die Erfahrung mit Patchwork-Modellen nun in voller Breite bei der Jugend angekommen ist. Immer mehr junge Menschen erleben, dass die klassische Kernfamilie nicht mehr das einzig Seligmachende ist, und dass es eine ziemliche Ochsentour sein kann, den richtigen Partner zu finden, sich für Kinder zu entscheiden und sie dann mit dem Beruf zu vereinbaren. Doch statt daran zu verbittern, denkt die Jugend auch hier lieber pragmatisch: Wenn es mit intakter eigener Familie nicht geht, dann halt ohne.

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