Im Restaurant der Eisbahn in Baden im Kanton Aargau gibt eine große Glasscheibe den Blick auf die Eisfläche frei. Neun Spieler sitzen hier und unterhalten sich angeregt. Es ist jedoch still bis auf das Surren des Kühlschranks. Gesprochen wird mit den Händen, zwischendurch wird aufgelacht. Sie bilden die einzigen zwei Curling-Teams, ein Frauen- und ein Männerteam, mit Hörbehinderung in der Schweiz. Der hörende Trainer, Bastian Wyss, und die Gebärdensprachübersetzerin stoßen hinzu. Spieler Ruedi Graf organisiert das Training. Wyss erklärt die erste Übung zum Aufwärmen. Die Dolmetscherin übersetzt die Aufgabe für die Spieler gleichzeitig mit ihren Händen. Im Curling versuchen zwei Mannschaften zu je vier Spielern ihre Steine möglichst nahe an den Mittelpunkt eines Zielkreises zu stoßen. Dies geschieht abwechselnd, das andere Team bespricht in dieser Zeit seine Taktik. Es werden acht Runden gespielt, wobei jedes Team acht Steine stoßen kann. Der Spieler, der den Stein gestoßen hat, schätzt die Geschwindigkeit und die Entfernung ein, die der Stein hat. Um diese zu verlängern, wischen zwei weitere Spieler den Weg davor mit einem Besen. Der hat einen Stiel aus Karbon, der Wischkopf ist mit weichem Material gefüllt und rauem Stoff überzogen.
Ob und wie lange gewischt werden soll
Durch Zurufe wird kommuniziert, ob und wie lange gewischt werden soll. Im Gehörlosen-Curling funktioniert dies nicht, weswegen die Curler Zeichen erfunden haben: Mit der Hand auf und ab zu wedeln bedeutet Wischen, die Arme waagrecht und seitlich vom Körper zu schlagen bedeutet aufhören. Blickkontakt ist essenziell, und dadurch verzögert sich das Spiel. Der Nachteil macht sich aber an Turnieren gegen Hörende wieder wett: Bei Wettkämpfen kann es laut werden, alle rufen durcheinander, die Zeichen verdeckt aber niemand. „Hörende haben ein paar von unseren Zeichen adaptiert, um sich nicht misszuverstehen“, sagt Wyss. Um einen Stein nach vorne zu befördern, wird er mit einer Hand gehalten, mit der anderen stützt sich der Spieler mit dem Besen ab. Mit einem Bein stößt man ab und rutscht auf einem Fuß auf dem Eis. Dies ist für Gehörlose schwer, um die Balance zu halten. Die Zentrale des Gleichgewichtssinns ist Teil des Ohrs. „Die Leute, die von Geburt an gehörlos sind, können es besser, ich musste sehr viel üben“, sagt der Sportler, er wurde mit vier Jahren gehörlos.
Erfahrung zählt hier zählt ganz besonders
Nicht nur körperlich ist die Wintersportart anstrengend, sondern auch mental fordernd und wird „Schach auf dem Eis“ genannt. Es gibt verschiedene Arten, seine Steine zu spielen. Bei einer offensiven Taktik werden Steine vor die Zielscheibe, das House, gestellt. Diese Steine heißen Guard, weil sie die anderen Steine im Haus verdecken und sie schwerer anzuspielen sind. Die defensive Taktik ist das Gegenteil. Die Steine werden einfach im House platziert. Über Squash, Leichtathletik und Volleyball ist Graf zum Curling gekommen. „In der Leichtathletik verbessert man sich irgendwann nicht mehr, aber im Curling zählt die Erfahrung.“ Und diese hat das Männerteam, das ein Durchschnittsalter von 49 Jahren aufweist. An den Curling-Weltmeisterschaften in Kanada gewann es 2009 Silber und 2013 Bronze in der Schweiz. Das Frauenteam spielt seit 2020 miteinander. „Die Gehörlosenwelt ist klein, wir kennen uns alle von der Schule oder Berufsschule“, sagt Franziska Gass. Sie hat vorher Volleyball gespielt, Spielerin Monika Häberlin fährt gerne Ski.
Feedbackrunde mit Dolmetscherin
Einmal im Monat treffen sich die Curler. Da sie aus der ganzen Schweiz kommen, trainieren sie unter der Woche im Curling-Verein im eigenen Kanton. Die Trainingswochenenden sind intensiv. „Wir haben klare Ambitionen, wir möchten international konkurrenzfähig sein und an Weltmeisterschaften teilnehmen“, sagt Graf. Die Frauen möchten nächstes Jahr an den Deaflympics teilnehmen, den Olympischen Spielen für Hörbehinderte. Durch Corona entfielen Trainings, mit den Masken zu kommunizieren ist schwierig. In der Gebärdensprache sind die Mimik und das Mitbewegen der Lippen von großer Bedeutung. Das Training ist zu Ende, die Spieler diskutieren über die Dolmetscherin mit dem Trainer in einer Feedback-Runde. Wyss besucht einen Gebärdensprachkurs. „Mit den Hörenden ist es schwierig, Anschluss zu finden“, sagt Monika Häberlin. „Dem Gespräch zu folgen ist sehr schwierig für uns, und wir haben einen anderen Humor, weshalb wir uns untereinander wohler fühlen.“
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