Inmitten eines beschaulichen Wohngebiets führt eine Einfahrt zu zwei hellgelben Gebäuden. Rechts steht ein längliches mit Flachdach, links ein mehrstöckiges Haus mit roten Ziegeln. Es gibt viele Olivenbäume, Palmen und pinke Bougainvilleen. Ungewöhnlich wird es, wenn man sich mit dem beschäftigt, was hier in Ma’alot, einer Stadt im Norden Israels, seit 1984 aufgebaut wurde. Der christliche, in Maisenbach bei Bad Liebenzell ansässige Verein Zedakah e. V. gründete damals in Israel ein Pflegeheim für Juden, die den Nationalsozialismus überlebt haben. Zedakah ist das hebräische Wort für Wohltat. Damit definieren die Verantwortlichen ihr Anliegen. Als Christen und Deutsche, als die „größten Feinde von Israel und den Juden in der Geschichte“, sähen sie aus ihrer religiösen Überzeugung heraus den Auftrag, dort Gutes zu tun, erklärt der stellvertretende Vorsitzende Frank Clesle.
„Gott ist meine Hilfe“
An einem normalen Arbeitstag unterscheidet das Beth Elieser, was so viel wie Haus „Gott ist meine Hilfe“ bedeutet, nichts von gewöhnlichen Pflegeheimen. So gehören zu den alltäglichen Aufgaben von Renate Hirrle die Pflege der Bewohner mit Waschen und Duschen, Medikamentenverteilung und Hilfe beim Essen, die Organisation und das Putzen. Die 39-jährige deutsche Krankenschwester arbeitet seit fünf Jahren hier und hat auch die israelische Anerkennung zur Krankenpflegerin. Als Langzeitmitarbeiterin ist Renate Hirrle auch für die restlichen Mitarbeiter der Station zuständig. Die meisten von ihnen sind keine Fachkräfte, denn ein Großteil der Arbeit von Zedakah wird von freiwilligen Mitarbeitern getragen.
Nach einer ausführlichen Bewerbungs- und Vorbereitungsphase kommen diese meist für ein Jahr nach Ma’alot. Dort leben alle Mitarbeiter, Festangestellte und Freiwillige, in einer engen Gemeinschaft. Diese Lebens-, Glaubens- und Dienstgemeinschaft ist für Renate Hirrle ein wesentliches Kennzeichen von Zedakah. Gemeinsame Mahlzeiten, Wohnen im Doppelzimmer und Andachten gehören genauso wie der praktische Dienst zu einem Freiwilligeneinsatz. Ein Muss sind unter normalen Umständen auch Ausflüge durch ganz Israel, um Land und Leute kennenzulernen. Wenn sich die Volontäre am richtigen Platz fühlen, entscheiden manche, ihren Dienst länger einzubringen. So auch die 26-jährige Friederike Gehring, die aufgrund der Mitarbeiternot durch die Corona-Krise ein halbes Jahr länger als geplant blieb. In der schwierigen Corona-Situation wurde die Krankenpflegerin stark eingespannt und berichtet, sie habe nicht erwartet, dass sie so an ihre Grenzen kommen und herausgefordert werden würde.
Ein Stück weit Versöhnung und Heilung
Trotz solcher Schwierigkeiten und Rückschläge haben die Mitarbeiter im Vertrauen auf ihren Glauben einen besonderen Ort aufgebaut – in einer Umgebung, wo nachts die Schakale heulen und der Bunker unter der Erde zum Schutz vor Luftangriffen aus dem nahen Libanon eine Selbstverständlichkeit ist. Für die Mitarbeiter ist es das Wichtigste, egal unter welchen Umständen, die Bewohner im Beth Elieser als wertvolle, individuelle Menschen zu betrachten und zu behandeln. Dadurch entwickeln sich teilweise tiefe persönliche Beziehungen. Auch wenn manche der Pflegebedürftigen zunächst abweisend reagieren. Renate Hirrle erzählt von einer Frau, die sich zuerst ablehnend verhielt und sagte, sie spreche nicht die Sprache von Hitler. Heute haben die beiden eine besonders gute Beziehung. Die Mitarbeiter spüren, wie ein Stück weit Versöhnung und Heilung für die Überlebenden möglich sind. Laut Renate Hirrle können die tiefen Wunden nicht durch die Zeit geheilt werden, höchstens durch Liebe, wie sie sie im Pflegeheim zu leben versucht.
Die Wertschätzung für die Heimbewohner zeigt sich in vielen Elementen der Tagesgestaltung: Vom Beschäftigungsprogramm über die Feier zum Sabbat-Eingang am Freitagabend bis zu großen Festen an jüdischen Feiertagen gibt es einige Lichtblicke. Am Freitagabend feiern jüdische Bewohner, überwiegend christliche Mitarbeiter und ihre Kinder sowie Gäste zusammen mit Festessen und Gesang. Die großen Feiertage werden mit den Angehörigen im gepflegten Garten unter Granatapfel- und Grapefruitbäumen gefeiert. Volontärin Friederike Gehring berichtet, wie die Bewohner bei der festlichen Atmosphäre der Feiern aufleben. Zedakah hat die klare Einstellung, niemanden zu missionieren. Die Bewohner leben ihren jüdischen Glauben und ihre Traditionen Dazu gehört natürlich auch eine Küche, die unter der Kontrolle eines Rabbiners koscheres Essen zubereitet.
Von Träumen geplagt
Aber es ist ein Altenheim für Überlebende des Nationalsozialismus. So zählen für Clesle herausfordernde Begegnungen mit schweren Schicksalen dazu. Wenn die Bewohner von Träumen geplagt werden, sieht Renate Hirrle sich immer wieder hilflos danebenstehen. Den Mitarbeitern merkt man die Hingabe für die Arbeit an. In Israel leben mehr als 160 000 Überlebende der Shoah. Zedakah plant einen Erweiterungsbau: anstatt der jetzigen 24 Betten noch 48 für neue Bewohner. Ein Ort, so sagt Frank Clesle, „wo sie statt Hass Liebe erfahren sollen, statt Verachtung Wertschätzung, statt Ablehnung Annahme“.
Sie können mehr von den nachrichten auf lesen quelle