Ich hab ’nen Apfelbaum, ich hab ’nen Birnenbaum, aber Äpfel und Birnen sind nicht dran“, singt Elisabeth Rehm mit einem großen Lachen im Gesicht. Ihre Leidenschaft zu ihrer ehemaligen Tätigkeit als Balletttänzerin ist nicht zu übersehen, als sie sich in ihrem mit Fotos ihrer Kinder und Enkelkinder geschmückten Esszimmer an die alten Lieder und Tänze zurückerinnert. Von 1948 bis zum Mauerbau tanzte sie als Profi an der Berliner Staatsoper. Trotz der schwierigen gesellschaftlichen und politischen Bedingungen erzählt die 88 Jahre alte Frau mit Begeisterung von ihrer Vergangenheit.
Schon im Kindesalter hatte sie riesigen Spaß am Tanzen: „Ich möchte Profitänzerin werden“, hörten ihre Eltern schon kurze Zeit später, nachdem sie 1942 bei einem Kinderballett mit dem Tanzen begonnen hatte. So gelangte sie bald darauf zu einer bekannten russischen Ballettmeisterin, die ihr ihren Traum erfüllen konnte. Durch ihre Hilfe kam Elisabeth Rehm zur Berliner Staatsoper, und 1948 durfte sie schon eine kleine Rolle im Ballett „Romeo und Julia“ tanzen. Zu dieser Zeit war das Gebäude der Staatsoper allerdings von den Auswirkungen des Krieges in Mitleidenschaft gezogen und wurde erst 1955 wieder eröffnet, weswegen die Tänzer und Tänzerinnen vorübergehend im Admiralspalast in Berlin tanzten.
„Der Erste, der Einzige, mein Idol“
Ein paar Jahre später, nachdem sie sich „hochgedient“ hatte, wurde sie von der Staatsoper unter Vertrag genommen, wodurch sie offiziell Solotänzerin der Oper wurde. Mit 15 Jahren lernte sie ihren inzwischen verstorbenen Mann Kurt Rehm kennen, mit dem sie später zwei Kinder bekam. Deswegen freut sie sich am meisten über ihre Entscheidung, Profitänzerin zu werden. „Ich habe Glück gehabt, er war der Erste, der Einzige, mein Idol“, sagt sie lächelnd. „Den hab ich nur kennengelernt, weil ich so schlimme Ohren hatte und Tänzerin geworden bin.“ Eine Masernerkrankung im Kindesalter mit folgender Ohrenentzündung führte zu mehreren Operationen, weswegen sie als Kind „klein und spillerig“ war. Der Kinderarzt empfahl ihrer Mutter deswegen, sie zu einer Sportart anzumelden, woraufhin sie zum Kinderballett geschickt wurde und ihre Karriere ihren Lauf nahm.
Ihr Mann war an der Staatsoper als Bariton-Solist tätig, nachdem er als Soldat aus dem Krieg zurückgekehrt war. An ihre erste Begegnung in der Silvesternacht von 1949 erinnert sie sich noch genau, als sie ihn vor ihrem Auftritt in „Shakespeares Sommernachtstraum“ als Komparsin darum bat, ihre Ringe festzuhalten, die abzulegen sie vergessen hatte. Als Komparsin verdiente Elisabeth Rehm je Auftritt fünf Mark, „da habe ich mir immer entweder eine Bockwurst gekauft oder ein Schweineohr. Dann war meine Gage aufgegessen“, erzählt sie fröhlich. Später bekam sie 100 Mark im Monat – immer noch ein riesiger Unterschied im Vergleich zum heutigen Gehalt einer professionellen Tänzerin, das in der Berliner Staatsoper bei weit über 2000 Euro monatlich liegt.
„Tanzen ist ein wahnsinniger Disziplinberuf“
„Ich hatte ja einen sehr strengen Beruf, das prägt ja dann und diszipliniert“, sagt sie. „Tanzen ist ein wahnsinniger Disziplinberuf, da kannst du auch Soldat werden, nur musst du eben nicht schießen.“ Doch Disziplin zu lernen und sich einzuordnen hätte ihr auch schon viel geholfen. So half ihr dies beispielsweise bei der Kindererziehung, weswegen ihre Tochter im Jugendalter immer pünktlich zu Hause sein musste. „Ich war eine sehr strenge Mutter.“
Nach dem Bau der Berliner Mauer blieb ihr Mann, den sie 1954 heiratete, an der Staatsoper. Sie selbst war allerdings nicht mehr erwünscht, da sie in Westberlin wohnte und es genug gute Tänzerinnen aus dem Osten gab, die bei der Auswahl bevorzugt wurden. Daraufhin meldete sich Elisabeth Rehm erst ein halbes Jahr beim Arbeitsamt als arbeitslos und lehnte einige Jobangebote als Tänzerin ab, um sich um ihre Kinder kümmern zu können, da der Zeitplan mit zwei vollbeschäftigten Eltern ohnehin eng war. 1954 kaufte das Ehepaar ein Haus im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf, das sie allerdings erst zwei Jahre nach dem Kauf beziehen konnten, da es noch von Amerikanern besetzt war.
Heute findet sie vieles unpesönlicher
Das Aufblühen der Kultur in diesem Bereich sei nicht mit dem Aufblühen nach Corona vergleichbar, denn „heute ist die Theaterführung ganz anders“, sagt Rehm. Früher verfügte jede Oper über ein festes Ensemble, in dem alle monatlich bezahlt wurden und eine bestimmte Anzahl an Aufführungen hatten. Inzwischen hat sich das etwas verändert, jetzt werden die bekanntesten internationalen Solisten über ihre Manager engagiert, indem die Intendanten der Opernhäuser bei den Managern anfragen, ob der Künstler oder die Künstlerin für eine bestimmte Aufführung frei ist. Doch vor allem das Zusammensein, das ein familiäres Umfeld bringt, ist das, was Elisabeth Rehm vermisst. Diese Gemeinschaft lässt sich auch mit den Folgen des Krieges begründen, da seinerzeit niemand wirklich wohlhabend war. „An sich war die Zeit schön, weil aufgebaut wurde“, findet sie. Die Künstler haben bei den Opernhäusern angefragt und durften dann eventuell zu einem Vortanzen oder Vorsingen kommen.
Heute sei dies wesentlich unpersönlicher. Sie würde deswegen keinem mehr dazu raten, Tänzerin zu werden. „Nach dem Krieg hat jeder klein angefangen“, jeder musste sich von Grund auf alles selbst erarbeiten. So erinnert sie sich noch daran, wie sie nach langem Ansparen endlich ihren ersten Schrank kaufen konnte. „Ich bin zu Möbel-Hübner gegangen und habe mir einen Schrank in Grün und Gelb ausgesucht, 2,5 Meter lang und so hoch wie die Stube, das war ein Traum für mich.“
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