Italiens Jugend: Ciao, Mamma!


Von wegen Muttersöhnchen. Immer mehr junge, gut ausgebildete Italiener bauen sich ihre Zukunft im Ausland auf. Das bringt das traditionelle Bild der italienischen Familie ins Wanken.

„Ich würde schon gerne in Italien bleiben“ sagt Luca Guccione, ein 23 Jahre alter gebürtiger Mailänder mit einem Master in Management der London School of Economics in der Tasche. „Ich liebe dieses Land, ich liebe meine Stadt, nur für junge Leute mit meiner Ausbildung ist das Angebot alles andere als attraktiv“. Er selber habe zig Lebensläufe verschickt, ohne auch nur eine Rückmeldung zu bekommen. Jetzt hat ihn über das Netzwerk Linkedin ein englischer Headhunter kontaktiert. Und es sieht gut aus. Man hat ihm für ein Vorstellungsgespräch in London sogar das Flugticket bezahlt. Sollte er ein konkretes Angebot bekommen, wird er nach London ziehen.

Denn eine Sache stand für Luca schon immer fest: Einen Ganztagjob für 400 bis 500 Euro im Monat würde er anders als einige seiner Freunde nicht annehmen. „Natürlich wäre ich bereit, auch etwas weniger zu verdienen, um hier zu bleiben, das Geld muss aber auf jeden Fall reichen, um selbständig für meinen Lebensunterhalt aufkommen zu können.“ Viele italienische Unternehmen stellten jedoch hohe Ansprüche an die Kandidaten, ohne es aber zu honorieren. Er selber spreche auch Deutsch und Englisch fließend.

Sie wollen nur eine Chance

Die ehemalige Arbeitsministerin Elsa Fornero mahnte einst ihre jungen Landsleute, „nicht so choosy zu sein“. Doch Lucas Geschichte ist die Geschichte von Tausend anderen jungen Italienern, die weder „choosy“, wählerisch, noch „Mammoni“, Mamasöhnchen, -töchter sind. Sie wollen eine Chance haben, im Beruf sowie im Leben.

Assunta, 31 Jahre alt, aus der süditalienischen Region Apulien, erzählt der Tagezeitung „Corriere della Sera“ ihre Geschichte. Zuerst das Jurastudium in Rom, dann zwei Master in Madrid, eines in Entwicklungshilfe, das zweite in internationalem Business. Und jetzt hat man ihr eine Professur in Ecuador angeboten. „Ich freue mich irrsinnig“ schreibt sie zum Schluss. „Nach all der harten Arbeit und den Strapazen kann ich jetzt nicht für 500 Euro im Monat zurück nach Italien ziehen.“

Wunsch nach eigenständiger, selbstbestimmter Zukunft

Der Wunsch nach einer eigenständigen, selbstbestimmten Zukunft hat in den letzten acht Jahren, auch infolge der Wirtschaftskrise, 115.000 Italiener dazu bewegt, die Koffer zu packen und ihr Glück woanders zu versuchen. Die Hälfte davon ist zwischen 20 und 40 Jahre alt, ein Drittel davon hat einen Hochschulabschluss.

Die meisten versuchen, nicht all zu weit weg zu ziehen, wenn möglich in Europa zu bleiben, wie man aus einer Eurostat-Studie entnimmt. Die beliebtesten Länder sind Großbritannien, gefolgt von Deutschland, der Schweiz und Frankreich. Es gibt aber auch welche, die ihr neues Zuhause viel weiter weg finden: in den USA, in Neuseeland, Australien und seit Kurzem auch in China.

Eine Migrationswelle, die sich vielleicht in nicht all zu ferner Zukunft auch auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes niederschlagen wird – immerhin ist eine ganze Generation gebildeter, kluger und talentierter Jugendlicher ausgewandert. Doch schon jetzt schon bringt sie das traditionelle Familienbild ins Wanken.

Natürlich kann man sich heutzutage, wo immer man sein mag, per Skype und WhatsApp auch jeden Tag sprechen und per Video sehen. Sogar zu einer gemeinsamen Kochstunde verabreden, wie es Barbara Tonelli in Rom mit ihrer Tochter Chiara in London macht. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass es nicht mehr wie früher ist und wahrscheinlich auch nie wieder sein wird. Vor noch nicht allzu langer Zeit, war es Brauch, wenn nicht Tür an Tür, dann zumindest nur wenige Häuserblocks voneinander entfernt zu wohnen.

Es ist aber gar nicht die Trennung, die den Eltern zu schaffen macht, erklärte unlängst der Psychologe Massimo Ammaniti: „Es ist vielmehr so etwas wie ein Schuldgefühl, das sie quält. Sie meinen versagt zu haben, weil sie ihren Kindern keine Zukunft hier in ihrer Nähe ermöglichen konnten.“ Aber natürlich sind sie auch stolz über ihre Jungs und Töchter und kompensieren Trennung und Schuld. Vorausgesetzt, die Kinder sind jetzt nicht am anderen Ende der Welt, indem sie, dank der Billigflüge, so oft wie möglich „vorbeikommen“ und nach dem Rechten sehen.



Sie können mehr von den Nachrichten auf lesen quelle

Weer

Weather Icon
background