Morgens um sieben in der Pferdeklinik in Wolfesing bei München. Nachdem das bereits vorab sedierte Pferd behutsam in die Ablegebox geführt worden ist, verabreicht einer der Tierärzte das Narkosemittel. Um dabei jeglichen Verletzungen vorzubeugen, helfen bis zu vier Ärzte und Assistenten dem Tier, sich vorsichtig in eine geeignete Position zu bringen. An den Beinen wird eine Art Kran befestigt, um das Pferd, dass bis zu 800 Kilogramm schwer sein kann, auf dem Operationstisch zu positionieren. Jeder Handgriff sitzt und scheint wie selbstverständlich. Auf einen Laien wirkt das auf dem Rücken liegende Pferd, dessen Beine in die Luft ragen, jedoch angsteinflößend. „Mein eigenes Pferd würde ich ungern in dieser hilflosen Position bei einer Operation sehen“, sagt Wibke Walders, eine erfahrene Tierärztin, „obwohl ich weiß, dass es bestmöglich versorgt wird.“ Denn obwohl offene Gelenke, Sehnenscheidenverletzungen, infizierte Wunden oder Frakturen zum ganz normalen Alltag der Veterinärin gehören, ist es trotzdem jeden Tag aufs Neue eine Herausforderung und nichts für schwache Nerven.
Damals fehlte ihr die praktische Erfahrung
Schon in ihrer Jugend ist Wibke Walders geritten. Nach dem Praktikum in der neunten Klasse, das sie in einer Kleintierpraxis absolvierte, tauchte bei ihr zum ersten Mal der Wunsch auf, Tiermedizin zu studieren. Nach dem Praktikum arbeitete sie leidenschaftlich gern an den Wochenenden in dieser Praxis und half aus, wo sie nur konnte. Während des Studiums entschied sich Walders, sich auf Pferde zu spezialisieren. Nach fünfeinhalb Jahren Studium durfte sie sich Tierärztin nennen. „Man kann sich dann sofort selbständig machen und eine Praxis eröffnen.“ Diese Idee sei allerdings eher absurd, da Operationen im Studium immer nur theoretisch durchgesprochen werden, die praktische Erfahrung jedoch fehle. Daher assistiert vorerst jeder Tierarzt in den ersten Berufsjahren einem Oberarzt, um auch in schwierigen Situationen die richtige Entscheidung treffen zu lernen.
Nachmittags fährt sie zu den Ställen
Mit dieser Berufswahl sollte man sich von der Idee fester Arbeitszeiten verabschieden. In der Pferdeklinik Wolfesing beginnt der Tag oft um sieben Uhr mit der ersten Operation. Spätestens bei der Visite um halb neun ist das komplette Team versammelt, um von Box zu Box zu gehen und die Behandlung jedes Pferdes durchzusprechen. So haben auch nicht direkt behandelnde Ärzte im Notfall ein klares Bild vom Gesundheitszustand und der notwendigen Therapie eines Pferdes. Danach werden die Klinikpferde versorgt und ambulante Pferde, die zur Nachuntersuchung kommen, behandelt. Am frühen Nachmittag fährt die Veterinärin zu den Ställen, um Patienten vor Ort zu behandeln. Hierbei kann es sich um Impfungen, kleinere Verletzungen, Lahmheitsuntersuchungen oder vieles mehr handeln. Wenn keine Notfallpferde mehr in die Klinik kommen, kann der Arbeitstag um 18 oder 19 Uhr enden. Allerdings sind Tiere unabhängig von Arbeitszeiten krank, wie Wibke Walders lachend erwähnt, daher ist Flexibilität unabdingbar.
Ast in der Pferdeschulter
Vor einigen Jahren, wie sie erzählt, hat es ein Pferd tatsächlich geschafft, sich einen Ast beim Rumtollen auf der Koppel in die Schulter zu rammen. Ein Tierarzt versorgte daraufhin die Wunde im Stall, so gut er konnte, und holte einige Aststücke aus der Wunde. In der Zeit danach lahmte das Pferd immer wieder. Nach zwei Jahren fing die Wunde plötzlich an zu eitern. Daraufhin vermuteten die Tierärzte einen Fremdkörper und operierten. Wie sich herausstellte bestätigte sich diese Einschätzung: Sie fanden ein zehn Zentimeter langes Stück Ast in der Schulter. Da an dieser Stelle Arterien verlaufen, verlor das Pferd viel Blut und musste Infusionen bekommen. In solchen Momenten, bemerkt Walders, muss während der Operation der Besitzer informiert werden, dass das Tier den Eingriff eventuell nicht überleben wird. Im Endeffekt hat das Team es geschafft, die Wunde zu säubern und zu nähen. Damit war die Arbeit noch nicht getan: An der Schulter sind Verbände schwierig anzubringen, da sie ständig belastet wird. „In solchen Fällen muss man kreativ sein. Wir haben also einen Druckverband mit mehreren Handtüchern gebaut, und es hat tatsächlich gehalten.“ Wibke Walders berichtet stolz, dass das Pferd heutzutage wieder normal läuft.
Der Heilungsprozess dauert halt seine Zeit
Besonders die Bedeutung des persönlichen Kontakts zu den Pferdebesitzern sollte nicht unterschätzt werden. Wibke Walders räumt das Klischee aus dem Weg, dass Ärzte Tiermedizin studiert haben, „weil sie keine Menschen mögen“. Amüsiert fügt sie hinzu: „Es wäre sicher keine schlechte Idee, in das Studium einen Hauch von Verhaltenspsychologie des Menschen einfließen zu lassen.“ Natürlich sei es verständlich, dass Pferdebesitzer sich um ihr Tier sorgten, aber der Heilungsprozess dauere seine Zeit. Und dann gebe es auch die Ungeduldigen: „Es ist ernüchternd, wenn sich keine Verbesserung nach mehreren Wochen zeigt, weil der Besitzer sich nicht an den vorgegebenen Genesungsplan hält. Das ist allerdings das Einzige, was ich an meinem Beruf bemängeln könnte.“ Die abwechslungsreiche Aufgabe mit stets wechselnden vierbeinigen Patienten sei außergewöhnlich. Außerdem ist sie gerne in der Natur. Zuletzt gesteht die Tierärztin noch, wie schwierig es sein kann, Besitzern zu erklären, dass ihr Pferd aufgrund von zu starken Schmerzen als Reitpferd nicht mehr einsetzbar ist.
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