Eine Schildköte in Quarantäne, eine weitere, die unerfreut über fremden Besuch ist, ihr Maul daher aufreißt, und eine Schlange, die entspannt und eingerollt auf einem Ast liegt. Inmitten von Reptilien in ihren Terrarien steht ein vollgestellter Schreibtisch. Das kleine Büro in der Kaulbachstraße in München gehört Markus Baur, dem Leiter der größten von insgesamt drei registrierten Reptilienauffangstationen Deutschlands. Dort sitzt er lässig mit zu einem Zopf gebundenen Haaren. „Ich hatte ein Leben lang Berührungspunkte mit Tieren. Angefangen hat alles mit der Tierliebe meiner Familie, mit den eigenen Haustieren, den Schildkröten“, sinniert Baur. Später wurden die Tiere zu seiner Leidenschaft und Teil seines Berufs. Obwohl ihm, wie er selbst behauptet, nichts Besseres hätte passieren können, als dass er jetzt in der Auffangstation gelandet ist, seien es eigentlich viele Unfälle gewesen, die ihn dorthin geführt haben.
Der 55-Jährige studierte Tiermedizin und hatte eigentlich vor, in der Landwirtschaft tätig zu werden. Als dies jedoch nicht seinen Vorstellungen entsprach, machte er ein Praktikum in der Tierpathologie und landete an der Münchner Universität für Reptilienmedizin, für die er 15 Jahre lang arbeitete. Baur war damals schon ehrenamtlich in der Reptilienauffangstation tätig und bekam schließlich dort eine feste Stelle. „Ich bin jetzt genau da, wo ich sein will.“
Einige bleiben ihr Leben lang hier
Verstreut in drei Liegenschaften leben insgesamt 2500 Fundtiere, aber vor allem auch Tiere aus Beschlagnahmungen und privat abgegebene Tiere in der Reptilienauffangstation. Neben noch gewöhnlichen Haustieren wie Griechischen Landschildkröten oder Leopardgeckos, die ihr Zuhause oftmals aus Gründen wie Umzug oder gescheiterte Beziehung verlassen müssen, werden ganz besondere Exoten aufgenommen, für die die Auffangstation Ausnahmegenehmigungen braucht. Dazu zählen Giftschlangen, Schnapp- und Geierschildkröten. Einige bleiben ihr Leben lang hier, andere finden in Zoos, hauptsächlich in Reptilienzoos, einen Platz, und hin und wieder können auch privat Tiere aufgenommen werden. Dafür sind allerdings Genehmigungen erforderlich. Spezialisiert hat sich die Station zwar auf Reptilien, dennoch gibt es neben Echsen, Schlangen, Spinnentieren, Krokodilen und Schildkröten auch Amphibien, Fische, Insekten und Säugetiere.
Erst vor zehn Jahren kamen mit einer Beschlagnahmung zweier Wüstenluchse, die in ganz Deutschland keinen Platz finden konnten, auch Säugetiere dazu. Von den 1200 bis 1500 Neuankömmlingen jährlich werden durchschnittlich 80 Prozent der Tiere weitervermittelt. Um die anfallenden Kosten für so viele Tiere zu begleichen, bekommt der Verein einen Zuschuss von 340.000 Euro jährlich. Mit dieser staatlichen Förderung allein können Futter, Unterbringung, Gehälter für das Personal, Strom und Miete noch lange nicht bezahlt werden. Es fallen insgesamt Beträge in Höhe von 1,2 Millionen Euro an, von denen mehr als 800.000 Euro selbst mit Dienstleistungen wie Schulungen, Beratungen oder Führungen verdient werden. Durch Spenden und die Dienstleistungen kommt die Station gerade so über die Runden.
Es ist rappelvoll
Die genannten Kosten beziehen sich allerdings auf ein Jahr ohne Krieg, ohne die galoppierende Inflation und ohne die Energiekrise. Diese Lage macht natürlich allen in der Auffangstation zu schaffen, und so steht sie vor noch nie dagewesenen Herausforderungen. Unklar ist, wie künftige Rechnungen bezahlt werden können, da sich keinerlei Möglichkeiten anbieten, in der Auffangstation bei den Tieren zu sparen. Um den Schützlingen gerecht werden zu können und zu verhindern, dass sie krank werden, müssen stets natürliche Bedingungen, also optimale Temperaturen und ein perfektes Lichtverhältnis, nachgeahmt werden. „Hinzu kommt, dass die Auffangstation rappelvoll ist“, wie Markus Baur anmerkt. Er kann aktuell nur hoffen, dass platzintensive Tiere, wie die Affen, bald ein neues Zuhause finden. Auch wenn es nicht vermehrt ausgesetzte Tiere gebe, ist trotzdem die Angst da, wie es weitergehen soll, wenn die hohen Rechnungen auch bei privaten Besitzern von Reptilien eintreffen, denn der Platz ist eben begrenzt.
Im Vergleich zu einem Tierschutzverein für Haustiere wie Hunde und Katzen hat die Reptilienauffangstation nicht den gesellschaftlichen Rückhalt, was die dort zu pflegenden Tiere angeht. Früher waren exotische Tiere ein Trend, heute stoßen Tierschutzvereine eher auf Ablehnung und ganz besonders die Reptilienauffangstation. „Wer findet schon Giftschlangen und Krokodile cool?“, fragt Markus Baur provokant. „Es hat aber niemand von uns ein Tier in Afrika gefangen, um hier ein solches Tier zu haben, sondern es wurde ein Tier, das illegal in einem Kellerverschlag gelebt hat, beschlagnahmt.“ Ein Beispiel von vielen ist der Albino-Alligator, der am Flughafen bei vollem Bewusstsein in Folie eingewickelt und zusammengerollt in einem Koffer gefunden wurde und dann in die Auffangstation gekommen ist. In Zusammenarbeit mit dem Zoll, der Behörde und dem Veterinäramt setzten sie sich für das Wohl des Tieres ein.
„Trotzdem spüren wir immer wieder die gesellschaftliche Ablehnung, was die Spendenbereitschaft angeht“, stellt er nüchtern fest. „Egal, ob das Tierheim oder wir, wir erfüllen Aufgaben, die eigentlich die des Staates sind. Der Staat macht ein Tierschutzgesetz, also muss er auch dafür sorgen, dass es umgesetzt wird.“ Ohne die Station oder andere Tierschutzvereine wäre es nicht möglich, diese Gesetze überhaupt umzusetzen. Deshalb wünscht sich Markus Baur einfach mehr staatliche Unterstützung, um nicht allein mit 400 Vereinsmitgliedern und 2500 Tieren dazustehen. „Was wäre denn die Alternative für das Tier? Es auszustopfen und an ein Museum zu verkaufen?“
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