Bälle prallen auf den Boden, Schuhe quietschen, eine Gruppe von Jugendlichen spricht und lacht. Ein lauter Pfiff ertönt aus einer Trillerpfeife. Es wird still in der Turnhalle. Daniel Latzer sagt: „Lauwarmi Brüedere, chömed do ane!“ Er trägt eine dunkle Adidas-Trainingshose mit Jacke und eine rote Baseballkappe mit FC-Liverpool-Emblem. Um den Hals hängt eine silbern schimmernde Trillerpfeife. Der 66-Jährige verkündet den Ablauf der heutigen Sportlektion. Danach wird es wieder laut in der Halle. Bis 2021 war der gebürtige Thurgauer als Sportlehrer tätig. Er erlebte mehrere Generationen von Schülern. Zu Beginn seiner Tätigkeit im Jahr 1989 gab es keine Sportschulen und der Sport war noch nicht so profitorientiert wie heute. Trotzdem war es der Traum von unzähligen Jugendlichen, an die Spitze der jeweiligen Disziplinen zu gelangen. Latzer arbeitete mit vielen Sporttalenten und lernte viele kometenartige Karrieren von Menschen kennen, die dieser Aufgabe persönlich nicht gewachsen waren. „Das Privatleben zu disziplinieren, gehört dazu, denn Erfolg ist nicht in Stein gemeißelt.“ Nur wer fleißig ist und an sich arbeitet, schafft den Sprung zum Profisportler.
Lieber auf Leichtathletik fokussieren
Der Pensionär kann sich gut an zwei Schüler erinnern, die ihren Traum von einer Profikarriere verwirklicht haben. Zum einen Pascal Zuberbühler, der von 1994 bis 2008 in der Schweizer Nationalmannschaft als Torwart aktiv war. Bereits im Schulsport war sein Talent klar ersichtlich und Latzer forderte ihn gerne heraus. Zum Schluss der Sportstunde gab es immer fünf Elfmeter für den Sportlehrer gegen den angehenden Profi-Torwart. „Wenn er einen oder mehr Schüsse pariert, bekommt er einen kleinen Geldbetrag, und wenn nicht, bekomme ich diesen.“ Zu dieser Zeit spielte Zuberbühler bereits in der Jugend-Nationalmannschaft und verpasste viele Sportstunden, da er in Spielen oder Trainings war. Auch Kariem Hussein, der in der Leichtathletik erfolgreich war, gelang der Aufstieg in den Profisport. Hussein hatte zunächst die Vision einer Karriere als Profifußballer. Allerdings beklagte er sich über Verletzungen, da er von seinen Gegenspielern oft hart gefoult wurde. „Ich riet ihm also, sich auf Leichtathletik zu fokussieren.“ Latzer ist besonders stolz auf ihn, weil die Idee, sich auf Leichtathletik zu fokussieren, von ihm stammte.
„Eine Laufbahn als Trainer hätte interessanter werden können“, sagt Latzer mit einem Lächeln. Trotzdem war der Werdegang als Sportlehrer die richtige Entscheidung für ihn. Zudem darf man sich als Coach keine bis wenige Fehler erlauben, und man steht psychisch unter großem Druck. Früher habe die Gesellschaft und die Schulleitung den Kompetenzen der Lehrer eher vertraut. „Man dachte: Er ist Lehrer, er kann das.“ Gegen Ende seiner beruflichen Laufbahn bekommt er mit, wie das immer mehr abnimmt und die Schulleitung öfters in den Unterricht kommt und diesen überprüft. Dies könnte daran liegen, dass die Eltern der Schüler mehr Druck ausüben. „Wenn es heutzutage nur etwas regnet, machen sich einige Eltern bereits um die Gesundheit ihrer Kinder Sorgen.“
Früher wurde das nicht hinterfragt
Der Umgang mit den Schülern wurde zudem immer unpersönlicher. Es bildet sich eine Distanz, die früher nicht da war. „Gewisse Dinge hat man früher einfach gemacht, ohne zu hinterfragen.“ Er erinnert sich an das spontane Schwimmen den Bodensee hinunter in offenem Gewässer. „Heutzutage wäre ich für diese Aktion höchstwahrscheinlich ins Gefängnis gekommen“, schmunzelt der breit gebaute Pensionär. Trotzdem sind den Schülern genau solche Momente besonders positiv in Erinnerung geblieben. Der blauäugige Athlet stellt fest, dass den Jugendlichen heute oft die Zeit fehlt. Früher leitete er in Kreuzlingen am Gymnasium einen Fußball-Freikurs. Der hatte mehr als 30 fußballbegeisterte Mitglieder. „Früher konnte man auch Dinge anordnen, die heute so nicht mehr akzeptiert werden würden.“ Dazu gehörte seine Regel, dass, wer den Freikurs nicht besuchen konnte, einen Ersatz organisieren musste. Lachend erzählt er: „Eines Tages kreuzte plötzlich ein Arzt auf, der Vater eines Jungen, und kickte gemütlich mit.“ Als Latzer ihn fragte, was er hier mache, antwortete dieser, dass er für seinen Sohn als Ersatz eingesprungen sei.
Gegen Ende seiner beruflichen Laufbahn musste der Turnlehrer feststellen, dass die Schüler immer unsportlicher wurden. Der Durchhaltewille und Ehrgeiz im Sport gingen mehr und mehr verloren. Latzers Wahrnehmung hat sich über die Jahre ebenfalls verändert. „Ich habe 30 Jahre gebraucht, um zu erkennen, dass es Leute gibt, die keinen Sport mögen“, schmunzelt er. Manchmal schaut er in die Vergangenheit auf sein Verhalten und seine Gefühle zurück und erkennt sich teilweise nicht mehr wieder. Natürlich ist er nicht mehr so fit wie in seinen jungen Jahren. Dies hat zur Folge, dass er Übungen mitunter nicht mehr so gut vorzeigen kann, wie er diese in Erinnerung hat. „Natürlich ist das frustrierend, aber das ist nun mal der Lauf der Zeit.“
Latzer verstellte sich nie. „Zu einzelnen Leistungen musste man früher einfach ,grottenschlecht‘ sagen.“ Als Lehrer sollte man sich nicht provozieren lassen, und so blieb ihm ein Ereignis bis heute im Kopf. Die Schüler ärgerten ihn, sodass er ihnen zeigen musste, „wo der Hammer hängt“. Der Junglehrer nahm die Fünf-Kilogramm-Kugel in die Hand und stieß sie über die gesamte Anlage, wo sie dann auf einem BMW landete. „Gott sei Dank hat es nicht den Giulia getroffen“, erinnert sich der Athlet, nachdem er sein Werk betrachtete. „Der Alpha Romeo Giulia wäre bedeutend teurer gewesen.“
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