Es ist halb fünf Uhr in der Früh. Die 20-jährige Livia Stierli ist bereits wach und klettert eine steile, hölzerne Treppe hinunter. Seit Juni vergangenen Jahres arbeitet sie als Chefköchin in der Brunni-Hütte, einer Hütte des Schweizerischen Alpen-Clubs in Engelberg im Kanton Obwalden mit eigener Sesselbahn-Station. Berggänger können hier nach einer strengen Wanderung übernachten oder im Restaurant etwas essen. Livia trägt eine weiße Kochbluse, schwarze Hosen und Stahlkappenschuhe. Um ihre Hüfte ist eine Kochschürze gebunden und über den Bund ein weißes Tuch gehängt. Ihre braunen Haare sind zu zwei streng anliegenden Zöpfen geflochten. Sie betritt die kleine Küche. Als Erstes muss sie den Holzofen aufheizen. Diesen wird sie später brauchen, um die Suppen zu kochen. „Um sieben Uhr werden schon die ersten Gäste kommen“, sagt sie und nimmt einen Stapel Teller in die Hände. Sie geht zu den Tischen und legt neben jeden Teller ein Messer und einen kleinen Löffel und stellt ein großes Glas auf die linke Ecke des roten, papierenen Tischsets.
Andere Restaurants waren geschlossen
Draußen tauchen die ersten Sonnenstrahlen hinter den Bergen auf. Durch die Fenster sieht man auf eine große Terrasse mit Holzbänken und Tischen. Livia bleibt kurz stehen und genießt die Aussicht auf einen kleinen See, der von einer grünen Wiese umgeben ist, bevor sie wieder in die Küche muss und der strenge Alltag beginnt. „Mir war von Anfang an klar, dass man als Köchin früh aufstehen muss. Das macht mir aber nichts aus“, sagt die junge Frau, die auf einem Bauernhof aufgewachsen ist. Vor zwei Jahren schloss sie ihre Ausbildung im Spital Wetzikon im Kanton Zürich ab. In einer Berghütte zu arbeiten war nicht immer ihr Plan. Jedoch gab es für sie wegen Corona fast keine andere Möglichkeit. Denn alle Restaurants waren geschlossen. Da Berghütten aber wie ein Hotel angesehen werden, durften diese offen bleiben. Nach Recherchen im Internet stieß Livia auf die Brunni-Hütte. Das Team konnte sie durch einen Auftritt im Fernsehen schon etwas kennenlernen. „Sie haben alle sehr sympathisch auf mich gewirkt. Deshalb war mir direkt klar, dass ich die Stelle annehmen werde“, sagt sie.
„Stress in der Küche ist normal“
Das Team besteht aus sieben Mitarbeitern. Livia und ihr Küchengehilfe arbeiten in der warmen Küche. Sie bereiten also jeden Tag die Menüs vor. Die anderen sind entweder im Service tätig oder für das Herrichten der Zimmer zuständig. Da sie nur zu zweit in der Küche sind, kann es manchmal etwas stressig werden. „Aber Stress in der Küche ist normal. Ich habe mich schon daran gewöhnt“, erklärt sie. Nachdem die Gäste gefrühstückt haben, muss Livia die Älplermagronen zubereiten. Das ist ein Schweizer Gericht bestehend aus Nudeln, Rahm, Kartoffeln und Speck. „Weil es mein Lieblingsgericht ist, koche ich es auch am liebsten“, sagt sie und lacht. Jeden Tag gibt es zudem ein anderes Menü, das Livia im Voraus planen muss. Dieses setzt sich immer aus Fleisch, einer Beilage und Gemüse zusammen. Bei der Wahl ist Livia völlig frei, und das gefällt ihr sehr: „Ich darf hier sehr selbständig sein, und die Ideen gehen mir nie aus.“
Zu Beginn war dies aber eine große Herausforderung, und sie war oft überfordert. Während ihrer Lehre schaute ihr immer jemand über die Schultern. Plötzlich ist es nun ihre Aufgabe, den andern auf die Finger zu schauen. Ihr Küchengehilfe ist nämlich nicht zum Koch ausgebildet, weshalb sie immer gut aufpassen muss, dass er alles richtig macht. Nach einer Woche Zusammenarbeit waren die beiden aber schon ein eingespieltes Team. „Es muss einfach funktionieren“, sagt sie, froh, eine helfende Hand zu haben. Um 15 Uhr, wenn alle Gäste gegessen haben, beginnt sie mit dem Putzen. Oft nutzt sie die Zeit auch, um Bestellungen zu machen. Als Küchenchefin ist die Planung das A und O. „Ich habe auch schon vergessen, etwas zu bestellen. Zum Beispiel Gemüse.“ Auf die Frage, was sie dann machte, lacht sie und sagt: „Improvisieren. Aber mittlerweile kommt das nicht mehr vor.“
Um 16.30 Uhr mit der Bergbahn ins Dorf
Am Donnerstag und Freitag bleibt Livia jeweils in der Hütte und kocht das Abendessen für die Gäste. „Dann muss ich jeweils bis um 23 Uhr arbeiten. Das ist schon anstrengend“, berichtet sie nachdenklich. An den restlichen Tagen fährt sie um 16.30 Uhr mit der letzten Bergbahn ins Dorf. Sie wohnt dort bei ihrer Chefin. An diesen freien Abenden bereitet der Küchengehilfe die Gerichte zu, die Livia bereits für ihn vorgekocht hat.
An ihren freien Tagen geht sie oft im Gebiet wandern. „Am Anfang hat es viel geregnet, wenn ich freihatte, und wenn ich arbeiten musste, war es immer schön“, sagt sie und schmunzelt. „Das hat mich dann schon genervt.“ Meistens reist sie aber nach Hause ins Tösstal im Kanton Zürich. Die Zugfahrt dauert bis zu drei Stunden. Aber Livia stört das nicht: „Auf der Alp ist es so schön, da lohnt es sich, diesen weiten Weg zu machen.“ Solche Erfahrungen zu machen, empfiehlt Livia jedem weiter: „Ich habe viele neue Leute kennengelernt. Und ich plane, nach dieser Saison etwas Ähnliches zu machen. Ich werde im Kanton Glarus in einem Hotel arbeiten.“
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