Kinder und Jugendliche interessieren sich sehr wohl für Politik. Das zeigt die U18-Wahl am Berliner Primo-Levi-Gymnasium. Die Stimmen zählen zwar nicht für die Bundestagswahl, werden aber trotzdem nicht leichtfertig vergeben.
„Du gehst in Wahlkabine eins, du in die zwei und die nimmst die drei“, dröhnt es durch die Aula des Primo-Levi-Gymnasiums in Berlin-Weißensee. Der 18-jährige Gustav gibt den Schülerinnen und Schülern deutliche Anweisungen. Bei der U18-Wahl soll alles reibungslos laufen.
Das Gymnasium ist eines von mehr als 1600 Wahllokalen deutschlandweit, in denen Kinder und Jugendliche wie bei der Bundestagswahl ihre Stimme abgeben können. Die Wahl der Unterachtzehnjährigen liefert einen Eindruck davon, was die junge Generation denkt und welche Themen für sie von Bedeutung sind.
„Ey Gustav, gibt's auch eine Erststimme?“, fragt ein Elftklässler den FSJler, wie Gustav hier genannt wird. Gemeinsam mit einem Kollegen absolviert der ehemalige Schüler im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes ein Jahr an der Primo-Levi-Schule und kümmert sich um den Schülerklub, Veranstaltungen und Projekte wie die U18-Wahl. Gemeinsam mit dem Leistungskurs Politikwissenschaft haben die FSJler zwei professionelle Wahllokale aufgebaut: Umgekippte Tische dienen als Sichtschutz und die Wahlurne wird mit einem Papier zugedeckt – genau wie bei den Erwachsenen. Gewählt werden aber nur Parteien. Gustav sagt: „Nein, hier gibt's nur die Zweitstimme.“
Niemand wird zur Wahl gezwungen
Zunächst müssen sich die Wähler bei den freiwilligen Helfern der Abiturstufe anmelden. Anschließend bekommen sie ihren Stimmzettel ausgehändigt und können dann wählen. „Es gibt aber auch die Option, nichts anzukreuzen und somit trotzdem von seinem Wahlrecht Gebrauch zu machen“, erklärt Gustav. Das Letzte, was man wolle, sei irgendwen zur Wahl zu zwingen.
Rund 1250 Schüler und Schülerinnen gibt es an dem Berliner Gymnasium. Sie alle dürfen bei der U18-Wahl mitmachen. „Ich denke, Jugendliche können sich eine eigene Meinung bilden“, sagt der 15-jährige Sebastian, der die zehnte Klasse besucht. Er fühle sich von der Politik nicht ernst genommen, „weil meine Meinung einfach nicht zählt“. Wie ihm geht es auch der 14 Jahre alten Adriana. „Nur weil man unter 18 Jahren ist, heißt das nicht, dass man keine eigene Meinung hat“, sagt die Neuntklässlerin. Sie fühlt sich bei der U18-Wahl zwar repräsentiert, denkt aber nicht, dass die Wahlergebnisse Einfluss auf die Bundestagswahl haben.
Fenja und Luca aus der zehnten Klasse haben die Grünen gewählt. „Deren Wahlprogramm ist am besten und sie setzen gute Themen“, sagen die beiden 15-Jährigen. Von ihren Eltern sei ihre Wahl nicht beeinflusst. Stattdessen tausche man sich Zuhause über die Bundestagswahl aus und schaue gemeinsam die TV-Duelle. „Aber meine Eltern erzählen mir nicht, wen sie wählen“, sagt Luca.
Nicht nur bei der Wahl der Partei sind sich die Freundinnen einig. „Selbst wir bekommen mit, dass das, was Merkel und Schulz im Wahlkampf erzählen, nie umgesetzt wird“, sagt die Zehntklässlerin und bekommt ein zustimmendes Nicken von ihrer Freundin Fenja. Im Unterricht haben sie sich mit den Parteiprogrammen auseinandergesetzt und mussten verschiedene Positionen vertreten. „Jede Partei hat gute und schlechte Punkte – selbst die AfD“, erzählt Fenja. Sie habe die AfD repräsentieren müssen und sei überrascht gewesen, dass die Partei sich derart für ein Verbot von Tierquälerei einsetze.
Tiere spielen auch für Hanna eine wichtige Rolle. Die 13-Jährige hat ihre Stimme der Tierschutzpartei gegeben. „Die würde ich bei der Bundestagswahl auch wählen“, sagt die Neuntklässlerin. Bei der U18-Wahl in Berlin-Pankow kommt die Tierschutzpartei immerhin auf 5,8 Prozent der Stimmen. Wahlsieger sind die Grünen mit 24,2 Prozent, gefolgt von der CDU/CSU mit 18,8 Prozent, den Linken mit 16,9 Prozent und der SPD mit 13,9 Prozent. Dahinter liegen Die Partei mit mit 6,2 Prozent, die AfD mit 4 Prozent und die FDP mit 3,3 Prozent.
Kinder wählen linker als Erwachsene
Schulleiter Uwe Schramm ist sich sicher: „So links wie die Kinder wählen die meisten Eltern nicht.“ Er hält es für eine Selbstverständlichkeit, die U18-Wahl an seiner Schule durchzuführen – auch wenn im Unterricht kaum Zeit bleibt, die Kinder und Jugendlichen darauf vorzubereiten. „Die Kindern bilden sich ihre Meinung vor allem durch die Wahlplakate, die sie sehen“, sagt Schramm. Deshalb würden sie vermehrt Exoten wählen.
Die Zwölftklässler Nico und Emma haben ihre Stimme der FDP gegeben. „Die Partei hat sich am besten entwickelt. Die geben sich dieses Jahr richtig Mühe“, sagt die 16-jährige Emma. Ihr Freund Nico meint: „Mir gefällt die Einstellung, dass jeder für sein eigenes Glück verantwortlich ist.“ Der 18-Jährige, der für die U18-Wahl eigentlich zu alt ist, will auch bei der Bundestagswahl am 24. September die FDP wählen.
FSJler Gustav ist überzeugt, dass die U18-Wahl das Demokratiebewusstsein der Kinder und Jugendlichen fördert. „Nicht jeder hat dasselbe Verständnis von Politik, aber die U18-Wahl trainiert das“, sagt der 18-Jährige. Immerhin ist der Anteil der Nichtwähler in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Am Primo-Levi-Gymnasium ist die Wahlbeteiligung dagegen hoch: 1090 von knapp 1250 Schülern und Schülerinnen haben beim letzten Mal gewählt. Die Zahlen für dieses sind noch nicht veröffentlicht.
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