Touristenführer auf den Azoren

Touristenführer auf den Azoren

Ich werde den Berg nicht los. Er liegt in meinem Hinterhof.“ Ein Blick aus dem Fenster, und schon sieht João Xavier seinen Arbeitsplatz. Als Wanderführer auf der höchsten Spitze Portugals besteigt der 47-jährige Azorianer den „Pico“-Berg fast 100 Mal im Jahr, doch jede Besteigung verläuft anders. Pico ist der Name der zweitgrößten Insel unter den neun Inseln des portugiesischen Archipels Azoren. Sie verdankt ihren Namen einem Vulkanberg, der im „Pico Pequeno“ oder „Piquinho“, also kleinem Gipfel, gipfelt. Mit seinen 2351 Meter Höhe ist er der dritthöchste Berg, der aus dem Atlantik ragt, eine Attraktion für Touristen und Grund für Stolz für die Einwohner der Insel.

Er findet alle „einzigartig wunderschön“

João Xavier, versteckt mit seiner azorianischen Bräune und seinem Spitzbart seinen Patriotismus und seine Leidenschaft für den ganzen Archipel nicht, wenn er seine Insel mit den anderen vergleicht. „Ich bin wie ein Vater, der neun Kinder hat. Ich finde alle einzigartig wunderschön.“ Seine Karriere als Reiseführer fing früh an. Als Sohn von portugiesischen Immigranten in Kanada, kam er als Kind nach Pico und hatte somit in der englischen Sprache einen Vorsprung. Mit 17 Jahren übernahm er seine ersten touristischen Dienstleistungen und finanzierte davon sein Leben. Als er später anfing, den Pico zu besteigen, gab es noch keinen markierten Weg und keine spezifische Ausbildung für Reiseführer. Er organisierte aus eigener Initiative ungefähr 100 Besteigungen, bis er sich in jeder Wetterlage wohlfühlte und mit Sicherheit wusste, wo er sich an jedem Ort auf dem Berg befand.

Zurzeit hat er ein touristisches Unternehmen „Caminhando“, dessen Haupttätigkeit der Aufstieg zum Pico-Berg ist. Die Besteigung dauert durchschnittlich acht Stunden, rund vier Stunden für den Aufstieg und drei Stunden für den Abstieg, wobei man 7600 Meter mit einer Höhe von 1100 Metern zurücklegen muss. Es gibt auch die Möglichkeit für Gäste, an der Spitze zu übernachten, sodass man den Sonnenuntergang und -aufgang erlebt. Man muss dazu perfekte Wetterbedingungen erwischen: kein Regen und Wind unter 30 Stundenkilometern. Die Landschaft über dem Atlantik und den landwirtschaftlichen Feldern und die Suche nach den anderen Inseln unter den Wolken entschädigen für die Probleme des Übernachtens: Beim Wandern muss man mehr mit sich nehmen, beim Schlafen sehnt man sich nach einem gemütlichen Bett. Und Toiletten fehlen einem manchmal auch.

Heiratsantrag auf der Spitze

„Keine Fahrt gleicht der anderen, keine Gruppe kommt zweimal vor. Das Wetter ist immer unterschiedlich, die Landschaft ist immer unterschiedlich schön, und die Wolken bewegen sich jedes Mal anders“, sagt Xavier und begründet so seinen Wunsch, bis zum hohen Alter als Wanderführer weiterzuarbeiten. Das jüngste Mitglied bei einer Besteigung war ein neun Monate altes Baby und das älteste ein 87-jähriger Mann. 2019 schaffte es „Caminhando“, 1300 Personen aller Altersgruppen bei Besteigungen Picos zu begleiten, ohne dass Verletzungen oder große Probleme vorkamen. Unfälle gibt es aber auch. João erfuhr das am eigenen Leib während einer Mittagspause auf der Spitze. Nach dem Essen war sein Körper abgekühlt, und als er spielerisch einem kleinen Kind hinterherrennen wollte, erlitt er einen Muskelfaserriss im Bein. Er sagte es niemandem und beendete die Tour mit Schmerzen. Danach musste er für drei Monate zur Physiotherapie und aufs Wandern verzichten. Schönere Überraschungen gehören auch dazu. „Letzte Woche kam ein nervöser junger Mann zu mir, um um Hilfe zu bitten, seiner Freundin einen Heiratsantrag auf der Spitze zu machen. Wir haben es besprochen, ich habe es gefilmt, und dann waren die beiden sehr glücklich“, sagt der Azorianer.

Weinproben als Plan B

Seine Firma bietet auch andere Aktivitäten an wie Autotouren über die Insel, Wanderungen und Besuche mit Weinprobe in den Weingütern, die als Plan B dienen, wenn das Wetter nicht ideal für eine Besteigung ist. Im Winter nimmt die Nachfrage um 80 Prozent ab, aber man kann trotz der Kälte und des Schnees mit geeigneter Ausrüstung steigen. Die Saisonalität prägt den Tourismus in den Azoren. Deshalb widmet sich Xavier in seinem zweiten Job seinen Weinreben und seiner kleinen Obst- und Gemüseproduktion. Diese Arbeit als Bauer hilft ihm, fit zu bleiben. „Ein Spaziergang im Weinberg ist fast wie ein Spaziergang in den Bergen.“ Jedoch ist die psychologische Last schwieriger als die physische zu bewältigen. „Als ich einmal zwölf aufeinanderfolgende Besteigungen gemacht habe, musste ich mich für zwei bis drei Tage ausruhen, weil ich den Leuten keine gute Gesellschaft mehr leisten konnte.“ Während der ersten Welle der Pandemie gab es natürlich einen riesigen Einbruch der Nachfrage. Der internationale Tourismus verringerte sich, aber dafür stieg der nationale. „Die Portugiesen, besonders Azorianer, haben uns gerettet“, erklärt Xavier mit Dankbarkeit. Im Tourismussektor zu arbeiten bietet tägliche Abenteuer. João Xavier wird seines Arbeitsorts und seiner Heimat nicht müde. Über Besteigungen anderer, höherer Vulkane, wie in Cabo Verde oder in Tenerife, sagt er: „Schön, aber unser Pico ist schöner.“

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