Hunde im Klassenzimmer? In einer Schule in Tübingen gehört der tierische Besuch fast zum Alltag. Schülerliebling Naya besucht zweimal pro Woche die 6c und sorgt damit für Gelassenheit und Konzentration. Experten zufolge kommen in Zukunft immer mehr Schulhunde zum Einsatz. Regeln dafür existieren bislang keine.
Die Schüler der 6c der Gemeinschaftsschule West in Tübingen arbeiten an diesem Morgen ausgesprochen ruhig. Wer etwas von Lehrerin Bettina Rebstock wissen will, winkt sie zu sich und flüstert. Ein Grund für die ungewöhnliche Ruhe ist Schulhündin Naya. Weil Hunde sehr viel besser hören als Menschen, darf die Klasse nicht zu laut sein, wie Schülerin Albina erklärt. Die schwarze Mischlingshündin gehört an zwei Tagen pro Woche zur Klasse. Für viele Schüler die schönsten Tage der Schulwoche.
Positive Wirkung auf das Sozialverhalten der Schüler
Rebstock hat die Hündin vor rund fünf Jahren aus einem Tierheim in Spanien geholt und von Anfang an mit in die Schule genommen, um sie an die Kinder zu gewöhnen. Sie ist überzeugt, dass Schulhunde eine positive Wirkung auf das Sozialverhalten von Schülern haben. Die Kinder lernen ihrer Erfahrung nach zum Beispiel, einem Tier Grenzen zu setzen und auch selbst Regeln, die im Schulhundeprojekt gelten, einzuhalten.
Das Kommando „Ab!“ versteht Naya und trollt sich. Wenn ein Schüler besonders aufgeregt ist, kommt die Hündin auch zum Einsatz. „Ich sage dem Schüler dann: Setz dich mal vor zu Naya, nimm dir eine Auszeit, streichel sie“, sagt Rebstock. Das beruhige.
Die Zahl der Schulhunde in Deutschland nimmt zu, wie die Vorsitzende der Internationalen Gesellschaft für tiergestützte Therapie, Psychologin Andrea Beetz, sagt. Zu den positiven Effekten gehöre, dass sich Schüler durch die Anwesenheit von Hunden entspannten. Allerdings kritisiert sie auch, dass häufig ungeeignete Hunde mit nicht eigens dafür qualifizierten Lehrern in Schulen seien und fordert Standards.
Für Schulhundprojekte gibt es bisher keine einheitlichen Regeln. Sie müssen nur vom Schulleiter, der das Hausrecht in der Schule hat, erlaubt werden, wie etwa das baden-württembergische Kultusministerium mitteilt. Wie viele Schulhunde es gibt, wird im Ministerium nicht erfasst.
Lehrer muss pädagogisch versiert sein
„Themen, die in den Schulen gelöst werden können, sollten auch in den Schulen gelöst werden“, sagt der Sprecher der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Matthias Schneider. Die Schulverwaltungen arbeiteten ohnehin am Limit.
Für die Schulleiterin der Gemeinschaftsschule West in Tübingen, Angela Keppel-Allgaier, kommt es bei der Genehmigung von Schulhundprojekten auf ihr Vertrauen zum Lehrer mit Hund an – und nicht auf eine besondere Ausbildung. Sie als Schulleiterin genehmige ein Projekt nur, wenn sie wisse, dass der Lehrer ausgesprochen strukturiert arbeite und pädagogisch versiert sei.
„Unsere Schüler bringen viele Belastungen mit“, erklärt Keppel-Allgaier. Kinder Zuneigung und Geborgenheit spüren zu lassen, sei schwierig, gelinge aber über den Hund. „Wenn die Lehrerin gut mit dem Hund umgeht, vermittelt sie ein gutes Gefühl.“
Naja hat ein Körbchen, in das sie sich zurückziehen kann
Die Schüler lernen außerdem Verantwortung: Zwei Schüler haben Hundedienst, wenn Naya ihren Schultag hat. Sie bleiben in der Pause mit ihr im Klassenzimmer, geben ihr etwas zu trinken und spielen mit ihr. Der Dienst ist beliebt, wer Geburtstag hatte, darf ihn übernehmen.
Ein weiterer Nebeneffekt aus Sicht von Bettina Rebstock: „Viele Kinder mit Migrationshintergrund lernen, dass Hunde hier zur Familie gehören.“ Um Vorbehalte von Eltern aufzulösen, hat sie Naya auch beim Elternsprechtag dabei. Sowieso wird vor dem Schuljahr bei den Eltern gefragt, ob Kinder in die Klasse mit Hund wollen und dürfen.
Für Naya seien die Schultage zwar anstrengend, sagt Rebstock. Wenn das Stress-Level steige, lege die Hündin ihre Ohren an. Rebstock kann dann reagieren. Hinter ihrem Pult steht ein Körbchen, in das sich Naya zurückziehen kann. Es sei noch nie etwas passiert, sagt Rebstock. „Ich glaube schon, dass sie ganz gerne herkommt.“
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