Fast ein Jahr im Krankenhaus und noch länger auf der Warteliste für Organspende: Der 15-jährige Marc aus Bayern braucht dringend ein neues Herz. Er lebt nur noch dank eines Kunstherzens. Doch vieles geht damit nicht – etwa zur Schule gehen, Sport machen oder einfach mal Freunde treffen.
Marcs zweites Herz ist mehr als zehn Kilo schwer und so groß wie ein kleiner Rollkoffer. Der 15-Jährige muss es überall hin mitnehmen, doch viel machen kann er damit nicht. „Ich würde gern Fahrrad fahren oder Tischtennis spielen. Oder in den Urlaub fahren. Aber das geht nicht“, sagt der Jugendliche. Seit mehr als einem Jahr wartet Marc auf ein Spenderherz.
Marcs Nieren haben Schaden genommen
Sechs größere Operationen am Herzen hat er schon hinter sich. Auch seine Nieren funktionieren nicht mehr richtig, so dass er dreimal in der Woche zur Dialyse muss. Doch der 15-Jährige aus Amberg (Bayern) gibt nicht auf. Während die Geräte neben ihm arbeiten und die Schwestern seine Werte kontrollieren, macht Marc Mathe-Aufgaben. Er will in wenigen Wochen seinen qualifizierenden Hauptschulabschluss machen.
Marc hat eine Kardiomyopathie, eine angeborene Herzmuskelschwäche. Diese ist bei Kindern sehr selten. „Aber es ist die Hauptursache für die Notwendigkeit von Herztransplantationen bei Kindern und Jugendlichen“, sagt Sven Dittrich, Leiter der Kinderkardiologie am Uniklinikum Erlangen. „Kardiomyopathien sind Killer.“ Oft würden die Symptome jedoch zuerst nicht richtig erkannt. „Wer erwartet schon ein Herzproblem bei einem Kind?“ Der weltweite Tag des herzkranken Kindes am 5. Mai will auf die Ausbreitung von Herz- und Kreislauferkrankungen in dieser Altersgruppe aufmerksam machen.
Zunächst half ein Herzschrittmacher
Mit nicht einmal zehn Jahren bekam Marc einen Herzschrittmacher, mit dem er fünf Jahre lang ganz gut klar kam. Doch im November 2012 zeigt sich sein schwaches Herz dann richtig: Bei einem Praktikum in der Firma seines Vaters wird ihm ständig übel. Anfangs halten alle es für Grippe, doch als es ihm immer schlechter geht, untersucht der Kinderarzt sein Herz und schickt ihn danach direkt in die Klinik.
Marcs Mutter Claudia Vales erinnert sich noch gut an die Diagnose. „Die Welt ist damals zusammengebrochen“, sagt die 43-Jährige. Es folgt ein Auf und Ab für Marc und seine Familie. Mehrere Operationen muss der Junge über sich ergehen lassen. Einmal verläuft es richtig schlimm: Mehrere Organe versagen, Leber und Niere setzen aus. Marc läuft am ganzen Körper blau an. Seitdem ist er auf die Dialyse angewiesen.
„Wir haben viermal erfahren, er wird es nicht schaffen“
„Wir haben viermal erfahren, er wird es nicht schaffen und jedes Mal hat er es dann doch wieder geschafft“, erzählt seine Mutter. „Das war ein extremer Verlauf“, betont der Kardiologe Dittrich. Marc wird daher nicht nur ein neues Herz brauchen, sondern irgendwann auch eine Nierentransplantation.
Elf Wochen lang liegt Marc auf der Intensivstation, insgesamt ist er knapp ein Jahr im Krankenhaus. Irgendwann bricht er in Tränen aus und sagt: „Mama, ich will endlich ein Herz haben.“ Mit ihm im Zimmer liegt ein fünfjähriges Mädchen, das auch ein Kunstherz hat. „Da hat er gesehen, dass er nicht alleine ist“, erzählt seine Mutter.
Das Kunstherz als besten Freund und nicht als Handicap sehen
Im Januar 2013 wird Marc dann auf die Warteliste für ein Spenderherz gesetzt. Und er bekommt das neue Kunstherz, mit dem die Zeit bis zur Transplantation überbrückt werden soll. „Ich hab ihm immer gesagt, er muss die Maschine wie einen besten Freund ansehen, denn ohne sie wäre er ja nicht mehr da“, sagt Claudia Vales. Im November darf Marc nach Hause. „Das war der Lichtblick“, sagt seine Mutter. Und sehr ungewöhnlich. „Das gab es noch nie, dass ein Kind mit Kunstherz allein zu Hause ist.“ Der Mediziner Dittrich bestätigt: „Mit Marc haben wir nach langen Diskussionen ein bisschen Neuland betreten.“
Bescheiden sagt Marc: „Momentan geht’s mir wieder gut mit dem Gerät.“ Dabei muss der 15-Jährige mehrmals in der Woche stundenlang ruhig liegen, hat stets ein kompliziertes Gebilde aus Pumpe und Schläuchen an seinem Bauch. Tag und Nacht ist er an die Maschine gebunden. Wegen des Verbands ist Duschen schwierig, an einen Besuch im Freibad nicht zu denken.
„Ich kann mich nicht einfach mal so mit Freunden treffen“, sagt er. Sie müssen stets ihn besuchen kommen. Zur Schule geht Marc seit eineinhalb Jahren auch nicht mehr. Lehrerinnen geben ihm zu Hause und in der Klinik Deutsch-, Mathe- und Englischunterricht. Immer muss Mutter, Vater oder jemand vom Pflegedienst in der Nähe sein. Jeden Tag muss er Medikamente nehmen – „eine ganze Schachtel voll“, wie sein Vater André Vales sagt.
Jeden Abend wartet die Familie auf „den Anruf“
„Man muss sich arrangieren“, sagt der 45-Jährige. Dienstreisen macht der Maschinenbauingenieur keine mehr. Seine Frau hat ihren Beruf vorerst aufgegeben. „Der Alltag ist ein Wahnsinn“, sagt Claudia Vales. Jeden Abend warte ihre Familie „auf den Anruf“, auf die Nachricht, dass Marc endlich ein neues Herz bekommt. „Das Warten ist das Schlimmste.“
Organspenden nach den Skandalen deutlich zurückgegangen
„Das eigentlich Tragische ist, dass er immer noch kein Herz bekommen hat“, sagt Dittrich. Seit den Skandalen um Organtransplantationen seien die Spenden eingebrochen, im vergangenen Jahr sei die Zahl der Transplantationen um rund 40 Prozent zurückgegangen. „Das merken wir deutlich. Die Wartezeiten für neue Organe haben sich dramatisch verlängert – zum Teil bis ins Unerträgliche.“
19 Kinder im Alter bis einschließlich 15 Jahre standen nach Angaben von Eurotransplant am Ende des vergangenen Jahres in Deutschland noch auf der Warteliste für ein Spenderherz. Bis zum 16. Lebensjahr haben sie eine erhöhte Priorität. Ein neues Herz bekommen hatten im Jahresverlauf 32 Kinder. Auch Marc wird nur mit einem Spenderherzen von der Maschine loskommen. Fleißig büffelt er nun für die kommenden Prüfungen. Seine „Quali“ möchte er gut machen – und seinen 16. Geburtstag im Dezember am liebsten schon mit einem gesunden Herzen feiern – ohne die Maschine.
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