Crystal Meth ist die Droge, die nach Cannabis weltweit am häufigsten konsumiert wird, die aber in Deutschland bisher am wenigsten beachtet wurde. Seit einiger Zeit rücken die gefährlichen Kristalle mehr und mehr auch in den Fokus der Politik. Man muss handeln, das weiß man inzwischen. Doch wie, ist unklar. Denn die Konsumenten sind nicht unbedingt nur im Drogenmilieu zu finden, sondern ebenfalls in Schulen, in Ausbildungsstätten, an Universitäten, beim Sport, aber auch in der Arbeitswelt und auf Elternabenden.
Crystal Meth zieht sich quer durch alle Bevölkerungsschichten, mit verheerenden Auswirkungen nicht nur auf Körper und Seele, sondern auch auf die Gesellschaft an sich. Das Nervengift kann schon nach kurzer Zeit zu schweren Schäden führen. Es wurde bereits im Zweiten Weltkrieg unter dem Namen Pervitin flächendeckend eingesetzt und später als „Hausfrauenschokolade“ in Form von kleinen, nur leicht dosierten Pralinen, die den Alltag erleichtern sollten, verbreitet. Heute gilt das Methamphetamin, das sehr schnell reizbar und abhängig macht, als eine der gefährlichsten Drogen der Welt.
Um der Situation angemessen begegnen zu können, erarbeitet der Diplomsozialpädagoge Norbert Wittmann von der Nürnberger Drogenberatung mudra mit seinen Kollegen derzeit ein spezielles Behandlungs- und Beratungskonzept. Der Schwerpunkt, so betont er, liege bei den jungen Konsumenten, da gerade bei dieser Zielgruppe der Konsum erschreckend gestiegen sei.
t-online.de: Gesteigerte Konzentration und Leistungsfähigkeit, mehr Selbstbewusstsein, keine Müdigkeit, keine Sorgen – stattdessen wird man von Glück durchflutet und am Ende durch das mangelnde Hungergefühl auch noch schlank. Klingt eigentlich ziemlich verlockend, oder?
Norbert Wittmann: Klar, das sind Werte, die in unsere Gesellschaft passen und scheinbar von hohem Wert sind. Obwohl oder gerade weil sie dem natürlichen Wesen des Menschen mit seinen Schwächen einen Gegenentwurf liefern. „Damit bekomm‘ ich alles hin“, ist die typische Erklärung vieler Konsumentengruppen. Es ist eine Wirkungsweise, die zu unseren Scheinbedürfnissen beziehungsweise dem, was wir an Leistungsdruck aufgedrängt bekommen, wunderbar passt. Denn die Wirtschaft wird nicht sagen: „Alles cool, jetzt habt Ihr richtig was geleistet, jetzt lehnt Euch mal zurück.“ Die Leistungserwartung wird weiter steigen und so für die Verbreitung von Drogen wie Crystal Meth sorgen.
Immer wieder kann man lesen, dass Meth-User überwiegend in der Nähe zur tschechischen Grenze leben, wo die Droge billig produziert wird. Also kein deutschlandweites Problem? Können sich die Eltern zum Beispiel in Rheinland-Pfalz entspannen?
Nein, das können sie leider nicht. Crystal Meth hat auch die anderen Bundesländer erreicht und nimmt vor allem in den großen Städten schon einen erheblichen Stellenwert ein. Bekannt wird ja immer nur die Spitze des Eisbergs. Die Dunkelziffer ist bei solchen Drogen sehr hoch. Ich persönlich kann mir vorstellen, dass zehn bis 15 Prozent aller Deutschen zwischen 15 und 60 Jahren bereits Kontakt damit hatten, direkt oder indirekt.
Auffallend aber ist der Schub, den das Ganze in letzter Zeit bekommen hat. Den kann man auch nicht eindämmen, indem man, wie immer wieder diskutiert wird, die Verfügbarkeit der Grundstoffe erschwert. Das ist allein europarechtlich schon ein hochkomplexes Thema und inzwischen sind auch Länder wie China in die Großproduktion eingestiegen. Die Gewinnspannen sind einfach zu verlockend. Mit repressiven Mitteln oder Verboten kommt man hier weder auf dieser Seite noch auf der Seite der Konsumenten weiter. Crystal trifft ein Bedürfnis unserer Zeit und genau das steht dem Eindämmen entgegen.
Eine erste öffentlich geförderte Studie hat gezeigt, dass die Konsumenten in jeder Gesellschaftsschicht zu finden sind. Hat Crystal schon unsere Schulen erobert?
Soweit würde ich nicht gehen. Aber es gibt eine Entwicklung, die erfordert, genauer hinzusehen. Unsere Schüler sollen leistungsstark sein, keine Schwächen haben. Schulzeit- und Studienverkürzungen schaffen einen enormen Druck. Das sind fragwürdige Reformen, die einen idealen Nährboden für solche Drogen schaffen.
Das Bild, das wir in unserer medialen Gesellschaft von uns selbst geschaffen haben, ist klar definiert: immer präsent, immer hell und wach, dazu topmodisch und gestylt kombiniert mit diesem dauernden Hunger nach Anerkennung. Es geht immer wieder um Lifestyle und Leistungsfähigkeit. Klar, dass es dann verlockend ist, chemisch ein bisschen nachzuhelfen. Schließlich erfüllt die Droge zunächst diese Bedürfnisse extrem gut, sie lässt einen in hohem Maße funktionieren. Bis sich das Blatt wendet.
Was passiert denn, wenn sich das Blatt wendet?
Regelmäßiger Konsum birgt das Risiko enormer körperlicher und seelischer Schäden. Angefangen von Schlafstörungen, einem gesteigerten Aggressionspotenzial, Persönlichkeitsveränderungen und Panikattacken bis hin zu Nerven- und Gehirnschäden. Auch Psychosen und Depressionen sind bei Dauerkonsum wahrscheinlich. Es ist ganz schwierig, vorherzusagen, wo das Ganze langfristig hinführen wird.
Wie können wir also unsere Kinder schützen?
Man muss den Entwicklungen entgegensteuern. Meine Sorge ist, dass junge Menschen, die einmal sehen, das hilft mir, eine gute Leistung zu erbringen, immer wieder dazu greifen, statt natürliche Kompetenzen zu entwickeln. Hier präventiv zu arbeiten, ist wirklich die einzige effektive Möglichkeit, dem zu begegnen. Schulen und Ausbildungsstätten müssen Aufklärungsarbeit leisten, bevor das Einnehmen von Leistungssteigerern lockt. Da sind wir aber alle gefordert. Denn eine Gesellschaft, die Funktionalität fordert und Schwächen nicht zulässt, leistet dem Missbrauch von Drogen wie Amphetaminen Vorschub.
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler, sieht schon allein aufgrund der von der Studie aufgedeckten sehr unterschiedlichen Konsumenten Handlungsbedarf. Sie fordert zielgruppenspezifische Maßnahmen. Welche Strategien greifen denn hier?
Ich würde mir wünschen, dass die Politik nicht nur von Prävention redet, sondern anpackt. Wobei Prävention nicht bedeutet, in eine Schule zu gehen, einen Koffer zu öffnen und zu sagen: Schau, das ist Crystal und das ist gefährlich. Man muss stattdessen Angebote machen, die den Bedürfnissen der Jugend entsprechen. Nur Information bietet Wissen und Sicherheit. Denn das einzige, was Leute vor Drogenabstürzen schützen kann, sind sie selbst.
Eins muss uns klar sein: Kontrolliert bekommen wir es nicht. Wir müssen also anders mit der Thematik umgehen und die Jugendlichen in ihrer Entwicklung stärken. Die Kompetenz mit eigenen Schwächen umzugehen, muss man sich erwerben. Dazu brauchen Jugendliche Partner auf Augenhöhe, die mit ihnen offen und ehrlich reden. Pädagogisch geschulte Partner, die helfen, richtige Entscheidungen zu treffen. Ich träume seit Jahren von einem Schulfach “Soziale Kompetenz” – das wäre ein guter Schutz.
Doch nicht nur Schüler nehmen Crystal. Auch Eltern versuchen sich damit über den Alltag zu retten, leistungsfähig zu bleiben. Rund jeder vierte Meth-Konsument hat selbst Kinder. Was bedeutet das langfristig für diese Familien?
Crystal ist kein Puppentheater. Wenn der Konsum sehr regelmäßig oder sogar täglich stattfindet, ist das ein katastrophales Umfeld für Kinder. Ich glaube aber, dass in Familien eher in Krisensituationen konsumiert wird, indem man versucht, Leistung zu bringen, aber keine Kraft mehr da ist. Das gilt für Alleinerziehende zum Beispiel, die kein stützendes Umfeld haben. Wenn man erfährt dass es etwas gibt, das einen durchhalten lässt, dann kommt man in Versuchung.
Diese Konsumenten zu erreichen, das ist die Herausforderung, vor der wir stehen. Denn gerade die, die nur alle paar Wochen oder Monate „mal nachhelfen“, rutschen in eine Abhängigkeit, ohne es zu merken und ohne irgendwelche kriminellen Energien zu haben. Es geht rein darum, seinen Job – auch als Mutter oder Vater – anständig zu machen, nicht müde zu sein. Vom Grund her also um Bedürfnisse, die in Ordnung sind, die aber nicht mehr erfüllt werden können. Hier muss man wertungsfrei ansetzen und Hilfe anbieten.
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