Eine Trennung ist besonders folgenreich, wenn ein Paar gemeinsame Kinder hat. Den betroffenen Müttern und Vätern fällt es schwer, ihr bisheriges Familienleben aufzugeben. Manche wählen zunächst den Kompromiss einer Eltern-WG, die weiter gemeinsam unter einem Dach lebt. Welche Unwägbarkeiten und Probleme das mit sich bringen kann und welche Schwierigkeiten die Kinder damit haben, erläutert ein Experte.
Das Thema „Zweckgemeinschaft Eltern-WG“ beschäftigt viele Mütter und Väter, davon zeugen zahllose Chat- und Foren-Beiträge. Neben finanziellen und wirtschaftlichen Gründen – ein Haushalt ist immer billiger als zwei – ist es nicht selten die Macht der Gewohnheit, die entliebte Paare daran hindert, ihre Trennung sowohl innerlich als auch äußerlich konsequent umzusetzen. Zu bequem ist die lieb gewonnene Komfortzone, in der sich viele eingerichtet haben.
Zusammenbleiben wegen der Kinder
Als zentrales Argument für eine Eltern-WG führen die meisten aber ihren Nachwuchs an: Sie wollen ihren Kindern trotz Trennung keine getrennten Wohnsituation zumuten und die Familie wenigstens äußerlich erhalten.
So schreibt „Sanne“ in einem Forum: „Wir haben uns nach zwölf Jahren Ehe auseinandergelebt und vor einem Jahr getrennt. Um die Familie nicht auseinanderzureißen, sind wir im gemeinsamen Haus wohnen geblieben. Wir haben genug Platz, so dass jeder sein eigenes Zimmer hat. Trotzdem können wir uns weiterhin gemeinsam um unsere Söhne kümmern.“
„Nick“ meint: „Dass eine freundschaftliche, platonische WG nicht das Gelbe vom Ei ist, ist mir klar. Aber vielleicht ist es doch noch der beste aller beschissenen Wege in dieser Situation. Das Problem ist, dass wir zwei kleine Kinder haben und ein hochverschuldetes Haus, das einer allein nicht halten kann.“
Getrennte Wohnungen der Eltern meist besser für Kinder
Björn Enno Hermans kennt dieses elterliche WG-Modell aus seinem Praxisalltag als Therapeut für Kinder, Jugendliche und Familien: „Dahinter steckt die oft verbreitete Meinung, dass es Trennungs-, beziehungsweise Scheidungskinder besonders schwer haben, wenn Mutter und Vater getrennt leben. Doch das ist nicht grundsätzlich so: Untersuchungen zeigen, dass das Konfliktniveau zwischen den Eltern die Kinder belastet, und nicht die Trennung an sich. Somit kann eine Trennung auch Entlastung bedeuten.“
Anforderungen für funktionierende Eltern-WG sind hoch
Wie groß das Risiko für zwischenmenschliche Disharmonien ist, wird von den Betroffenen im Vorfeld oftmals unterschätzt. „Natürlich kann das irgendwie gehen“, kommentiert der Diplompsychologe, „aber die Anforderungen dafür sind sehr hoch. Das würde ja bedeuten, dass die Partner ihre Trennung, die in der Regel mit Konflikten einhergeht und manchmal Jahre dauert, komplett überwunden haben und dann gleichberechtigt und frei gewählt beschließen, weiter zusammen zu wohnen. So ein Fall tritt aber extrem selten ein.“
Häufiger sei, dass sich nur ein Elternteil diese Konstellation wünsche – nämlich derjenige, der auf eine Wiederbelebnung der Beziehung hofft und deshalb versucht, im Alltag weiter zu funktionieren. Der andere könne dann seine Gewohnheiten und Bequemlichkeiten weiter genießen, lebe aber gleichzeitig seine neuen Freiheiten aus. „In Wirklichkeit sind die Partner dann nicht auf Augenhöhe. Das ist eine ungleiche Verteilung von Interessen und eine schlechte Voraussetzung für ein Zusammenleben dieser Art.“
Kinder brauchen Klarheit und Transparenz
Die Leidtragenden einer vorgegaukelten Familiennormalität sind vor allem die Kinder. Denn eine nur vermeintlich heile Fassade verursacht bei ihnen eher Verwirrung und Ängste. Viel besser sei es, empfiehlt der erfahrene Therapeut, ihnen die Chance zu geben, frühzeitig zu lernen, mit den neuen Gegebenheiten umzugehen.
„Kinder wünschen sich vor allem Klarheit, Sicherheit, Verbindlichkeit und Transparenz in der Beziehung zu ihren Eltern. Sie müssen wissen, woran sie sind. Das ist wichtiger, als Dinge aufrechtzuerhalten, die schon lange nicht mehr gelten.“ Diese Offenheit helfe vor allem jüngeren Kindern zu trauern und vom bisherigen Familiengefüge Abschied zu nehmen..
Neue Beziehungen machen alles noch komplizierter
Zusätzliche Fallstricke lauern, wenn neue Liebespartner ins Spiel kommen. Das führe auch bei größter Toleranz und freundschaftlicher Distanz meist zu Gefühlschaos, weiß Hermans.
Diese Erfahrung hat Eltern-WG-Bewohnerin „Sanne“ gemacht, als ihr „Ex“ eine neue Liebe fand. „Bei uns tauchen nun die ersten Probleme auf. Ich habe zwar nichts dagegen, wenn mein Mann die Kinder mal zu seiner Freundin mitnimmt“, erzählt sie in Forum, „aber es fällt mir sehr schwer, die Besuche seiner Freundin hier zu Hause hinzunehmen. Aber auch für ihn und die Kinder ist das nicht einfach.“
Die Kinder wissen nicht, an wem sie sich orientieren sollen
Zu solcher Selbstkritik sind aber nicht bei alle Betroffenen fähig. „Ich habe erlebt, dass solche Modelle mit großer Selbstverständlichkeit präsentiert wurden, nach dem Motto ‚Wir sind doch eine moderne Familie mit Beziehungskonstellationen, wo auch ein anderer Partner kein Problem ist'“, berichtet der Experte. „Wenn man da aber ein wenig in die Tiefe geschaut hat, habe ich bisher nicht erlebt, dass sich alle wirklich gut dabei gefühlt haben.“
Für Kinder ist der Umgang mit neuen Lebensabschnittsgefährten der Eltern besonders kompliziert, wenn diese zeitweise oder sogar dauerhaft mit in der Wohngemeinschaft leben. Die Kinder wissen dann nicht, an wem sie sich orientieren sollen, beziehungsweise wer ihre Leitfigur ist. In einer klassischen Trennungssituation mit räumlicher Trennung sei es wesentlich einfacher für die Kinder, sich auf eine weitere erwachsene Bezugsperson samt anderer Regeln und Gegebenheiten einzustellen, erklärt der Diplompsychologe.
Eltern-WG zu konfliktträchtig und intransparent
Die Nachteile der „Eltern-WG trotz Trennung“ sind also zahlreich. Leider bekommen sie vor allem die Kinder zu spüren, obwohl doch die meisten Väter und Mütter mit diesem Lebensentwurf gerade ihnen etwas Gutes tun und weiterhin einen gemeinsamen Familienalltag ermöglichen wollen. Doch diese Form des Miteinanders taugt allenfalls zu einer zeitlich begrenzten Kompromisslösung.
„Eine Eltern-WG ist in den meisten Fällen kein empfehlenswertes Modell“, resümiert Hermans. „Im Prinzip kommt eine Wohngemeinschaft getrennter Eltern inklusive eines harmonischen, intakten Familienlebens – insbesondere für den Nachwuchs – einer eierlegenden Wollmilchsau gleich. Und die gibt es ja bekanntlich nicht.“
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