Tausende Jugendliche fallen in Deutschland durchs soziale Raster

Sie sind auf der Rutschbahn Richtung dauerhafte Obdachlosigkeit und Drogensucht: Mehr als 20.000 junge Menschen in Deutschland rutschen nach einer Studie derzeit aus Schule und Ausbildung, aber auch aus sozialen Einrichtungen komplett heraus. Das Deutsche Jugendinstitut warnt deshalb in seinem Report „Entkoppelt vom System“ vor einer Vernachlässigung der Jugendhilfe.

Die meisten Jugendlichen können den Übergang ins Erwachsenenalter nutzen, um ihren Bildungsweg einzuschlagen und Freiwilligendienste oder Praktika einzulegen, während jedoch eine Gruppe junger Menschen scheitert: die sogenannten „entkoppelten Jugendlichen“. Sie drohen sowohl aus dem Bildungssystem und der Erwerbsarbeit, als auch aus allen Hilfestrukturen herauszufallen.

Hier werden die Weichen falsch gestellt

Dabei handelt es sich nicht um Einzelfälle, sondern Schätzungen zufolge um mehr als 20.000 junge Menschen, die nach Wahrnehmung der Fachkräfte aus dem Jugendbereich unter seelischen und psychosozialen Störungen leiden.

Die Studie zeigt, an welchen Punkten im Leben der Jugendlichen die Weichen falsch gestellt werden und wie die Jugendhilfe dort verstärkt werden sollte. Die damit verbundenen Kosten wären auch gesamt-gesellschaftlich gesehen eine gute Investition, denn laut der Studie zeigen bereits frühere wissenschaftliche Berechnungen: Für jeden im Rahmen der Jugendhilfe ausgegebenen Euro wird im weiteren Lebensverlauf das Dreifache entweder an staatlichen Ausgaben eingespart oder durch Steuer- und Wertschöpfung zusätzlich eingenommen.

Früherkennung von Risiken muss verbessert werden

Die Studienautoren fordern eine bessere Früherkennung von Risikolagen. Schließlich kommen viele der betroffenen Jugendlichen aus stark belasteten Familien, in denen sie emotionale Vernachlässigung, Verwahrlosung und Gewalt erlebt haben, wovon die Jugendhilfe erst zu spät erfahren hat. Um dem vorzubeugen, sollten beispielsweise Lehrer in ihrer Aus- und Fortbildung noch stärker sensibilisiert werden, und an allen Schulen sollte es eine angemessene Schulsozialarbeit geben sowie beim Jugendamt einen direkten Ansprechpartner für problematische Fälle.

Zu viel Bürokratie, zu wenig effektive Hilfe

Wenn die Jugendlichen einmal in den staatlichen Hilfestrukturen seien, sollten diese so individuell, unbürokratisch und effektiv wie möglich gestaltet werden. Bisher arbeiten die zuständigen Behörden in der Regel nach ihren standardisierten Vorgaben, die jedoch den besonders brüchigen Lebensläufen und komplexen Problemlagen der „entkoppelten Jugendlichen“ nicht gerecht würden. Deshalb sollten für diese Jugendlichen künftig alle Angebote gebündelt werden, so dass sie nicht mit zu vielen Ansprechpartnern und Antragsverfahren konfrontiert, sondern aus einer Hand betreut werden.

Volljährigkeit wird zum Problem

Ein besonderes Problem entsteht, wenn die Jugendlichen volljährig werden. Viele von ihnen wachsen in der Obhut der Jugendhilfe auf und werden mit Beginn ihres 18. Lebensjahres in die formalrechtliche Selbständigkeit und somit auch in eine eigene Wohnung entlassen, die vom Jobcenter finanziert wird.

Häufig zeige sich, dass sie noch nicht die persönliche Reife haben, um mit dieser neuen Freiheit zurechtzukommen. Sie geraten dann oft in finanzielle Schwierigkeiten, Alkohol- und Drogenprobleme und driften ab in die „falschen Kreise“.

Ausgerechnet in einer Lebensphase, in der sie für negative Einflüsse besonders anfällig sind, werden die Jugendlichen aus dem Jugendhilfesystem herausgedrängt. Das erhöht das Risiko zu scheitern.

Die Autoren der Studie empfehlen deshalb, diesen jungen Menschen durch eine längere sozialpädagogische Begleitung und Betreuung die nötige Stabilität zu bieten, um sich gesund zu entwickeln und sich auf ihren schulischen und beruflichen Werdegang zu konzentrieren. Das wäre nach deutschem Kinder- und Jugendhilfegesetz bereits möglich, wird aber zu selten angewandt, da die finanziell klammen Kommunen die Kosten übernehmen müssten.

Knackpunkt Übergang in den Beruf

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund empfiehlt, „Übergänge Jugendlicher von der Schule in den Beruf besser zu gestalten, Zeiten im Übergangssystem auf das notwendige Maß zu verkürzen und Abbrüche mit deren demotivierenden Folgen für die Jugendlichen zu vermeiden“. Es sollte für alle jungen Menschen eine Anlaufstelle geben, in der Unterstützungsstrukturen gebündelt zusammenlaufen. Schulen seien „zwingend in die gemeinsame Arbeit einzubinden“.

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