Meist sind es krasse Einzelfälle, die es in die Medien schaffen: In Lünen erstach im vergangenen Jahr ein 16-Jähriger seinen Mitschüler. In München schikanierte ein 15-Jähriger einen anderen Jungen, indem er ihn bei Ebay zum Verkauf anbot. Auf einer Klassenfahrt nach Lennestadt prügelten sich Schüler so heftig, dass ein Rettungshubschrauber anflog.
Doch wie ist die Stimmung unter Jugendlichen im Alltag? Nimmt die Gewalt auf Schulhöfen zu, wie es Lehrer und Eltern oft beklagen? Das ist schwierig auszuwerten, weil offizielle Polizeistatistiken wenig aussagekräftig sind. Sie bilden in der Regel nur das Hellfeld ab – also die Vergehen, die zur Anzeige gebracht wurden.
Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen hat nun jedoch eine Studie veröffentlicht, die auch die Gewalt unter Jugendlichen im Dunkelfeld untersucht. Die Forscher befragten 2017 fast 9000 Neuntklässler in allen niedersächsischen Schulformen – und zwar zum dritten Mal. Auch 2013 und 2015 hatte das Institut den sogenannten Niedersachsensurvey durchgeführt.
Die jüngsten Ergebnisse seien, so die Wissenschaftler, teilweise beunruhigend. Der Überblick:
- Fast jeder sechste Jugendliche berichtete (17,7 Prozent), schon mindestens eine Gewalttat im bisherigem Leben begangen zu haben. Zwei Jahre zuvor hatten nur 14,8 Prozent der Neuntklässler angegeben, mindestens einmal gewalttätig geworden zu sein. In den meisten Fällen ging es um Körperverletzung ohne Waffen: Sie hatten jemanden geschlagen, getreten, gewürgt oder auf andere Weise verletzt.
- Vergleicht man die aktuellen Ergebnisse allerdings mit denen aus dem Jahr 2013, hat die Gewalt nicht signifikant zugenommen: Damals hatten 16,7 Prozent der Schüler angegeben, schon einmal eine Gewalttat verübt zu haben.
- Im Hinblick auf die Taten der vergangenen zwölf Monate verläuft der Trend ähnlich: 2013 waren 7,9 Prozent der Jugendlichen in diesem Zeitraum mindestens einmal gewalttätig geworden, 2015 waren es 6,1 Prozent und 2017 wieder etwas mehr, nämlich 7,7 Prozent.
- Die Zahl der Schüler, die in den vergangenen zwölf Monaten selbst Gewalt erfahren haben, stieg ebenfalls wieder an. 2017 gab mehr als jeder vierte Schüler (27,2 Prozent) an, verprügelt oder – viel seltener – sexuell belästigt, ausgeraubt oder erpresst worden zu sein. 2015 waren es 23,7 Prozent der Neuntklässler, im Jahr 2013 24 Prozent.
- Nur in etwa jedem dritten Fall waren der oder die Täter dabei volljährig. Meistens waren sie genauso alt wie ihre Opfer. Die weitaus meisten Vorfälle passierten entweder in der Schule, auf dem Schulweg oder zu Hause.
- Die Schülerinnen und Schüler wurden auch gefragt, ob und wie oft sie eine Waffe bei sich tragen, also ein Messer, einen Schlagring oder einen Schlagstock. Obwohl es in Niedersachsen grundsätzlich verboten ist, solche Gegenstände mit in die Schule zu bringen, gaben 7,8 Prozent der Schüler an, sie gelegentlich oder sogar häufig auf dem Schulgelände dabeizuhaben. 2013 und 2015 lag der Anteil bei knapp unter sechs Prozent.
- In der Freizeit führte 2017 sogar gut jeder fünfte Jugendliche (21,8 Prozent) mindestens ab und zu ein Messer, einen Schlagring oder einen Schlagstock mit sich. Auch dieser Anteil stieg im Vergleich zu 2015 und 2013, als er noch jeweils unter 19 Prozent lag. Dabei waren Jungs weitaus öfter mit Waffen unterwegs als Mädchen.
Die Forscher beobachteten weitere Trends:
- Fast jeder zweite Schüler gab an, im vergangenen Schulhalbjahr gehänselt, ausgeschlossen oder ignoriert worden zu sein (48,3 Prozent). Noch etwas mehr berichteten von Cybermobbing im selben Zeitraum (49,3 Prozent). In beiden Fällen war das ein Anstieg um mindestens zwei Prozentpunkte.
- Niedersachsens Neuntklässler schwänzten 2017 deutlich häufiger die Schule als noch 2015. Vor vier Jahren war es etwas über ein Fünftel der Befragten, das mindestens einmal geschwänzt hatte, 2017 stieg der Anteil auf knapp ein Viertel.
- 1,7 Prozent der Jugendlichen konnten als rechtsextrem kategorisiert werden, schreiben die Forscher. Das heiße, dass sie sowohl ausländerfeindlichen Aussagen zustimmten, als auch rechte Verhaltensweisen ausführten. Der Anteil habe sich seit 2015 nicht signifikant verändert. Allgemein seien islamfeindliche, antisemitische und ausländerfeindliche Einstellungen unter den Schülern sogar leicht zurückgegangen.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung des Textes hieß es, rund 5300 Neuntklässler hätten die Fragebögen beantwortet. Es waren jedoch fast 9000 Schülerinnen und Schüler. Wir haben die Stelle korrigiert.
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