Demenz bei Großeltern: So erklärt man Kindern die Situation

Kinder verstehen oft, was Erwachsene nicht verstehen können oder wollen. Sie sind unvoreingenommener. Auch beim Thema Demenz. Sind die Großeltern betroffen, finden Kinder schnell einen natürlichen Umgang mit der Krankheit. Viel schwieriger ist die Situation für Jugendliche, deren Eltern dement werden.

Till Schweigers Tragikkomödie „Honig im Kopf“ hat den Nerv getroffen. Das kleine Mädchen, das als einzige zu verstehen scheint, wie der demente Großvater sich fühlt und was er braucht, ist Sinnbild für den Umgang von Kindern mit dem Thema.

„Solche Filme mögen ein wenig kitschig sein, aber sie bewegen auf eine gute Art“, fasst es Michael Schmieder im Gespräch mit t-online.de zusammen. Er ist der Leiter der schweizerischen „Sonnweid“, eine in Fachkreisen als führend bezeichnete Institution für Menschen mit fortgeschrittener Demenz. Dorthin kommen immer öfter Kranke, die zwischen 1950 und 1980 geboren sind und die entweder unter Alzheimer oder einer sogenannten sekundären Demenz leiden. Eine sekundäre Demenz kann beispielsweise die Folge einer Hirnblutung sein. Es sind Patienten, deren Kinder oft wirklich noch Kinder sind.

Demenz verschweigen schützt Kinder nicht

Momentan leben allein in Deutschland etwa 1,5 Millionen demenzkranke Menschen. Jedes Jahr treten mehr als 300.000 Neuerkrankungen auf, so die Zahlen der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. 6000 davon betreffen die Altersgruppe der 45- bis 64-Jährigen.

Das ist ein gesellschaftliches Problem, mit dem viele Erwachsene nicht umgehen können. Sie wollen ihre Kinder schützen, verschweigen vieles, um Ängste zu verhindern. Aber gerade dadurch erzeugen sie welche.

Dabei sind Kinder im Vor- und Grundschulalter sehr gut in der Lage, sich in den Zustand der Dementen zu versetzen. „Den Kindern selbst ergeht es oftmals ähnlich (…): Sie leben sehr intensiv in ihrer magischen Welt. Wie oft erleben sie, dass Hexen, Geister, Feen und die vielen anderen Wesen aus einer anderen Welt deutlich vor ihren Augen zu sehen sind, aber Mama und Papa schimpfen, sie sollen doch keinen Blödsinn reden“, heißt es im Buch „Demenz, ist das ein Tier wie Krebs?“ von Bianca Mattern, Eva-Maria Popp und Iris Weißer.

Worte finden für das Verlieren von Wörtern

Kinder und Demenzkranke sprechen eine ähnliche Sprache: Einfache Fragen, kurze Sätze, viel Mimik und Gestik. Und vor allem viel Gefühl. Die Autorinnen raten, Kinder zum Ausdruck dieser Gefühle anzuleiten, sie in Farben oder Worte zu fassen.

„Demenz schmeckt wie Kaugummi, der langsam seinen Geschmack verliert“, beschreibt es der zehnjährige Robert. Für die neunjährige Rija hat Demenz die Farbe Grau. Die befragten Kinder vergleichen die Krankheit mit Watte, mit schmelzendem Eis, mit matschigem Kartoffelbrei, mit einem Bücherschrank, aus dem die Bücher fallen oder mit einem explodierten CD-Player. Aber auch mit Vogelgezwitscher, Seifenblasen, bunten Farben und einem Regenbogen. 

Erwachsene müssen sich ihren eigenen Ängsten stellen

Kinder brauchen Vorbilder im Umgang mit der Krankheit und sie brauchen Antworten auf ihre Fragen. „Die wichtigste Voraussetzung für ein Gespräch mit Kindern über die Demenz ist die eigene Souveränität. Sollten eigene Ängste im Raum stehen, ist es wichtig, sich dazu zu bekennen und das zu kommunizieren“, heißt es in dem Buch.

Auch die Kinder haben Ängste. Vor Ansteckung zum Beispiel, aber auch vor dem veränderten Verhalten des Angehörigen. „Meine Uroma war immer total lieb und plötzlich wurde sie so gemein. Und wenn sie vergessen hat, wer ich bin, dann wurde ich sehr traurig“, erinnert sich die 14-jährige Hannah. Sie war vier als die Erkrankung bekannt wurde.

„Wie ein kleines Mädchen hat sie ausgesehen“

Ihre Schwester und sie haben oft mit der alten Dame gespielt.  Einfache Spiele, die sie noch von früher kannte, und mit Puppen. „Sie hat das geliebt und konnte das viel besser als die anderen Erwachsenen. Manchmal hat sie der Puppe die Windel als Mütze aufgesetzt.“ Irgendwann aber kam die Uroma ins Heim. Die Belastung für die Familie war zu stark, der Zeitaufwand zu hoch. Und es war zu gefährlich. „Das war so schlimm für mich. Sie stand da am Aufzug und wollte mit uns mit, aber mein Papa hat sie zurückgeschoben und ihr gesagt, sie müsse dableiben. Ihren Gesichtsausdruck vergesse ich nie. Sie hat nicht verstanden, warum wir sie dort lassen und wo sie ist. Wie ein kleines Mädchen hat sie ausgesehen“, erzählt Hannah.

Jungs haben große Schwierigkeiten mit dem Thema Demenz

Dass Angehörige immer mehr Fähigkeiten verlieren, ist für Jugendliche schwer zu verkraften. Besonders, wenn es die eigenen Eltern betrifft. Schmieder gibt zu bedenken: „Hinzu kommt die Angst, was aus einem selbst wird – diese Angst ist bei Jugendlichen viel größer als bei Kindern.“ Sie können die Tragik besser überschauen. „Mädchen sind resilienter, aber Jungs können das alles nur sehr schwer verkraften“, so Schmieders Erfahrung.

Vor allem in den Phasen, in denen sich die Persönlichkeit stark verändert, wird es für die Familie schwierig. Aber auch bei bestimmten Demenzformen, bei denen die Erkrankten stark enthemmt sind, ist der Umgang nicht einfach. Kinder und Jugendliche sollten dann wissen, dass die Kranken es nicht verletzend meinen, wenn sie ruppig sind, und dass sie weiterhin Respekt und Würde erwarten können. Auf der anderen Seite ist es Aufgabe der erwachsenen Angehörigen, auf die Grenzen der Kinder zu achten.

Zu wenig Hilfe für Kinder demenzkranker Eltern

Kinder und Jugendliche mit einem demenzkranken Elternteil brauchen Hilfe. Statt die Kinder in Entscheidungen einzubeziehen und den schleichenden Verlust gemeinsam zu verarbeiten, lassen von der Situation überforderte Eltern sie oft mit ihren Gefühlen alleine. Hier klafft eine Lücke im Beratungsangebot. „Betroffene Kinder und Jugendliche werden einfach vergessen. Leider oft auch vom gesunden Elternteil. Da spielen sich manchmal Tragödien ab“, sagt Schmieder.  

Die Mitarbeiter von „Sonnweid“ suchen den Kontakt zu diesen Kindern und Jugendlichen, auch nach dem Tod des Elternteils. Sie versuchen, psychologische Hilfe zu vermitteln, um den jungen Menschen einen Weg aus ihrer Verzweiflung und Traurigkeit aufzuzeigen.

Infos zu Beratungsstellen, zum Umgang mit Demenz und Kontakt zu ebenfalls betroffenen Jugendlichen gibt es unter anderem bei der Seite www.alzheimerandyou.de der Deutschen Alzheimer Gesellschaft.

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