Auf einem Bein stehen oder rückwärts laufen: Was sich einfach anhört, fällt vielen Kindern zunehmend schwer. Mit passenden Spielgeräten lassen sich Koordination und Gleichgewicht trainieren. Manchmal reicht dafür sogar ein zusammengerolltes Handtuch.
In vielen Familien sieht Bewegung so aus: Aus dem Haus raus, ins Auto rein. Dann werden die Kinder zu Oma oder ins Einkaufszentrum kutschiert. Nach ein paar Stunden heißt es wieder: rein ins Auto und ab nach Hause.
„Eltern haben dann das Gefühl, besonders viel mit ihren Kindern unternommen zu haben“, sagt Regina Witte vom Verein „Spiel Gut“, der Spielsachen testet und bewertet. Gelegenheit, sich zu bewegen hatten Mädchen und Jungen dabei meist nicht – oder nicht genug.
Die Beweglichkeit fehlt
Die Folgen: Auf einem Bein stehen, balancieren oder rückwärts laufen fällt vielen Kindern schwer. Übungen beim Physiotherapeuten auf der Turnmatte zu machen, sind zwar effektiv – aber langweilig. Mehr Spaß macht es, diese Fähigkeiten beim Spielen nebenbei zu trainieren.
Kinder wollen spielerisch „trainieren“
Kipplige Scheiben aus Kunststoff oder Holz sollen Kindern beispielsweise dabei helfen, nicht aus der Balance zu geraten. Hersteller wie das dänische Unternehmen Gonge oder der deutsche Anbieter „Erzi“ statten die runden Platten mit unterschiedlichen Strukturen auf der Oberfläche aus: Noppen, kleine Quadrate, Wellen. So wird gleichzeitig die Fußmuskulatur geschult.
Vom französischen Hersteller „asco“ gibt es Balken und Elemente, die wie umgedrehte Blumentöpfe aussehen. Aneinander gesteckt, ergibt sich daraus ein Parcours zum Balancieren. „Das ist schon für Kinder ab 18 Monaten geeignet“, sagt Witte. Kinder lernten dabei, ihre Kraft einzuschätzen und Angst zu überwinden.
Seilspringen fällt Kindern schwerer, Skaten leichter
Bei den Spielen kommt es darauf an, dass Kinder sie selbst gestalten können: „Das Umbauen und Kombinieren ist wichtig“, sagt Silke Sinning, Sportwissenschaftlerin an der Uni Landau. Denn zu überlegen, was man mit seinen Händen bauen kann, schule schon die Koordination.
Sinning untersucht in einem Bewegungslabor regelmäßig, wie gut Kinder bei Gleichgewicht und Koordination sind. Ihr Fazit: „Sie sind beim Rückwärtslaufen schlechter, beim Seilspringen oder beim Balancieren.“
Leichter falle ihnen dagegen die Bewegung auf rollenden Geräten, zum Beispiel Inline-Skates oder Waveboards. „Wahrscheinlich, weil die heute in größerem Maße zur Verfügung stehen. Sogar einige Schulen sind damit ausgestattet.“
Der Einfluss der Computerspiele
Dass viele Kinder bei komplexen Bewegungsabfolgen gut sind, beobachtet auch Oliver Ludwig von der Universität des Saarlandes: „Kinder verfügen oft über eine gute Hand-Augen-Koordination, das kommt vom Computerspielen“, sagt der Biologe.
Defizite zeigen sich dagegen bei einfachen Übungen wie Hampelmann machen oder auf einer Mauer balancieren. Ludwig ist Leiter der Studie Kid-Check, bei der seit 1999 mehr als 1600 Kinder und Jugendliche zwischen sieben und 17 Jahren untersucht wurden. Das Ergebnis: Etwa 20 Prozent der Kinder haben Probleme mit dem Gleichgewicht und ihrer Koordination.
Bewegung in den Alltag bringen
Um mehr Bewegung in den Alltag einzubauen, können Spiele eingesetzt werden: Pedalos, Hüpfbälle oder Stelzen zum Beispiel. Für das Familienunternehmen „Hartge & Kist“ entwickelte Ludwig ein Förderspiel mit.
Auf kleinen Spielkarten sind Übungen abgebildet, etwa ein Säckchen auf dem Kopf balancieren und gleichzeitig jemandem einen Ball zuwerfen oder mit einem Schwamm zwischen den Knien über ein Hindernis hüpfen. „Optimal wäre es, das jeden Tag zu machen. Realistisch ist aber eher dreimal pro Woche“, sagt Ludwig.
Eltern müssen mitmachen
Die tollsten Spielgeräte nützen aber nichts, wenn sie nur in der Ecke stehen. Eltern sollten mithüpfen, mitklettern und mitbalancieren. Am geschicktesten dabei sei, den Fördereffekt gar nicht erst groß zu thematisieren. „Verkaufen Sie das Spiel als Spiel und sagen Sie ihrem Kind nicht, was es dabei lernen kann“, rät Ludwig. Denn sonst fühle es sich auch am Nachmittag wie in der Schule.
Auch in der Wohnung gibt es Möglichkeiten
Manchmal reicht es sogar, das Kinderzimmer mit ein paar einfachen Mitteln umzugestalten: „An die Bettkante kann man eine schiefe Ebene bauen, man knotet ein Tau zum Klettern an einen Haken oder nutzt Schaumstoffelemente zum Höhlen bauen“, schlägt Ludwig vor. Auch auf einem zusammengerollten Handtuch lasse sich gut balancieren.
„Kinder sind heute verplanter“
Doch ganz gleich, wie viel balanciert oder auf Karten nachgeturnt wird: „Das kann immer nur eine Ergänzung sein“, sagt Ludwig. Sich bewegen und rumtoben sollten Kinder trotzdem, ideal wären zwei Stunden am Tag. Ein ehrgeiziges Ziel, das viele wahrscheinlich nicht umsetzen werden. „Dem natürlichen Bewegungsdrang wird weniger nachgegeben, die Kinder sind heute verplanter“, sagt Regina Witte von „Spiel Gut“.
Mangelnde Koordination erkennen
Ob ihr Kind in seiner Koordination eingeschränkt ist, können Eltern nicht auf Anhieb erkennen. Die Note im Schulsport sage wenig darüber aus. Ein paar Hinweise gebe es aber, sagt Witte: „Wenn es an bestimmte Spielgeräte nicht ran will, sich nicht traut oder sich oft wehtut.“ Wer ganz sicher sein will, sollte sich an den Kinderarzt oder Physiotherapeuten wenden.
Fehlende Koordination hat Folgen
Werden Schwächen beim Kind festgestellt, ist das noch lange kein Grund zur Panik: „Manche sind Spätzünder und können auch mit sieben oder acht Jahren noch lernen, ihren Körper zu kontrollieren“, sagt Sinning.
Können die Defizite nicht aufgeholt werden, rächt sich das spätestens im Alter. Senioren mit einem schlechten Gleichgewichtssinn stolperten leichter und könnten Hindernisse und Abstände nicht einschätzen. Außerdem dauere die Regeneration nach Verletzungen länger.
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