Familie im Fernsehen gab es schon immer. Beim Blick in das Leben anderer können wir ganz wunderbar vergleichen, urteilen, mitfühlen oder uns fremdschämen. Und beruhigt feststellen, dass es so schlimm bei der eigenen Familie ja doch nicht ist.
Die Familie Schölermann hat 1954 das Genre der Familienserie in Deutschland eingeläutet. Der Vater ist kaufmännischer Angestellter, die Mutter Hausfrau. „Das Menschenherz, die Erde schwankt, die Seele, die Gesellschaft krankt. Nur eins steht fest in Sturm und Graus: die Familie – das Zuhaus!“, fasste es der Herr Papa anno dazumal zusammen.
Heile Welt, autoritäre Erziehung, klassische Rollenverteilung – auch bei Familie Hesselbach in den Sechzigern hatte der Vater noch das Sagen. Die Frau wollte geheiratet werden. Auch, wenn Frauen und Kinder langsam begannen sich aufzulehnen, so kamen die großen Konflikte doch von außerhalb.
Dröge, aber aus der eigenen Erfahrungswelt
Der Regensburger Medienwissenschaftler Herbert Schwaab hat sich mit dem Thema Familie im Fernsehen beschäftigt: „Die Hesselbachs und die Schölermanns waren zwar nicht unbedingt realistisch, aber sie haben das eingelöst, was häufig mit dem Fernsehen verbunden wird: Alltagsnähe, ein Interesse für kleine Dramen und Verwicklungen und nicht die großen Dramen, die eher im Spielfilm beheimatet sind.“ Diese Serien seien eher etwas dröge und langweilig, passten aber zum häuslichen Umfeld der Zuschauenden – den Familien etwa, die gemeinsam fernsahen.
Das Abbild von Familie im Fernsehen sollte das Gesellschaftssystem legitimieren und auf lange Zeit absichern – so könnte man die Serien der 50er, 60er und der 70er aufs Einfachste reduzieren. Auch wenn sich in den 70ern die Rolle der Frau zu verändern begann. Ein Beruf wurde ihr zugestanden, Scheidung auch.
Die Wissenschaft begann sich kritisch mit der Fernsehfamilie zu beschäftigen. Die Familie gilt – das zeigen die „Drombuschs“ oder „Die Wicherts von nebenan“ – als Rückzugsort, als Garant für Zufriedenheit und finanzielle Sicherheit.
„Diese Drombuschs“ – heile Familienwelt im Jahr 1986. (Quelle: teutopress/imago)
Demgegenüber stehen Serien wie die Lindenstraße – deutlich kritischer und trotzdem immer mit dem Wunschgedanken der heilen Familie. Vater-Mutter-Kind ist und bleibt das Ideal. Andere Formen sind möglich, aber irgendwie doch nicht erwünscht.
Bei vielen Serien ist die Familie nur der Rahmen
„Reine Familiengeschichten werden in aktuellen deutschen Fernsehserien kaum noch erzählt. Die Lindenstraße gehört zu den wenigen Serien, wo das Zusammenleben von Menschen in einem Haus im Mittelpunkt der Erzählung steht. Dort werden auch politische Themen wie die Toleranz gegenüber Homosexuellen, die Flüchtlingsfrage oder der Umweltschutz thematisiert“, sagt Christian Schicha, Professor für Medienethik am Institut für Theater- und Medienwissenschaft der Universität Erlangen.
„Bei den meisten Serien stehen die Berufe der Protagonisten im Mittelpunkt. Besonders beliebt sind Ärzteserien. Hier werden auch familiäre Themen und Konflikte thematisiert, aber am Rande.“ Das Ziel sei Unterhaltung und Identifikation und damit hohe Einschaltquoten.
Sitcoms wollen alltagsnah sein
Aus den USA kam mit der Sitcom ein Format, das sich damals wie heute sehr stark auf die Familie bezieht. Zunächst verklärend und konservativ, aber trotzdem alltagsnah. Später auch mit moderneren Familienmodellen.
„Interessant ist, dass mit der Bezeichnung ‚modern‘ auch eine dokumentarisch anmutende, neue Sitcom-Ästhetik gekoppelt ist, die noch mehr den Eindruck erweckt, ein soziologisches Protokoll moderner Familienverhältnisse zu sein“, meint Schwaab. „In deutschen Sitcoms finden sich ähnliche Familienkonstellationen, vor allem in ‚Türkisch für Anfänger‘, in der eine crosskulturelle Familie zusammengeführt wird. Hier zeigt sich das immer noch bestehende Interesse des Fernsehens für die Familie, und es wird auch versucht, veränderten Lebensbedingungen Rechnung zu tragen.“
Der Fernsehfilm als Abbild eines Wunschtraums
Das zeigt sich auch beim deutschen Fernsehfilm: Die klassische Kernfamilie scheint ausgedient zu haben, vor allem die mit Kleinkindern. Vorherrschend sind entweder großstädtische Singles oder die Alleinerziehenden. In der Regel patente, multitaskingfähige, gut aussehende Frauen, die durch einen glücklichen Zufall auf ihren Traumprinzen treffen – natürlich auf einen, der auch von ihren Kindern ziemlich schnell voll akzeptiert wird.
„Eine gut funktionierende Beziehung ist der Wunsch vieler Menschen. Dass diese aber nicht der Alltag ist, das zeigen die Daten. Solche Filme haben also eine Art Fluchtfunktion. Sie symbolisieren den Wunsch nach der heilen Welt und dem Happy-End“, sagt Uli Gleich von der Universität Koblenz-Landau im Gespräch mit t-online.de.
Heute werden oft Familienfragmente gezeigt
Vor rund zehn Jahren kam eine Studie des Grimme-Instituts zu dem Ergebnis, im deutschen Fernsehen kämen Themen wie Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Bildungsniveau und Erziehungskompetenz zu selten zur Sprache. Und zwar sowohl in fiktionalen als auch in Informationsformaten.
Heute hat sich das geändert, sagt Schicha. „In Informationssendungen werden Themen wie die Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf durchaus thematisiert, sofern zum Beispiel die Notwendigkeit der flächendeckenden Einrichtung von Kindertagesstätten erörtert wird.“
Umstrittene Formate wie die ‚Supernanny‘, ‚Erwachsen auf Probe‘ oder die ‚Die strengsten Eltern der Welt‘ zeigten nur eine angebliche Erziehungskompetenz. „Hier geht es meines Erachtens weniger um echte Lebenshilfe, sondern um das Vorführen von Konflikten, um das Unterhaltungsbedürfnis der Zuschauer zu befriedigen.“
Eine Mutter sieht sich mit ihrem Sohn die RTL-Sendung „Erwachsen auf Probe“ an. In der umstrittenen Sendung aus dem Jahr 2009 sollten Teenagerpaare das Elternsein ausprobieren, dazu stellten andere Eltern ihre Babys und Kleinkinder zur Verfügung. (Quelle: dpa)
Ist die heutige Familiendarstellung angemessen?
Die wenigsten Serien beschäftigen sich heute noch langfristig mit einer Familie. Stattdessen werden Teilelemente herausgegriffen und Familienphasen beleuchtet. Richter müssen schlichten, Pädagogen helfend eingreifen. Streit und Probleme sind an der Tagesordnung, Familien werden in zerrütteter Form gezeigt, frei nach dem Motto ‚Harmonie bringt keine Quote‘.
„Diese Formate mögen sehr realistisch sein oder erscheinen, aber sie interessieren sich nicht für die Durchschnittsfamilie oder einen Familienalltag, der nicht ständig im Ausnahmezustand ist“, so Schwaab. Erschwerend kommt hinzu, dass diese vermeintlichen Doku-Soaps in Wahrheit einem Drehbuch folgen mit dem Ziel, möglichst viele Emotionen hervorzurufen. Sie sind inszeniert – man nennt das „Scripted Reality“.
Julia Niemann von der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover hat gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern eine Studie zum Thema durchgeführt: „Vermittelt wird vielfach ein Bild von einfachen, aber redlichen Personen. Es ist ein bisschen wie im Märchen: Dabei wird deutlich zwischen Gut und Böse getrennt. Natürlich ist die Darstellung auch bisweilen überzogen bis absurd komisch. Der Grund dafür ist einfach: Die Überdramatisierung – beispielsweise mittels gewalthaltiger Streits und Fäkalsprache oder die absurden Geschichten – all das dient der Unterhaltung.“
Junge Zuschauer könnten diese Familien für real halten
Scripted Reality dient einem sozialen Vergleich, der gar keine Basis hat. „Wenn man solche schlimmen Alltagsgeschichten von anderen ansieht, vor allem, wenn man selbst Probleme hat, dann kann man sich zurücklehnen und sagen: Was sind das nur für Menschen? Das, was denen passiert, würde mir nie passieren. Ich bekomme mein Leben besser auf die Reihe. Da kann man sich in seinem Selbstwert durchaus besser fühlen“, erklärt Medienpsychologe Gleich.
Dass damit vor allem Jugendlichen eine Familienwahrheit vorgegaukelt wird, die mit der Realität wenig zu tun hat, ist aus psychologischer Sicht allerdings ziemlich bedenklich. Immerhin knapp ein Viertel der Zuschauer zwischen zehn und zwanzig Jahren hat Schwierigkeiten, den fiktionalen Charakter von Scripted-Reality-Formaten eindeutig zu identifizieren. Niemann sagt dazu: „Tendenziell erkennen jüngere Jugendliche und solche mit niedrigerer formaler Bildung den Inszenierungsgrad etwas schlechter, beziehungsweise sie denken, dass in dem Gezeigten schon ein Körnchen Wahrheit steckt.“
Gleich befürchtet, dass es zu einer veränderten Realitätswahrnehmung kommen kann. Und damit zu einer Vorstellung von dem Begriff Familie, die mit der Wirklichkeit nicht mehr viel gemeinsam hat.
Sie können mehr von den Nachrichten auf lesen quelle