Hat es Vorteile, wenn Jungen und Mädchen in bestimmten Fächern getrennt unterrichtet werden? Ein Gymnasium in der Pfalz hat es ausprobiert.
Am Anfang stand für Michael Scheffe eine simple Beobachtung. „In unserem Physik-Leistungskurs in der Oberstufe sitzen 17 Jungs und gerade mal ein Mädchen. Das Mädchengymnasium nebenan bekommt jedes Jahr einen Kurs mit mindestens zehn Schülerinnen zusammen“, erzählt der Physiklehrer am Hofenfels-Gymnasium in Zweibrücken. Dabei seien die Physiknoten der Mädchen in der Mittelstufe nicht schlechter als die der Jungen. Trotzdem wählte kaum eines den Leistungskurs. „Das hat uns gewundert.“
In Physik gibt es getrennten Unterricht
Scheffe hat deshalb ein Projekt initiiert, bei dem Jungen und Mädchen in getrennten Klassen in Physik unterrichtet werden. Zwei siebte Klassen wurden zu Beginn des vergangenen Schuljahrs erst zusammengelegt und für den Physikunterricht in eine je 25 Jugendliche umfassende Mädchen- und eine Jungengruppe geteilt.
Zwei weitere Klassen sollen die Kontrollgruppe des Versuchs bilden. „Es geht nicht darum, dass die Mädchen besser werden – die sind schon gut“, erklärt Scheffe. Sie sollten Spaß an dem Fach gewinnen, wenn sie nicht mehr das Gefühl hätten, hinter den Jungs zurückstecken zu müssen.
Begeisterung der Mädchen hält sich in Grenzen
Und funktioniert es? Nach dem ersten Jahr ist Scheffe skeptisch. „Mein erster Eindruck ist, dass kaum ein Unterschied zu spüren ist.“ Darauf deuteten auch erste Befragungen der Hochschule Kaiserslautern hin, die das Projekt wissenschaftlich begleitet. Zu Beginn und zum Ende des Schuljahrs wurden beide Gruppen – die getrennte und die gemischte – zu ihrer Motivation für Physik befragt. Ergebnis laut Scheffe: Die Mädchen sind deutlich weniger interessiert als die Jungs, egal in welcher Gruppe sie unterrichtet werden.
Versuch läuft noch drei Jahre
Katharina Weisel von der Hochschule Kaiserslautern betont, dass es für wissenschaftlich belegbare Ergebnisse noch zu früh sei. „Wir müssen die weiteren Erhebungen abwarten.“ Das Projekt ist noch auf drei weitere Jahre angesetzt. Generell biete getrennter Unterricht Mädchen die Möglichkeit, sich unabhängig von Geschlechterstereotypen mit dem Fach anzufreunden.
„Hier werden sie stärker gefordert, selbst aktiv zu werden. Jungen den Vortritt zu lassen, beispielsweise bei Versuchsdurchführungen, ist in diesem Kontext gar nicht erst möglich“, sagt Weisel.
Kritik vom Bildungsforscher
Getrennter Unterricht ist kein neues Thema. Der Flensburger Bildungsforscher Jürgen Budde hat mehrere Untersuchungen durchgeführt. Er sieht die Trennung von Jungen und Mädchen eher kritisch: „Mit der Geschlechtertrennung schraubt man an einem sehr unterrichtsfernen Kriterium.“
Entscheidender sei die Veränderung des Unterrichts selbst. „Wichtig ist ein differenzierter Unterricht der auf unterschiedliche Schüler unterschiedlich eingeht“, meint Budde. Für die begrenzten Effekte der Geschlechtertrennung lohne sich der Organisationsaufwand nicht.
Stereotype werden sogar noch gefestigt
Eine Gefahr sieht Budde darin, dass die Trennung von Mädchen und Jungen bestimmte Rollenbilder und Stereotype sogar festigen könne. Der Forscher nennt ein Beispiel: Teilt man eine Deutschklasse und liest mit den Jungen ein Buch über Fußball, trifft man zwar das Interesse vieler Jungen. „Aber denen, die es nicht interessiert, wird damit suggeriert, du musst dich aber für Fußball interessieren, weil du ein Junge bist“, sagt Budde. Im Fall des getrennten Physikunterrichts könne bei den Mädchen das Signal ankommen: Ihr seid einfach nicht gut genug und braucht eine Extraklasse.
„Wir machen kein Physik light“
Physiklehrer Scheffe legt deshalb Wert darauf, dass es beim Niveau des Unterrichts keinen Unterschied zwischen den Gruppen gibt. „Wir machen kein Physik light für Mädchen.“ Zu Beginn des Projekts hätten sich Schülerinnen über den getrennten Unterricht beschwert. Da habe noch die Meinung vorgeherrscht: Physik macht ohnehin keinen Spaß, ob mit oder ohne Jungen. Inzwischen hätten alle die Intention verstanden. Scheffe sagt: „Ich bin der Meinung, es läuft gut.“
„Rollentypisches Verhalten wird verstärkt“
Die Landesschülervertretung lehnt das Projekt dagegen ab. „Gerade in der Schule und besonders zur Zeit der Pubertät in der Mittelstufe entwickeln Jungen und Mädchen rollentypisches Verhalten, was durch geschlechtergetrennten Unterricht nur verstärkt wird“, sagte Vorstandsmitglied Mona Kaczun.
„Wir sind einfach nur neugierig“
Scheffe hält die Gefahr sich verfestigender Rollenbilder aber für beherrschbar. „Wenn einem bewusst ist, dass es Gefahren gibt, kann man sich davor hüten.“ Er halte die Geschlechtertrennung auch nicht für ein Allheilmittel. „Wir verfolgen keine Ideologie, wir sind einfach nur neugierig.“
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