VfB StuttgartNachwuchssorgen im Lager der VfB-Fans
Stuttgart – Der Tag des Jugendfußballs sollte kurz vor Weihnachten noch einmal zum großen Familienfest für die weiß-rote Fangemeinde werden. Der VfB Stuttgart hatte im letzten Heimspiel der Hinrunde Tausende Kinder und Jugendliche mit verbilligten Karten in die Mercedes-Benz-Arena gelockt. Die Hütte war voll, die Kids waren begeistert. Doch während der 90 Minuten gegen den SC Paderborn wich die Freude purer Tristesse. Die dürftige Darbietung endete mit einem 0:0 und mit der bitteren Erkenntnis: Chance verpasst!
Kein Initiationserlebnis weit und breit. So nennt Jonas Gabler (33) den Funken, der im Stadionbesucher ein Feuer entfachen kann, welches das Herz für den Verein ein Leben lang wärmt. „Es sind meist noch immer die persönlichen Erlebnisse im Stadion mit Papa, Opa oder Freunden, die ein Fan-Dasein begründen“, sagt der Berliner Fanforscher. Doch für solche Aha-Erlebnisse waren Stadionbesuche in Stuttgart in den zurückliegenden Jahren höchst selten geeignet.
Zwar ist die Mercedes-Benz-Arena trotz des wiederholten Kampfes gegen den Abstieg noch immer gut besucht. So kamen zu den 13 Spielen in dieser Saison im Schnitt über 49 000 Zuschauer. Von Nachhaltigkeit waren die Besuche allerdings nicht geprägt. Es gibt zwar noch keinen Beleg dafür, dass der Anhang der Roten altert wie bei Pop-Bands, die nur noch von ihrer Vergangenheit leben. Fanforscher Gabler warnt jedoch vor langfristigen Auswirkungen: „Zwei, drei schlechte Jahre kann jeder Verein überdauern. Danach kann es passieren, dass der Anhang bröckelt.“ Oder kein neuer mehr hinzukommt.
Wer über Bolzplätze und Schulhöfe in der Region streift, sieht Knirpse in Trikots des FC Bayern, von Borussia Dortmund oder der Nationalelf. Das weiße Jersey mit dem roten Brustring sucht man häufig vergebens. Der Tabellenletzte ist für junge Fußballfans so attraktiv wie ein Ball ohne Luft. Erfolg macht eben sexy. Der Rekordmeister aus München kann sich der Sympathien kaum mehr erwehren. Mittlerweile zählt der FC Bayern 250 000 Mitglieder – so viel wie kein anderer Verein auf der Welt.
Nach langem Aufwärtstrend ist die Zahl der Mitglieder beim VfB seit 2009 rückläufig – aktuell registriert der Club noch 43 478. Das Ganze ist nach VfB-Angaben demografisch bedingt. Die Zahl der offiziellen Fanclubs (OFC) erreichte ihren Höchststand im Meisterjahr 2007. Seither sinkt sie, gleichzeitig gibt es aber mehr OFC-Mitglieder als früher (16 968).
Doch Zahlen geben nur bedingt Aufschluss. Wichtig sind überdies Stimmungsbilder und Einschätzungen aus der Szene. Die Rot-Weißen Schwaben Berkheim leiden zwar nicht nennenswert an Mitgliederschwund, die Begeisterung für Auswärtsfahrten hat in einem der größten VfB-Fanclubs nach Auskunft ihres Vorsitzenden aber nachgelassen. Doch gerade dies ist ein wichtiger Hinweis auf die Befindlichkeit der Fan-Seele. „Viele sind des Misserfolgs überdrüssig“, sagt Joachim Schmid. Auch bei den Ultras von Commando Cannstatt und beim Schwabensturm gibt es Anzeichen von Nachwuchsmangel. Die übereinstimmende Meinung: „Der Zulauf war schon größer.“
Wenigstens geht von denjenigen, die aktuell bei jedem Spiel in der Kurve stehen, niemand von der Fahne. „Wenn sie dem Verein jetzt den Rücken kehren, würden sie ja ihr eigenes Selbstbild negieren“, erklärt Gabler. Die verbreitete Annahme, Erfolg oder Misserfolg seien für die Ultras nebensächlich, weisen diese brüsk zurück: Auch wenn sie bei Niederlagen munter weitersingen – der Kampf gegen den Abstieg verdrießt sie ebenso wie jeden anderen Anhänger.
Droht dem VfB eine komplette Generation von Fans wegzubrechen? Fanforscher wie Gabler oder Sporthistoriker Nils Havemann von der Uni Stuttgart glauben, dass man darüber erst in ein paar Jahren urteilen kann. Havemann macht dem VfB sogar Hoffnung, dass brachliegendes Potenzial schnell wieder geweckt werden könne. Bestes Beispiel sei Borussia Dortmund. „Nach dem finanziellen Beinahezusammenbruch konnte sich der Club fast nur noch auf seine regionale Basis verlassen. Erst mit der Ära Klopp, der auch als positiver Mensch wahrgenommen wird, konnte der BVB auch bundesweit wieder neue Sympathisanten gewinnen“, sagt der Autor des Bundesliga-Buches „Samstags um halb 4“.
In einem Punkt hat der Historiker eine andere Sichtweise als Fanforscher Gabler. Havemann glaubt, dass die Bindungen an einen Verein flüchtiger geworden sind als früher. „Auch im Fußball neigen die Menschen weniger zur stabilen Einehe, die mit einer lebenslangen Liebe zu einem einzigen Verein verbunden ist, sondern zu einer leicht aufzulösenden Polygamie“, sagt der 49-Jährige.
Was das für den VfB bedeutet? Dass er bei potenziellen Fans gegen immer mehr Nebenbuhler zu kämpfen hat. Havemann schätzt, dass die Globalisierung des Fußballs auch die Fans mit auf die Reise nimmt. „Es kommt immer häufiger vor, dass sie ihre Sympathien gleichzeitig auf – zum Beispiel – den FC Schalke, Manchester United und den FC Barcelona verteilen.“
Beim VfB ist man sich dieser Problematik bewusst. „Unsere Fans sind in Vorleistung gegangen“, sagt Sportvorstand Robin Dutt, „jetzt liegt es an uns, verloren gegangenes Vertrauen wieder zurückzugewinnen.“
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