Nahko Bear, Geschichtenerzähler: „Ach, Psychedelika sind großartig!“


Was Teenager so von sich geben, ist ihnen später gern mal peinlich. Alte Tagebücher lesen? Unangenehm! Nahko Bear hat nicht nur den Blick in die Vergangenheit gewagt, sondern seine pubertären Ergüsse zu Songs gemacht. „My Name Is Bear“ ist sein erstes Solo-Album. Seine Band, mit der er für gewöhnlich unter dem Namen Nahko and Medicine for the People auftritt, durfte trotzdem mitmachen. Wieso es genau so richtig ist, erklärt der 32-Jährige im Interview mit n-tv.de. Er spricht über seine Scheu vor der Liebe und Pilz-Trips mit Elch.

n-tv.de: Sie nennen sich Nahko Baer wie der Bär. Ist der Teddy eigentlich das beliebteste unter den Fan-Geschenken?

Nahko Bear: Wirklich viele Bären habe ich noch nicht bekommen, dafür aber einen verdammt riesigen. Ich dachte erst, das sei ein Scherz. Ich wünschte, ich hätte Merchandise-Teddys machen lassen … Ich bin mit neun Monaten adoptiert worden. Das erste Geschenk, das ich bekommen habe, war ein Teddy-Bär. Er hat mir immer viel bedeutet. Als ich mit 16 von zu Hause weggegangen bin, habe ich ihn nicht mitgenommen. Aber als ich mich für mein aktuelles Album mit meiner Vergangenheit beschäftigt habe, habe ich ihn mir wiedergeholt. Er heißt Bridges.

Wieso hängen Menschen auch nach vielen Jahren noch an den Kuscheltieren aus ihrer Kindheit?

Ein Stofftier ist wie ein Totem – ein Stück Vergangenheit, das einem Halt gibt. Es kann eine heilende Wirkung haben.

„My Name Is Bear“ haben Sie als Solo-Album herausgebracht. Auf Tour ist Ihre Band dabei, doch Sie erzählen allein Ihre eigene Geschichte. Fühlt sich das komisch an?

Manchmal muss man sich einer Arbeit aus unterschiedlichen Richtungen nähern, damit sie als Gesamtkunstwerk Sinn ergibt. Chance the Rapper zum Beispiel hat drei Solo-Alben mit ähnlichen Cover-Motiven herausgebracht. Auf jedem ist sein Gesicht zu sehen. Beim ersten Album guckt er nach oben. Er schaut hinaus zur Musikindustrie und weiß nicht, wie er sich an sein Ziel navigieren soll. Auf dem zweiten guckt er den Betrachter an. Er sieht ihn, erkennt sich, ist auf dem richtigen Weg. Auf dem dritten Album-Cover guckt er nach unten auf seine Erfolge herab: Er hat es geschafft! Hinter all dem steckt also ein Konzept. In der Anthologie von Medicine for the People ist „My Name is Bear“ wie eine Fußnote. Die Songs auf dem Album habe ich vor 12 Jahren geschrieben. Es wäre unangebracht gewesen, sie unter dem Namen der Band zu veröffentlichen. Sie gehören in ein anderes Kapitel unserer Geschichte.

Wie war es, wieder in Ihre Gedanken und Emotionen aus Teenagerjahren einzutauchen?

Das war definitiv seltsam. Ich befinde mich gerade in einer Phase intensiver Transformation. Ich entdecke Verhaltensmuster, mit denen ich mich bislang nicht konfrontiert habe. Es geht dabei nicht um eine Sache im Speziellen. Mir fallen Kleinigkeiten auf, die mir zeigen, dass ich mein Leben ändern muss. Darauf wäre ich nie gekommen, wenn ich mich nicht mit meinen alten Songs oder meinen Tagebüchern beschäftigt hätte. Der Prozess ist durchaus unangenehm. Die Texte sind etwas kitschig und auch ein bisschen unreif. Wo ich nun aber reif genug war, die passende Musik dazu zu schreiben, ist etwas völlig Neues entstanden.

Hat sich die Bedeutung der Songs für Sie verändert?

Absolut. Spannend ist auch, wie andere sie verstehen. „Dragonfly“ handelt davon, wie ich beinahe ein Kind bekommen hätte mit dem Mädchen, von dem ich dachte, ich sei in es verliebt. Ich war 18, ich habe sie verlassen. Da hat sie gesagt: „Aber ich bin schwanger!“ Stimmte aber nicht. Das Dragonfly-Symbol (eine Libelle; Anm. d. Red.) steht für Stärke und Mut. Bei dem Musikvideo habe ich mit Paris Jackson zusammengearbeitet. Sie hat sich auf ihre ganz eigene Weise in dem Song erkannt und ihn entsprechend interpretiert. Es ist toll, wenn es einem gelingt, etwas zu schreiben, das jemand liest und sagt: Wow, das ist mein Leben!

Wie wichtig ist Storytelling für einen guten Song?

Wir erleben da gerade eine ernüchternde Zeit. In der Branche ist man völlig fokussiert auf Musik, bei der es nicht auf Texte ankommt und die auch nicht zum Nachdenken anregt. Es heißt immer: Die Kids wollen einfach nur tanzen. Das stimmt natürlich irgendwie – ich will auch tanzen. Aber ich will noch mehr von Musik. Wahre Geschichtenerzähler überleben kaum am heutigen Markt. Trotzdem wird es sie immer geben. Geschichten sind überall, wir leben Geschichten. Kann sein, dass Teenager und junge Erwachsene gerade einfach nur zu knackigen Beats abschalten wollen, aber das wird sich auch wieder ändern.

Wieso schreiben Sie keine Liebeslieder im klassischen Sinne?

Vermutlich, weil ich Liebe in meinem Leben immer vermieden habe. Mann, das ist ganz schön tiefgründiger Scheiß … Es gibt noch kein Liebeslied, weil ich mir die Liebe nicht erlaubt habe. (grinst plötzlich) Wie klingt das?

Als müssten Sie es erklären …

Ich habe mich dem Einfluss der Liebe entzogen, weil ich Wunden aus der Vergangenheit habe, die noch nicht verheilt sind. Ich wollte immer anderen helfen, Traumata zu überwinden. Zu mir selbst bin ich noch nicht gekommen. Aber auch wenn ich keine typischen Liebeslieder geschrieben habe – über Herzschmerz oder Kribbeln im Bauch, steckt doch Liebe in meinen Songs. Es geht ums Erwachsenwerden, darum, sein Zuhause zu verlassen, um Verlust. Und um psychedelische Drogen.

Einem Elch will man in freier Wildbahn lieber nicht begegnen. Nahko kam einem der Tiere gefährlich nahe.

Meine Mutter hat mich kürzlich zum Gespräch gebeten. (verstellt die Stimme) „Also, ähm, ich wusste ja gar nicht, dass du Psychedelika konsumiert hast … Ähm … Musst du immer high sein, wenn du Musik schreibst?“ Ich habe ihr erklärt, dass ich durchaus auf Drogen arbeiten könnte, es aber nicht tue. Nur kann ich meine Erfahrungen in meinen Texten nicht ausklammern. Ich möchte ehrlich sein. Als ich von zu Hause weg bin, habe ich die Welt der Pilze und des LSD entdeckt – und Literatur und Musik, die den Konsum für in Ordnung erklären. Bizarres Zeug! Ich habe damals in Alaska im Wald gewohnt. Da ist eine Menge abgefahrenes Zeug passiert. Bei meinem ersten Pilz-Trip bin ich einer Elchkuh begegnet. Die hat mich angegriffen!

Ich war mit dem Fahrrad unterwegs. Es war Sommer, ich hatte Shorts an, kein Shirt, einen Rucksack auf dem Rücken. Ich hatte eine fabelhafte Zeit. Plötzlich ist mitten auf dem Weg eine alte Frau aufgetaucht. Ich bin ins Schlingern geraten. Sie hat mich so intensiv angeguckt, also habe ich angehalten und sie hat mich gefragt: „Sagen Sie mal, greifen Elche Menschen an?“ Ich habe mich daran erinnert, dass man mir vor meiner Reise gesagt hat: „Leg dich nicht mit Elchen an! Elche sind gefährlicher als Bären, die verteidigen ihr Gebiet. Die sehen dich und denken sich: 'Fuck you, Bitch!' Und dann rennen die dich um.“

Dann habe ich die Elchkuh entdeckt. In meinem Zustand erschien es mir ungemein wichtig, ein Foto von dem Tier zu machen – für meine Mutter. Also bin ich mit meiner Einwegkamera auf die Elchkuh zugelaufen. Ich merke noch, wie der das gar nicht passt, da rennt sie schon in einem Höllentempo auf mich zu. Ich konnte kaum ausweichen. Ich hab mir in die Hose gemacht. Ach, Psychedelika sind großartig!

Stimmt es, dass Sie statt Musiker genauso gut professioneller Sportler hätten werden können?

Wo haben Sie das denn gelesen? Das sind ja großartige Neuigkeiten! Lassen Sie uns über meine athletischen Fähigkeiten sprechen. (lacht) Ich habe so ungefähr jede Sportart ausprobiert. Machen doch die meisten Jungs. Richtig Karriere machen könnte ich im Bowling. Da würde ich Sie fertigmachen! Ich bin mal von einem Auto angefahren worden. Ich bin sturzbetrunken die Straße entlang gelaufen, da ist eine Karre in mich reingerast. Der Fahrer ist einfach abgehauen. Ich habe mir nichts gebrochen, aber mein Bein ist blau-schwarz angelaufen. Ich bin damit bowlen gegangen und habe trotz Verletzung alle abgezogen!



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