Hamburg – Die größte deutsche Jugendstudie zur Nutzung von Computerspielen, die das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) durchgeführt hat, kommt nach Informationen des SPIEGEL zu alarmierenden Ergebnissen.
Es zeigte sich, dass Jugendliche heute deutlich länger am Rechner sitzen als noch im Jahr 2005. Hatten Jungen sich damals an Schultagen noch im Schnitt 91 Minuten lang mit solchen Spiele die Zeit vertrieben, waren es bei der aktuellen Befragung 130 Minuten. An Wochenendtagen stieg die Zahl von 140 auf 167 Minuten.
Die Spielzeiten liegen bei Mädchen deutlich niedriger. Dennoch kam es auch hier fast zu einer Verdreifachung an den Schultagen und zu einer Verdoppelung an den Wochenenden. Fast jeder sechste Junge spielt am Tag sogar länger als viereinhalb Stunden. Das KFN hatte bundesweit 44.610 Jugendliche im Alter von 15 Jahren zu ihrem Umgang mit Computerspielen befragt.
Zwar führt selbst exzessives Spielen allein noch nicht automatisch zu einer suchtartigen Abhängigkeit. Jedoch ist nach Erkenntnissen der KFN-Studie das Spielen von Online-Rollenspielen ein risikoverstärkender Faktor. Dies gilt laut Studie insbesondere für das Spiel „World of Warcraft“ des Herstellers Blizzard, das mit 11,5 Millionen Nutzern weltweit das meistverkaufte in diesem Genre ist.
„World of Warcraft“-Nutzer unter den befragten 15-jährigen Jungen spielten im Schnitt 3,9 Stunden am Tag; der Anteil der Schüler, die dabei ein suchtartiges Verhalten mit Kontrollverlust und Entzugserscheinungen zeigte, lag demnach bei 8,5 Prozent der Nutzer. Der Leiter des KFN, Christian Pfeiffer, fordert daher, die Alterseinstufung für das Spiel von 12 auf 18 Jahre heraufzusetzen.
Nach SPIEGEL-Informationen ergab die Auswertung von Tim K.s Rechner, dass der Teenager am Abend vor dem Amoklauf gegen 19.30 Uhr das Spiel „Far Cry 2“ startete und den PC schließlich gegen 21.40 Uhr ausschaltete. Bei diesem Spiel handelt es sich um einen sogenannten Ego-Shooter, bei dem der Spieler die Aufgabe hat, in einem fiktiven, afrikanisch erscheinenden Land einen skrupellosen Waffenhändler zu eliminieren.
Im Internet hatte sich K. offenbar schon vor Monaten mit Massakern an Schulen auseinandergesetzt. Nach Erkenntnissen der Ermittler war der Jugendliche unter mehreren Pseudonymen wie „JawsPredator1“ im Internet aktiv und hatte unter anderem bei der Plattform „MyVideo“ ein entsprechendes Profil.
In einem der Diskussionsforen zu den Schulmassakern von Erfurt und Emsdetten meldet sich am 23. August vergangenen Jahres „JawsPredator1“ zum Thema Amokläufer zu Wort: „Das witzige ist ja selbst wenn diejenigen es ankündigen glaubt es ihnen niemand.“ Als Autor vermuten die Ermittler den späteren Täter.
Auch im Berufskolleg diskutierte Tims Klasse das Thema „Amoklauf in Erfurt“ und die neuen Waffengesetze. Dabei habe Tim sich mit den Vorschriften ausgekannt und gewusst, dass eine der Regeln sei, nicht auf Menschen zu zielen. Die „Winnender Zeitung“ hatte berichtet, K. habe im Januar einen Besinnungsaufsatz zum Thema „Verschärfung der Waffengesetze, ja oder nein?“ schreiben müssen.
Auf dem heimischen Computer des Mörders fanden die Fahnder auch etwa 200 Pornobilder, davon mehr als 120 sogenannte Bondage-Bilder, die nackte, gefesselte Frauen zeigen. Neben „Far Cry 2“ hatte K. auch die Schießspiele „Counter Strike“ und „Tactical Ops“ installiert.
Aussagen seines Vaters bei der Polizei zufolge soll Tim ihn mindestens dreimal zu Schießübungen im Schützenverein begleitet haben, zuletzt vor drei Wochen. Der Sohn habe darauf gedrängt, den Umgang mit den Waffen zu lernen. Die Übungen fanden mit der späteren Tatwaffe, einer Beretta, statt. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sieht bisher „keine Anhaltspunkte, dass ein noch strengeres Waffenrecht den Amoklauf in Wendlingen und Winnenden hätte verhindern können“, wie er dem SPIEGEL sagte.
Es sei aber nun die „Aufgabe der Politik, nach solchen Erfahrungen vorbehaltlos zu analysieren und zu überlegen: Muss ein Mitglied eines Schützenvereins wirklich so viele Waffen und so viel Munition zu Hause haben? Nehmen Waffenbesitzer und Schützenvereine ihre Verantwortung ernst genug? Darauf gilt es Antworten zu finden“, so Schäuble.
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