Sie heißen Mirellativegal, Emrah ! oder KsFreakWhatElse und kaum einer kennt sie. Zumindest kaum einer über 40. Denn in dieser Generation verstand man unter einem „Star“ noch etwas ganz anderes. Daher bringen heutige Eltern der Youtube-Vorliebe ihrer Kinder oft Unverständnis entgegen.
Wenn man sich unter Eltern umhört, werden beim Thema Youtube erst mal die Augen verdreht. Auf die Frage, welchen Youtuber sie denn kennen, herrscht Ratlosigkeit: Dner hat man schon mal gehört, Bibis Beauty-Palace auch, und dann war da so einer, der hat sogar mal die Kanzlerin interviewt – ach ja, LeFloid. Dass man von denen mal gehört hat, bedeutet noch lange nicht, dass man weiß, was sie machen.
Dabei sind diese jungen Leute, selbst kaum älter als ihre Zielgruppe, Selfmade-Medienstars und „Influencer“. Sie greifen genau das auf, was Kinder und Jugendliche zwischen zwölf und zwanzig interessiert und sie haben damit enormen Erfolg.
Durch die Beteiligung an den Werbeeinnahmen und durch zusätzliche Verträge verdienen Youtuber, denen es gelungen ist, ihre Klicks in die Hunderttausende zu heben, gutes Geld.
Ist Youtube für mein Kind gefährlich?
Das Verständnis für das neue Genre fehlt Eltern vor allem deswegen, weil sie keine Vergleichsmöglichkeiten haben. Und weil sich die wenigsten die Zeit nehmen, sich länger damit auseinanderzusetzen. Das Angebot erscheint riesig und unüberschaubar. Es wird schnell als gefährlich abgestempelt.
Natürlich gibt es Inhalte auf Youtube, von denen man nicht möchte, dass Kinder und Jugendliche damit in Berührung kommen. Verhindern könnte man es nicht, denn Kontrollmöglichkeiten gibt es kaum. Nach Ansicht der Medienwissenschaftlerin Maya Götz ist es eine der größten Herausforderungen unserer Zeit, Kindern möglichst früh Medienkompetenz zu vermitteln. „Auch in Bezug auf ethisches Verhalten. Damit sie selbst erkennen, was sie überfordert und von was sie sich abwenden sollten.“
Doch Gefahr lauert nicht nur in ungeeigneten Inhalten, sondern auch in der Selbstdarstellung. „Nur, wenn du sichtbar bist, bist du da. Dadurch entsteht ein ziemlicher Druck. Umso wichtiger ist es, dass wir schon Kindern beibringen, dass das Internet nie etwas vergisst“, sagt Götz.
Mit den Kindern im Gespräch bleiben
Interesse zu zeigen für das, was Jugendliche sich auf Youtube ansehen, nennt Götz eine der letzten Chancen auf Gemeinsamkeit. „Dabei erfahre ich so viel von meinem Kind. Was es mag, warum es etwas gut findet. Das ist eine gute Gesprächsbasis.“ Im Gespräch bleiben war schon immer eine der wichtigsten Aufgaben, die Eltern von Teenagern zu bewältigen haben.
Dabei kann man erfahren, dass die üblichen Youtuber, die von der Altersklasse zwölf bis zwanzig angeklickt werden, harmlos sind. Manche wie Katja Krasavice reichlich ordinär, aber auch nicht ordinärer als „Eis am Stiel“ oder ähnliche Filmchen aus den 80er Jahren.
„Ich bin wie du“
Nur neun Prozent der 13- bis 16-Jährigen sind nicht auf Youtube unterwegs. In der Altersklasse von 17 bis 19 sind es sogar nur noch vier Prozent.
„Youtuber sind für sie wie Freunde, die direkt zu ihnen sprechen. Das zeigt sich auch an der Kameraeinstellung. Das sieht aus wie beiläufig in die Kamera gesprochen, so wie man eben zu einem guten Freund sprechen würde. Frei nach dem Motto: Ich bin genau wie du, wir beide verstehen uns so toll, lachen miteinander, vertrauen einander.“
Damit würden die Youtuber zu einem zentralen Teil der in der Pubertät notwendigen Identitätsarbeit. Die Teenager könnten sich an ihnen orientieren, sich vergleichen und damit am eigenen Selbstbild arbeiten.
Youtube kontrolliert sich selbst
Vertrauen ist ein wichtiger Teil des Modells. Denn nur, wer glaubwürdig rüberkommt, wird auch angeklickt. Wer zu plump versucht, mit Schleichwerbung das schnelle Geld zu machen, wird fast umgehend überführt und vorgeführt – von den Usern, aber auch von den anderen Youtubern.
Zusätzlich gibt es einen Leitfaden der Landesmedienanstalten, sozusagen einen Werbeknigge. Er ist in einer Sprache verfasst, die sich an Jugendliche und junge Erwachsene richtet. Allerdings zielt er eher auf Anfänger ab. Die großen Youtube-Stars haben oft einen professionellen Beraterstab.
Youtuber übernehmen Filterfunktion
Prinzipiell kann man die Videos, die Jugendliche bevorzugt angeklicken, in folgende Kategorien einteilen:
- DIYs (Do it yourself-Videos)
- Rankings
- Challenges, die im Großen und Ganzen der Befriedigung von Schadenfreude dienen
- provokante Umfragen
- Lookbooks zu den neuesten Outfits
- Hauls, in denen neue, sozusagen „erbeutete“ Produkte vorgestellt und getestet werden,
- Let’s Play-Videos, in denen man dem Youtuber beim Videospielen zuschaut und seinen Kommentar hört
- FMAs. Follow-Me-Around heißt das und es bedeutet, dass man nicht nur zu Room-, Longboard- und anderen Touren online mitgenommen wird, sondern auch zu großen Events.
Aber auch Kommentare zu aktuellen Nachrichten interessieren Jugendliche. Florian Mundt nennt sich auf Youtube LeFloid und hat rund drei Millionen Abonnenten. Die seien dankbar dafür, dass jemand die Flut von Informationen für sie filtert, weiß Maya Götz. „Durch die Masse der Informationen werden Nachrichten nicht mehr gesucht, man wird von ihnen gefunden. Und wenn sie mich nicht finden, dann sind sie eben auch nicht relevant.“
Fernsehen ist out
Youtube wird immer wieder mit „du sendest“ übersetzt. Wobei der Begriff „tube“ eigentlich für „Glotze“ steht. Und irgendwie wurde diese ja auch ersetzt: „Klassisches Fernsehen schau ich fast gar nicht mehr“, sagt die 15-jährige Jill.
Jills Hauptargument für Youtube ist, dass sie „Bock drauf hat, immer wieder mal für ein paar Minuten einfach so innerlich abzuschalten“. Die Videos passen in jede Tageslücke und „ich kann mir genau das raussuchen, worauf ich gerade Lust habe.“
Die Fünfzehnjährige ist der typische weibliche Youtube-Konsument: ein bisschen Beauty, viel Comedy, hineinspitzen in das Leben von anderen, das meist deutlich aufregender ist als das eigene.
Wenn die Youtube-Stars in ihre Stadt kommen, ist sie mit ihren Freundinnen sofort dabei. „Die Gang-Tour ist der Wahnsinn. Wir waren letztes Jahr schon dort und ich habe Selfies mit Dagi Bee und Julien Bam machen können.“ Ihre Schwester Marie, ein Jahr jünger, kann darüber nur den Kopf schütteln: „Dafür habt ihr in einer Horde kreischender Mädels insgesamt wie viele Stunden angestanden?“, fragt sie mit ironischem Unterton.
Youtube bietet jedem eine Nische
Marie kann mit dem Hype um einzelne Personen gar nichts anfangen. Und trotzdem ist Youtube auch ihr liebstes Freizeitvergnügen. „Ich spiele lieber, mache meinen eigenen kleinen Kanal und schaue mir von GLP oder PewDiePie Tricks ab.“
Ihr Traum ist es, selbst einmal groß rauszukommen bei Youtube. Dafür macht Marie sich nachmittagelang mit Schnittprogrammen vertraut, übt und probiert – gemeinsam mit ihrem besten Freund, der kilometerweit entfernt in seinem Zimmer sitzt und mit dem sie, virtuell verbunden, ihr Hobby teilt.
Für viele Eltern ist der Youtube-Hype völlig unverständlich
Auch wenn die Mutter der Mädchen den kreativen Aspekt anerkennt, wäre es ihr anders lieber: „Ich verstehe nicht, wieso die zwei nicht öfter etwas anderes zusammen unternehmen. Mal rausgehen, so wie wir früher. Und selbst wenn sie mal ins Kino gehen – was schauen sie sich an? ‚Bruder vor Luder‘ oder ‚Kartoffelsalat‘. Und wieder spielen Youtuber die Hauptrolle.“
Dabei haben Filme wie diese interessanterweise gar nicht funktioniert, genauso wenig wie die seltenen Auftritte von Youtubern in Fernsehshows. „Die Medienbranche hat einfach noch nicht verstanden, wie Youtuber funktionieren“, meint die Medienfachfrau Götz. „Aber vielleicht muss das ja auch gar nicht sein. Eine Jugendkultur funktioniert eben nur, wenn ich sie nicht mit den Alten teile.“
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