Die Zahl ist alarmierend: Fachleute für Kinderschutz gehen davon aus, dass mehr als 700.000 Erwachsene in Deutschland im Internet sexuelle Kontakte zu Kindern haben. Sie fordern besseren digitalen Kinderschutz und ein strengeres Strafrecht.
Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche über das Internet soll wirksamer bekämpft werden, fordert der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig. Es sei „dringend erforderlich“, schon den Versuch des sogenannten Cybergrooming – also das Ansprechen Minderjähriger im Netz mit dem Ziel sexueller Kontakte – unter Strafe zu stellen, sagte Rörig.
Dimension von Missbrauch im Internet wird unterschätzt
Die Dimension des Problems wird nach Ansicht von Experten in der Öffentlichkeit erheblich unterschätzt. Julia von Weiler, Psychologin bei der Organisation „Innocence in Danger“, spricht von mehr als 700.000 Erwachsenen in Deutschland, die sexuelle Online-Kontakte zu Kindern hätten.
Bei dieser Zahl beruft sich „Innocence in Danger“ auf eine Hochrechnung von Ergebnissen aus der sogenannten MiKADO-Studie der Universität Regensburg zum Missbrauch von Kindern.
„In der aktuellen Debatte um die digitale Sicherheitsarchitektur müssen auch die sexuellen Cyberattacken gegen Kinder und Jugendliche in den Fokus genommen werden“, forderte Rörig daher in Berlin. Notwendig sei eine Agenda für digitalen Kinder- und Jugendschutz, mehr Forschung, Prävention und Hilfen bei sexueller Gewalt mittels digitaler Medien.
Missbrauch reicht von Sexfotos bis zu Kinderprostitution
Rörig stellte eine Studie mit dem Titel „Sexualisierte Grenzverletzungen und Gewalt mittels digitaler Medien“ vor. Dort listen Experten des Instituts für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) verschiedene Formen der Grenzverletzung auf. Das Spektrum reicht von der unfreiwilligen Konfrontation mit sexuellem Bildmaterial über sexuelle Annäherung bis zur Anbahnung von Kindersextourismus und Kinderprostitution.
Online-Dienste sollten verpflichtet werden, geschützte Nutzungsräume für Kinder und Jugendliche zu schaffen, Beratungs- und Hilfsangebote auf ihren Seiten gut sichtbar einzustellen sowie einfache Meldemöglichkeiten zu bieten, forderte Rörig. Anbieter sollten sich auch selbst verpflichten, Hinweise an die Strafverfolgung oder Beschwerdestellen weiterzuleiten.
Jugendliche können auch Täter sein
Der Kriminologe und Cybergrooming-Experte Thomas-Gabriel Rüdiger bringt einen weiteren Aspekt in die Diskussion: Er betont, dass Kinder und Jugendliche nicht nur Opfer seien, sondern immer häufiger selbst zu Tätern würden. Inzwischen sei jeder dritte Tatverdächtige in diesem Bereich selbst Kind oder Jugendlicher – zehn Prozent Kinder, 25 Prozent Jugendliche. Der Trend zu jüngeren Tätern verstärke sich. „Vor fünf Jahren war der durchschnittliche Täter im Internet noch über 30, heute ist er unter 30“, sagte der Experte von der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg in Oranienburg.
Anbahnung über populäre Online-Spiele
Mehr Aufklärung müsse her, auch darüber, dass Täter sich nicht nur in Chat-Programmen tummelten, sondern inzwischen auch in Online-Spielen, die auf den ersten Blick unverdächtig und kindgerecht erscheinen. Im Dezember 2016 etwa wurde ein Koch in Düsseldorf wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Jungen aus der Schweiz zu fünf Jahren Haft verurteilt. Täter und Opfer hatten sich laut Anklage über das Onlinespiel „Minecraft“ kennengelernt.
Ebenfalls im Dezember wurde der Fall eines 32-Jährigen aus Niedersachsen bekannt, der in dem für alle Altersstufen freigegebenen Onlinespiel „Moviestarplanet“ 122 Kinder zwischen sieben und 13 Jahren dazu gebracht haben soll, ihm Nacktbilder und -videos zu schicken.
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