Es war ein lichtdurchfluteter, warmer Sommertag, als es für Laura nicht mehr hell wurde. Die Sommerferien hatten gerade erst begonnen, eigentlich die schönste Zeit für Jugendliche, Zeit für Freunde und Freiheit, den ersten Flirt.
Aber Laura, 14, die immer sportlich gewesen war, schaffte es kaum noch aufzustehen. Ihre Eltern und Freunde glaubten an eine Laune, eine Phase, wer hat die denn nicht, in der Pubertät? Warum auch sollten sie sich sorgen? Das Mädchen lebte in einer intakten Familie im gut situierten Berliner Westen, keine Geldsorgen, keine größeren Schulprobleme, kein Liebeskummer. Und doch wollte es für Laura nicht mehr hell werden. Das Licht wurde fast ihr Feind.
Laura verdunkelte ihr Zimmer, schaltete das Handy ab, löschte ihr Foto auf der Facebook-Seite, als wollte sie verschwinden, und blieb tagelang einfach zu Hause, meist im Bett. Sie lebte innerlich und äußerlich in einer Dunkelkammer, zu der niemand Zutritt hatte und aus der sie selbst nicht herausfand. Worte findet sie dafür immer noch nicht, auch jetzt nicht, obwohl es ihr wieder besser geht, seitdem sie und ihre Eltern wenigstens wissen, welchen Feind sie da zu bekämpfen haben, seitdem Lauras Dunkelheit einen Namen hat:
Depression.
„Das Schlimmste war diese Stille“
Für Laura war die Diagnose der erste Schritt zur Genesung, für ihre Eltern war sie ein Schock. Ihre Mutter Martina hatte eine Ahnung, „aber wer will das schon glauben, wer will das schön hören: Ihr Kind ist depressiv!“ Also ließen sie die Tochter anfangs in Ruhe, doch als Laura nach den Ferien auch in der Schule abrutschte, ihren früher so geliebten Tanzkurs schwänzte und am liebsten nur noch schwarze T-Shirts tragen wollte, griffen die Eltern ein. Erst versuchten sie es selbst, mit Motivation, mit Druck, aber je stärker sie auf Laura zugingen, umso weiter zog sie sich zurück. „Wenn sie wenigstens geschrien, geklaut oder auf mich eingeprügelt hätte“, sagt ihre Mutter. Das Schlimmste, erinnert sie sich, „war diese Stille“.
Depressionen bei Jugendlichen sind eine „leise“ Krankheit, werden sie doch in ihren unterschiedlichen Ausdrucksformen häufig als Pubertätswirren missdeutet. Das macht sie so gefährlich, so unheimlich, so unfassbar. Lange war die Diagnose Depression für Erwachsene reserviert. Inzwischen finden Fachärzte depressive Störungen sogar schon bei Vierjährigen, Schätzungen zufolge werden bis zu 20 Prozent der Jugendlichen im Lauf des Heranwachsens mindestens einmal von der Finsternis verfolgt, die ihr Gemüt verklebt. Ohne Behandlung laufen sie Gefahr, dass ihre Krankheit chronisch wird.
Erhöht ist das Risiko für Mädchen und für Kinder, deren Eltern an einer depressiven Störung erkrankt waren; Armut gilt neuerdings ebenfalls als wichtiger Faktor. Ausgelöst werden kann eine Depression von einem starken Stresserlebnis, etwa einem Todesfall oder massiven Familienkonflikten. Doch auch Gewalt und chronische Vernachlässigung können eine Rolle spielen, ebenso
Mobbing und anhaltender Druck in der Schule. Und manchmal ist die Ursache, wie bei Laura, einfach unbekannt.
Bleibt eine Depression bei Kindern und Jugendlichen unentdeckt, wächst die Gefahr, dass sich andere psychische Erkrankungen einschleichen, eine Sucht zum Beispiel oder eine Essstörung.
Das Problem bei Depressionen im Kindheits- und Jugendalter: Die Symptome sind oft sehr unspezifisch. Wenn ein Kind traurig ist, häufig über Bauchschmerzen klagt, sich zurückzieht oder Angst hat, kann das auf alle möglichen psychischen Störungen hindeuten. Es kann aber auch völlig normal sein und wieder vergehen, nur eine dieser berühmten Phasen sein, über die Eltern so gern stöhnen.
Kinder dürfen traurig sein. Wenn ein Haustier gestorben ist, ist es völlig normal, wenn ein Kind mal zwei Wochen lang trauert. Wenn aber aus den Wochen Monate werden oder keine klare Ursache für die Düsternis erkennbar ist, dann sollten sich die Eltern Hilfe holen und das erste große Hindernis überwinden: ihre Scheu vor einem Besuch beim Psychologen.
Die Kinderpsychiaterin Laura Prager vom Massachusetts General Hospital in Boston empfiehlt in der Fachzeitschrift „Pediatrics in Review“, bei der Diagnose vor allem die jeweilige Entwicklungsphase zu beachten. Was für ein Kind eines bestimmten Alters einen akuten Stressauslöser darstelle, könne sich bei einem älteren Kind weniger stark auswirken. Zudem sollten Kinderpsychiater den sozialen Hintergrund der Familie und die medizinische Geschichte der Betroffenen berücksichtigen. Wichtig sei auch, das Selbstmordrisiko der jungen Patienten einzuschätzen. Gedanken an einen Suizid sollten Eltern, Lehrer oder andere Bezugspersonen in jedem Fall ernst nehmen: Bei jungen Menschen ist Selbstmord die zweithäufigste Todesursache nach Unfällen.
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